Pilotenstreik bei Ryanair Die Wut der Billigflieger

Ryanair stand jahrzehntelang für günstige Preise - und schlechte Arbeitsbedingungen. Nun begehren die Piloten erstmals großflächig auf. Mit Streiks zur Urlaubszeit wollen sie das Billigsystem ins Wanken bringen.
Streikende Ryanair-Piloten in Dublin

Streikende Ryanair-Piloten in Dublin

Foto: Brian Lawless/ dpa

Gewerkschaften? Für die hatte Michael O'Leary bis vor kurzem nur Verachtung übrig. "Ich kümmere mich nicht um Gewerkschaften", erklärte der Chef des Billigfliegers Ryanair im Sommer 2016. In seinem Unternehmen gebe es keine. Und noch vergangenes Jahr bezeichnete der wortgewaltige Ire die europäischen Pilotenvereinigungen als "Rohrkrepierer", die in Sachen Ryanair bloß "Lärm machen" würden und am Niedergang anderer Fluggesellschaften beteiligt seien.

Aber in diesem Sommer muss sich O'Leary mit diesen "Rohrkrepierern" herumschlagen. Am Donnerstag haben knapp 100 Piloten in Ryanairs Heimatland Irland einen 24-stündigen Streik gestartet - zum ersten Mal überhaupt in der 33-jährigen Geschichte der Fluggesellschaft. Laut Ryanair werden 30 der 290 Flüge von Irland aus gestrichen; Verbindungen nach Deutschland sind zunächst wohl nicht betroffen.

Das ist nur der Anfang einer Welle: Für übernächste Woche hat das Kabinenpersonal in Italien, Spanien, Portugal sowie Belgien ebenfalls einen Ausstand angekündigt. Und bei der deutschen Pilotenvereinigung Cockpit läuft gerade eine Urabstimmung über einen Ryanair-Streik.

All diese Arbeitskampfmaßnahmen treffen Europas größten Billigflieger ganz gezielt mitten in der Hauptreisezeit - wenn Airlines ihr größtes Geschäft machen und der Imageschaden durch stornierte oder massiv verspätete Flüge besonders hoch ist.

Der Aufstand des fliegenden Personals bringt eine Stütze des Ryanair-Geschäftsmodells ins Wanken. Jahrzehntelang hat O'Leary die Gewerkschaften draußen und Mitarbeiter klein gehalten. So wurden Hunderte Piloten nicht bei Ryanair angestellt, sondern über ein so genanntes Contractor-Modell beschäftigt. Dabei mussten die Kapitäne eine Art Ich-AG gründen und Verträge mit Personalvermittlungsfirmen abschließen, ehe sie ins Ryanair-Cockpit steigen durften. Allein dadurch sparte der irische Billigflieger Millionen.

"Grundgehalt von weniger als 1500 Euro"

Noch knauseriger ist Miteigentümer O'Leary - der laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes neuerdings Dollar-Milliardär ist - seit jeher bei Stewards und Stewardessen. "Selbst Kabinenchefs in den höchsten Vergütungsstufen in Deutschland bekommen ein Grundgehalt von weniger als 1500 Euro", sagt Uwe Hien, Tarifexperte der Kabinengewerkschaft Ufo. Ryanair äußerte sich auf Anfrage dazu nicht, sondern verschickte eine Erklärung, in der es hieß, Crewmitglieder könnten bis zu 40.000 Euro im Jahr verdienen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn sie Passagieren an Bord jede Menge Speisen, Getränke und Rubbellose verkaufen. Denn dafür gibt es Provisionen.

Ryanair-Chef Michael O'Leary

Ryanair-Chef Michael O'Leary

Foto: Yves Herman/ REUTERS

Seit einiger Zeit geraten die Machtverhältnisse bei Ryanair ins Wanken. Im Sommer 2016 startete die Staatsanwaltschaft Koblenz Razzien an mehreren Ryanair-Basen in Deutschland. Es ging dabei um Ermittlungen gegen Personalvermittlungsfirmen wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Scheinselbstständigkeit.

Im vergangenen Herbst musste Ryanair dann Zehntausende Flüge streichen. Offiziell hieß es, die Urlaubsplanung des Cockpitpersonals sei falsch gelaufen. Tatsächlich lag es wohl auch daran, dass viele Mitarbeiter der Linie davonliefen und zu Wettbewerbern mit besseren Arbeitsbedingungen wechselten. Vor allem Piloten sind in diesen Boomzeiten des Luftverkehrs gerade sehr gefragt.

Vergangenen Dezember gab es dann sogar einen Warnstreik: in Deutschland, ausgerufen von der Pilotenvereinigung Cockpit. Der dauerte nur kurz und war kaum spürbar, war aber der erste Ausstand überhaupt in der Geschichte der Billigairline. Und als Streiks in Südeuropa bevorstanden, vollzog O'Leary eine Kehrtwende. Er leistete öffentlich Abbitte und erkannte am 15. Dezember 2017 erstmals Gewerkschaften als Vertreter seiner Beschäftigten an.

Die Piloten fordern das Ende der prekären Arbeitsverhältnisse

Gerade die Pilotengewerkschaften fühlen sich nun gegenüber Ryanair stark wie nie zuvor. Denn sie sind vereint wie nie zuvor. Mehr als ein Dutzend nationale Pilotenvereinigungen haben sich zur "Ryanair Transnational Pilot Group" zusammengeschlossen. Diese solle ein Gegengewicht zur Unternehmensspitze bilden, die Verhandlungen koordinieren und "verhindern, dass weiter ein Land gegen das andere ausgespielt wird", sagt Dirk Polloczek, Präsident des Dachverbandes der europäischen Pilotenvereinigungen (ECA).

Die Piloten fordern vor allem ein transparenteres Lohn- und Versetzungssystem, einheitliche Arbeitsbedingungen für die zahlreichen unterschiedlichen Ryanair-Standorte in verschiedenen Ländern - sowie das Ende der prekären Arbeitsverhältnisse. Das Unternehmen hält entgegen, dass Piloten in Irland bis zu 200.000 Euro im Jahr verdienen könnten. In Deutschland stellt es zudem Insidern zufolge auch neuerdings vermehrt Piloten fest an: womöglich aus Sorge, wegen Scheinselbstständigkeit belangt zu werden. Anderswo in Europa läuft das Ich-AG-Modell aber weiter.

Die Kabinengewerkschaften verlangen neben höheren Löhnen unter anderem vergleichbare Konditionen für Festangestellte und mittelbar Beschäftigte. "Das deutsche Recht besagt: Es darf keine unterschiedliche Behandlung bei Arbeitszeiten, Jahresurlaub oder Entlohnung im Krankheitsfall geben", sagt Ufo-Vertreter Hien. Zudem dürfe es nicht länger vorkommen, dass das Management das Personal massiv unter Druck setze, den Passagieren an Bord etwas zu verkaufen. So erklärte O'Leary noch vor zwei Jahren: "Wenn Sie ein schlechter Verkäufer sind, sind Sie weg."

"Wir waren uns einig, dass wir nicht mehr fit waren"

Crews haben es nicht leicht bei Ryanair. Als sich am vergangenen Sonntag ein Flug von Madrid nach Köln massiv verspätete, fühlte sich die Kabinencrew nach achteinhalb Stunden Dienst nicht mehr in der Lage, noch zurück an die Basis in Palma de Mallorca zu fliegen. "Wir alle waren uns einig, dass wir nicht mehr fit waren", heißt es in einem Schreiben der Crew, das dem SPIEGEL vorliegt. Überarbeitung ist im Luftverkehr besonders heikel, schließlich sind Kabinenmitarbeiter für die Sicherheit der Passagiere mitzuständig.

Ryanair-Flugzeug

Ryanair-Flugzeug

Foto: Rafael Marchante/ REUTERS

Laut Schreiben nahm ein Ryanair-Manager sich die Flugbegleiter daraufhin am Telefon vor - und bestellte sie dann für den nächsten Morgen zum Rapport nach Dublin ein. Wie das Branchenportal Aerotelegraph.com berichtet, drohte eine Ryanair-Managerin an diesem Mittwoch per Rundschreiben an die Kabinenbesatzungen mit Maßnahmen bis hin zur Entlassung, sollten sich Arbeitsniederlegungen wiederholen. Ryanair kommentierte auf Anfrage die Geschehnisse von Köln nicht.

Wie ernst ist es O'Leary wirklich mit dem Kulturwandel?

Immerhin haben sich Ryanair-Manager zuletzt mehrmals mit Arbeitnehmervertretern getroffen. Doch laut der Gewerkschaftsseite geht es nicht voran. "Die Verhandlungen werden nicht ernsthaft betrieben, sondern in die Länge gezogen", sagt Pilotenvertreter Polloczek. "Es geht offensichtlich darum, das alte Geschäftsmodell so lange am Leben zu halten, wie es irgendwie geht." Und Ufo-Mann Hien berichtet über sein erstes Treffen mit Ryanair-Vertretern: "Die kannten die rechtliche Situation überhaupt nicht oder wollten sie nicht kennen." Ryanair selbst erklärt, man habe mit britischen und italienischen Gewerkschaften Anerkennungsabkommen unterzeichnet, "was zeigt, wie ernst wir Verhandlungen mit Gewerkschaften nehmen."

Den Piloten reicht das nicht. "Die Anerkennung von Gewerkschaften ist kein Selbstzweck, wenn den Worten keine Taten folgen", sagt Janis Schmitt, Vorstand der Vereinigung Cockpit. Und so könnte sich der in Irland bisher relativ moderate Arbeitskampf bald nach Deutschland ausweiten. Die Urabstimmung bei Cockpit läuft. "Viele Kollegen hier sind so frustriert, dass sie ziemlich sicher pro Streik ausgehen wird", berichtet ein langjähriger Ryanair-Mitarbeiter.

Ende des Monats wird ausgezählt. Dann wird es Michael O'Leary wohl oder übel kümmern müssen, was die "Rohrkrepierer" von ihm wollen.

Video: Kampf der Billigflieger

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