Tarif-Ranking Stromkonzerne halten Preise künstlich hoch

Strommasten: Bereichern sich die Versorger auf Kosten der Verbraucher?
Foto: Christoph Schmidt/ dpaHamburg - Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wirft den Energieversorgern vor, die sinkenden Einkaufspreise für Strom nicht an ihre Kunden weiterzugeben. Grundlage dafür ist eine Langzeitanalyse aller 106 Grundversorger in NRW von Dezember 2010 bis Juni 2014.
Haushalte, die in NRW in der sogenannten Grundversorgung sind, mussten demnach im Juni 2014 durchschnittlich 23 Prozent mehr für Strom zahlen als im Dezember 2010. Und das, obwohl die Bezugskosten für Strom im selben Zeitraum deutlich gesunken sind. Eine Untersuchung anderer Bundesländer dürfte ein ähnliches Ergebnis haben, schätzen die Verbraucherschützer.
Die Energieversorger begründen Preiserhöhungen mit den Kosten der Energiewende. In ihren Anschreiben an Kunden heißt es oft, Ökostromumlage und Netzentgelte seien gestiegen, sie hätten den Gesamtpreis in die Höhe getrieben und damit auch die Steuern auf den Strompreis. Der Branchenverband BDEW wiederholte diese Aussage erst Mitte September in einer Pressemitteilung.
Um die Argumentation der Konzerne zu widerlegen, haben die Verbraucherschützer den Preis für Endkunden aufgedröselt. Bei jedem einzelnen der 106 Grundversorger haben sie Abgaben, Umlagen und Netzentgelte - sprich: jene Kosten, die vom Staat vorgegeben sind - vom Endkundenpreis abgezogen. Übrig bleibt die sogenannte Unternehmensspanne: jener Teil, den die Versorger durch unternehmerische Entscheidungen selbst steuern können. Die Unternehmenspanne setzt sich ihrerseits aus drei Teilen zusammen:
- Vertriebskosten, also Kundenbetreuung, Neukundengewinnung und Verwaltung;
- Bezugskosten, also das Geld, das der Versorger ausgibt, um Strom einzukaufen oder selbst zu produzieren;
- Marge, also die Summe, die das Unternehmen als Gewinn einstreicht.
Der Studie zufolge blieb die Unternehmensspanne in den vergangenen vier Jahren nahezu konstant: Im NRW-Durchschnitt liegt sie demnach seit Dezember 2010 bei rund 8,6 Cent pro Kilowattstunde - obwohl die durchschnittlichen Bezugskosten im selben Zeitraum um gut ein Viertel gesunken seien.
"Die Stromkonzerne haben entweder schlecht eingekauft oder deutlich mehr Gewinn eingestrichen", sagt Udo Sieverding, Bereichsleiter Energie bei der Verbraucherzentrale NRW. Es sei kaum anzunehmen, dass die Vertriebskosten seit 2010 um ein Viertel gestiegen seien.

Beispiel: So setzt sich der Strompreis zusammen
Foto: Verbraucherzentrale NRWBeim Energiekonzern RWE ist das Missverhältnis von Bezugskosten und Unternehmensspanne besonders groß. Der ortsansässige Grundversorger des Unternehmens belegt in einem Vergleich aller Anbieter des Bundeslandes NRW fast den letzten Platz; auf den unteren Plätzen finden sich zudem auffällig viele Stadtwerke, an denen RWE direkt oder indirekt beteiligt ist , zum Beispiel die West Energie und Verkehr, die Emscher-Lippe-Energie, die NEW AG, die Stadtwerke Düren oder die EWV Energie- und Wasserversorgungs GmbH.
Der Energiekonzern E.on rangiert ebenfalls im unteren Mittelfeld der Tabelle. Mustergültig schneiden hingegen die Stadtwerke Oerlinghausen ab: Ihre Unternehmensspanne liegt rund 25 Prozent unter dem NRW-Durchschnitt.
RWE und Co. sind zum wiederholten Male in der Kritik. Laut einer Studie des Berliner Beratungsunternehmens Energy Brainpool aus dem Jahr 2013 ließen sich bei Haushalten in der Grundversorgung jährlich rund 395 Millionen Euro Kosten sparen, wenn die Energieriesen ihre gesunkenen Einkaufspreise konsequent weitergeben würden.
Unangreifbar sind solche Studien nicht. Ihre größte Schwäche ist, dass sie bei den Einkaufspreisen nur Durchschnittswerte anlegen können. Denn jeder Versorger hat eine individuelle Beschaffungsstrategie. Diese ist ebenso geheim, wie es die Produktionskosten der Kraftwerke sind. Die Angaben der Verbraucherzentrale NRW sind entsprechend nur Näherungswerte.
Die Untersuchung wirft dennoch Fragen auf.
- Schon bei einer durchschnittlichen Beschaffungsstrategie hätte die Unternehmensspanne von Konzernen wie RWE deutlich sinken können - warum ist sie in einigen Regionen um fast 19 Prozent gestiegen?
- Warum schaffen es andere Unternehmen, wie die Stadtwerke Oerlinghausen, ihre Unternehmensspanne deutlich zu senken, der ungleich größere Energiekonzern und seine Töchter dagegen nicht?
RWE ist hoch verschuldet, sein Kerngeschäft ist durch den Atomausstieg und den Boom der erneuerbaren Energien bedroht. Versucht der Konzern seinen Umsatzschwund abzumildern, indem er Kunden in der Grundversorgung benachteiligt?
Die Energieversorger kommentieren ihre Beschaffungsstrategie grundsätzlich nicht. In der Branche ist jedoch zu hören, dass man sich nun einmal in einem freien Markt bewege, in dem man Preise frei bestimmen dürfe.
RWE-Beteilligungen an Stadtwerken
Platz im Ranking | Versorger und Tarifgebiet | Beteiligungsstruktur |
---|---|---|
100 | Stadtwerke Duisburg AG | 80% kommunal, 20% RWE |
101 | Stadtwerke Düren GmbH | 75% RWE |
102 | Stadtwerke Coesfeld GmbH | 100% Stadt Coesfeld |
103 | EWV GmbH (Stolberg) | 50% RWE |
104 | Stadtwerke Neuss GmbH | 100% Stadt Neuss |
105 | ELE Emscher-Lippe-GmbH (TG Gelsenkirchen) | 50,1% RWE, 49,9 kommunal |
106 | RWE Vertriebs AG (TG Dorsten) | 100% RWE |
107 | Stadtwerke Iserlohn GmbH | 100% Stadt Iserlohn |
108 | SWK Energie GmbH (Krefeld) | 100% Stadt Krefeld |
109 | Stadtwerke Lemgo GmbH | 100% Stadt Lemgo |
110 | RWE Vertriebs AG (TG Winterberg) | 100% RWE |
111 | ELE Emscher-Lippe-GmbH (TG Gladbeck) | 50,1% RWE, 49,9 kommunal |
112 | RWE Vertriebs AG (TG Mettmann) | 100% RWE |
113 | enwor GmbH (Herzogenrath) | 100% kommunal |
114 | NEW AG (Korschenbroich) | 44,39% RWE, 55,61% kommunal |
115 | GWG Grevenbroich GmbH | 60% NEW [44,39%RWE], 40% kommunal |
116 | West Energie und Verkehr GmbH (TG Geilenkirchen) | 50% NEW [44,39% RWE], 50% kommunal |
117 | West Energie und Verkehr GmbH (TG Niederkrüchten) | 50% NEW [44,39% RWE], 50% kommunal |
Doch ganz so einfach ist es nicht. Laut Energiewirtschaftsgesetz hat die Grundversorgung eine besondere Bedeutung. Sie soll, wie der Name schon sagt, dafür sorgen, dass jeder Verbraucher Zugang zu Strom hat. Bundesweit sind knapp 37 Prozent der Haushalte in der Grundversorgung - darunter auch Sozialhilfeempfänger, die aufgrund schlechter Schufa-Einträge kaum ein Versorger als Kunde annimmt.
Die Energieexperten Dietmar Hempel und Peter Franke vertreten die Ansicht, dass der Tarif "so preisgünstig wie möglich zu gestalten ist". Nach dieser Auslegung würden Energiekonzerne, die sinkende Einkaufspreise nicht an ihre Kunden weitergeben, womöglich sogar das Gesetz brechen. Ob dem wirklich so ist, könnte letztlich nur gerichtlich geklärt werden.
Die Verbraucherzentrale NRW will darauf nicht warten. Sie will, dass die Energieversorger schon im kommenden Jahr die Preise senken. Ihre Studie hat sie deshalb ans Kartellamt geschickt; dieses soll nun prüfen, ob die Konzerne ihre Marktmacht missbrauchen - ein Vorwurf, dem die Unternehmen stets widersprochen hatten.
Verbraucher, die noch in der Grundversorgung sind, brauchen nicht abzuwarten, wie das Kartellamt reagiert. Sie können schon jetzt in einen günstigeren Tarif wechseln.