VW-Chef Müllers Überraschungsangriff auf die Dieselsubvention

Schluss mit dem Steuerprivileg für Diesel - das fordert ausgerechnet VW-Chef Matthias Müller. Könnte eine Große Koalition auf ihn hören?
VW-Chef Matthias Müller

VW-Chef Matthias Müller

Foto: Andreas Arnold/ dpa

Manchmal bekommt eine alte Forderung neue Wucht, weil sie plötzlich Unterstützung von unerwarteter Seite erfährt. So ist es nun mit der Besteuerung von Dieselkraftstoff. Seit vielen Jahren gibt es Rufe, die steuerliche Begünstigung zu beenden. Bislang kamen diese eher von Umweltschützern oder Rechnungsprüfern - und nicht vom Vorstandsvorsitzenden des größten deutschen Autokonzerns.

"Wenn der Umstieg auf umweltschonende E-Autos gelingen soll, kann der Verbrennungsmotor Diesel nicht auf alle Zeiten weiter wie bisher subventioniert werden", sagte VW-Chef Matthias Müller dem "Handelsblatt". Er schlug vor, die Steuererleichterungen schrittweise so umzuschichten, dass damit der Kauf umweltschonender Antriebstechniken gefördert wird.

Was steckt hinter dem Appell aus Wolfsburg? Wie groß ist das Privileg von Dieselfahrern? Und hat Müllers Vorschlag tatsächlich Aussichten auf Umsetzung? Die wichtigsten Fakten im Überblick.

VW-Neuwagen

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Foto: Julian Stratenschulte / picture alliance / dpa

Wie funktionierte die Dieselsubventionierung?

Der Staat fördert den Verkauf von Dieselkraftstoff, indem er eine geringere Steuer erhebt. Während auf einen Liter Benzin derzeit 65,45 Cent fällig werden, sind es beim Diesel nur 47,04 Cent. Zwar liegt im Gegenzug die Kfz-Steuer für Dieselfahrzeuge höher. Für Vielfahrer überwiegen unterm Strich aber die Vorteile des verbilligten Kraftstoffs.

Wie wird die Subvention begründet?

Nach Darstellung der Bundesregierung wurden durch die Einführung unterschiedlicher Steuersätze Anfang der Neunzigerjahre vor allem Vorgaben der EU-Kommission umgesetzt. Zudem hätte durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer der Umweltschutz gefördert werden sollen. Dieselfahrzeuge galten aufgrund ihres generell sparsameren Verbrauchs lange als umweltfreundlichere Alternative zu Benzinern.

Allerdings handelt es sich häufig auch um besonders PS-starke Fahrzeuge. So waren 2015 fast zwei Drittel der neu zugelassenen Diesel Oberklassewagen. Zudem hat das saubere Image des Diesel erhebliche Kratzer bekommen, seit bekannt wurde, dass Hersteller den Stickoxidausstoß auf Prüfständen manipuliert haben. Im Mittelpunkt dieses Skandals steht Volkswagen  .

Was bedeutet das für den Staat?

Würde auf Dieselkraftstoff derselbe Steuersatz wie auf Benzin angewendet, so hätte der Fiskus im Jahr 2015 rund acht Milliarden Euro mehr einnehmen können. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor. Seit Anfang der Neunzigerjahre summierte sich der Steuervorteil auf fast 160 Milliarden Euro.

Angesichts dieser Summen kritisiert neben Umweltschützern auch der Bundesrechnungshof seit Jahren das Dieselprivileg. Rechnungshof-Chef Kay Schaller forderte während der Sondierungsgespräche über eine Jamaikakoalition ein Ende der Dieselsubvention. Im Gegenzug solle die höhere KfZ-Steuer gesenkt werden. Nach Ansicht von Scheller gibt es keinen Beleg, dass die Subvention tatsächlich dem Umweltschutz dient. Es ist davon auszugehen, dass der Bundesrechnungshof diese Kritik bei der Vorstellung seines Jahresberichts am Dienstag wiederholen wird.

Warum fordert Müller das Subventions-Aus?

Müllers Aussage ist angesichts der bisherigen Bedeutung von Dieselfahrzeugen für sein Unternehmen überraschend. Als "wirklich beeindruckend", lobte sie der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisberg-Essen, als "bemerkenswert" die Umweltschutzorganisation BUND, der Bundesverband der Verbraucherzentralen nannte den geforderten Abbau "sinnvoll".

Nach dem Dieselskandal hat Müller allerdings auch Interesse daran, dass Image von VW aufzupolieren - nicht zuletzt gegenüber strengen Behörden in den USA, welche die Untersuchungen ins Rollen brachten und bereits Milliardenstrafen verhängten. Zudem verlangt der VW-Chef nicht einfach einen Abbau der Subvention, sondern will sie auf Fahrzeuge wie Elektro-Autos verlagern.

Dahinter steckt auch Eigeninteresse: Müller hat offenbar Sorge, dass der Geldhahn für Diesel plötzlich zugedreht wird, während auch VW noch in die Technologie investiert. Eine schrittweise Umschichtung der Subvention käme VW entgegen. Wie andere Hersteller stellt der Konzern nur langsam auf alternative Antriebe um.

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh betonte denn auch, Müller habe nicht von einem sofortigen Stopp der Dieselsubventionen gesprochen. "Das wird wie gesagt nicht von heute auf morgen passieren," so Osterloh. "Das ist nicht das Ende des Diesels."

Wie stehen die Chancen auf eine politische Änderung?

Trotz Müllers Appell sind die Aussichten auf ein schnelles Ende der Dieselsubventionierung zuletzt eher gesunken. Denn mit dem Platzen der Jamaika-Gespräche ist mit den Grünen die einzige Partei aus dem Rennen, die im Wahlkampf explizit einen Abbau der Dieselpivilegien gefordert hatte. In einer Großen Koalition hätte die Forderung deutlich weniger Rückhalt. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte bereits, die Bundesregierung habe derzeit "keine Pläne" in dieser Richtung.

Auf Seiten der SPD meldete am Montag zwar immerhin Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Zweifel an der ökologischen Berechtigung der Dieselsteuer an. Zugleich betonte sie allerdings, der Abbau solle im Zuge einer größeren ökologisch und sozial ausgerichteten Steuerreform erfolgen. Dass diese ausgerechnet unter Union und SPD gelingt, ist mehr als unwahrscheinlich: In den vergangenen vier Jahren gelang den Parteien keine größere Steuerreform. Für die nächste Legislatur dürften sich beide Parteien vor allem auf Korrekturen an der Einkommensteuer einigen.

Deutlichen Widerstand signalisierte bereits der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt. Er sehe keinen Anlass, an der Besteuerung etwas zu ändern, sagte Schmidt. "Sehr verwundert" zeigte er sich auch über eine Forderung Müllers nach einer blauen Umweltplakette für Dieselfahrzeuge, deren Vergabe an einen bestimmten Stickoxidwert gebunden sein soll.

Auch im derzeit von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) geleiteten Bundesfinanzministerium ist die Begeisterung für den geforderten Subventionsabbau bislang mäßig. Dort fürchtet man unter anderem den Eindruck, die ohnehin gebeutelten Dieselfahrer würden mit einer Steuererhöhung belastet. Zudem gibt es Zweifel daran, ob höhere Subventionssummen für alternative Antriebe tatsächlich Wirkung zeigen.

So wurde die Kaufprämie für E-Autos in Höhe von 5000 Euro anfangs kaum nachgefragt, erst in den vergangenen Monaten stieg die Zahl der Anträge. Bis Ende Oktober wurden knapp 38.000 Prämien beantragt, Mittel sind jedoch für gut 300.000 E-Autos vorhanden. Als ein wesentlicher Grund für die verhaltene Nachfrage gilt der noch vergleichsweise hohe Preis von Elektroautos.

Mitarbeit: Kristina Gnirke; mit Material dpa
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