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Gas aus der Tiefe: Unkonventionelle Vorkommen

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Suche nach neuen Gasreservoirs Energiefirmen wollen halb NRW scannen

Rohstoffrausch in Nordrhein-Westfalen: Ein knappes Dutzend Konzerne sucht in dem Bundesland nach bislang unerschlossenen Gasvorkommen - die nun durch neue Fördertechniken erreichbar wären. Doch ein Abbau wäre mit gewaltigen Umweltrisiken verbunden.

Hamburg - Es ist ein Dokument, das tiefe Einblicke gewährt: Das Wirtschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen hat auf Anfrage der Grünen eine Liste aller Firmen veröffentlicht, die in NRW nach bislang unerschlossenen Gasvorkommen forschen. Erstmals gibt ein Bundesland eine solch umfassende Übersicht heraus. Das Papier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, offenbart, wie groß die Hoffnungen der Industrie sind, in Deutschland bald neues Erdgas zu fördern.

Ein knappes Dutzend Firmen listet das Wirtschaftsministerium auf, darunter Energieunternehmen aus Australien und Kanada, aber auch die Stadtwerke Hamm (vollständige Liste: siehe Tabelle unten). Sie alle hoffen auf eine Fördertechnik, die in den USA bereits flächendeckend eingesetzt wird: die sogenannte unkonventionelle Gasförderung. Damit lässt sich der wertvolle Rohstoff selbst dann fördern, wenn er in kleinen, abgeschotteten Zwischenräumen verstreut ist.

Die Gebiete, die sich die Unternehmen zu Forschungszwecken gesichert haben, sind teils gewaltig; zusammen erstrecken sie sich auf eine Fläche, die halb so groß ist wie das komplette Bundesland.

Eine Sprecherin des Düsseldorfer Wirtschafts- und Energieministeriums betonte, bislang hätten die Unternehmen "keine Genehmigungen für Probebohrungen erhalten". Was sie nicht erwähnt: Exxon wurde 2008 bereits eine Genehmigung für eine Probebohrung erteilt - das Unternehmen hat sie bereits durchgeführt und plant weitere Tests.

Gasrausch auch in anderen Bundesländern

Bei der unkonventionellen Gasförderung bohren die Konzerne mehrere Kilometer tief ins Gestein und dann horizontal in mehrere Richtungen weiter. Außerdem wird eine Methode namens fracing eingesetzt. Dabei wird eine Mischung aus Wasser, Sand und Chemikalien ins Bohrloch gepresst. So werden künstlich Risse im Gestein erzeugt, durch die das Gas später abgesaugt werden kann (Details: siehe Infobox links).

Das Aufbrechen des Gesteins und das horizontale Bohren eröffnen der Industrie Zugriff auf einen gewaltigen Rohstoffschatz. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass durch unkonventionelle Fördermethoden weltweit Reservoirs mit 921 Billionen Kubikmeter Gas zugänglich werden - das ist fünfmal so viel Gas, wie in klassischen Vorkommen liegt. In den USA Förderung stieg die Gasförderung durch die neue Methode binnen Jahren so stark an, dass das Land inzwischen praktisch unabhängig von Importen ist.

Auch in Deutschland beschränkt sich der Gasrausch nicht nur auf NRW. SPIEGEL-ONLINE-Recherchen haben ergeben, dass Konzerne wie Exxon, BNK Petroleum 3Legs Resources und Reals Energy in mehreren Bundesländern ein Wettrennen um die besten neuen Gasvorkommen gestartet haben. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt haben sich die Unternehmen unter anderem auch in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg Claims gesichert. In Niedersachsen hat Exxon bereits die Fracing-Methode angewandt und teils toxische Chemikalien in den Boden gepresst.

Experten halten das für problematisch. Denn während die Konzerne flächendeckend forschen und schon mehrfach Probebohrungen durchgeführt haben, hat sich die Bundesregierung bislang noch überhaupt nicht mit den Umweltrisiken der Förderung beschäftigt - obwohl es in den USA immer wieder zu Zwischenfällen kam. An einigen Orten entdeckten US-Behörden Gasrückstände im Grundwasser . In anderen US-Gemeinden wurden unweit von Gaskompressoren erhebliche Luftverschmutzungen  nachgewiesen, die möglicherweise durch giftige Gase verursacht wurden, die tief im Gestein lagerten, bis sie durch das Aufbrechen des Gesteins bei der Gasförderung freigesetzt wurden.

Angesichts solcher Risiken fordern die Grünen die Bundesregierung auf, die neue Fördertechnik genauer zu prüfen. "Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen stellt als bisher einzige Landesregierung umfangreiche Informationen zur Verfügung", sagt Oliver Krischer, Energieexperte der Grünen im Bundestag, SPIEGEL ONLINE. "Solche Transparenz hat uns die Bundesregierung trotz mehreren Anfragen bisher verweigert."

Wer in NRW nach Gas sucht

Name des Felds Firma Fläche in Quadratmetern
Adler BNK Petroleum 991.126.800
Ananke A-TEC Anlagentechnik GmbH 10.494.200
Dasbeck Stadtwerke Hamm, Dr. R. Gaschnitz, PVG mbH 8.464.000
Falke BNK Petroleum, Inc. 1.055.196.300
Hamm-Ost Dr. R. Gaschnitz, PVG mbH 53.985.800
Hamm-Süd Stadtwerke Hamm, Dr. R. Gaschnitz aix.o.therm GeoEnergien, PVG mbH 85.439.800
Hellweg Stadtwerke Hamm, Dr. R. Gaschnitz aix.o.therm GeoEnergien, PVG mbH 83.893.500
Herbem-Gas Mingas-Power gmbH 105.592.400
Herford BEB Erdgas und Erdöl GmbH, Mobil Erdgas-Erdöl GmbH 796.708.500
Ibbenbürgen BEB Erdgas und Erdöl GmbH, Mobil Erdgas-Erdöl GmbH 394.854.300
Ibbenbüren-Gas RAG Anthrazit Ibbenbüren GmbH 85.298.500
Kallisto A-TEC Anlagentechnik GmbH 8.893.600
Minden BEB Erdgas und Erdöl GmbH, Mobil Erdgas-Erdöl GmbH 1.193.374.800
Monsterland-West BEB Erdgas und Erdöl GmbH 572.403.000
Nordrhein-Westfalen Nord Mobil Erdgas-Erdöl GmbH 6.616.732.700
Rheinland Wintershall Holding GmbH 1.402.679.400
Ruhr Wintershall Holding GmbH 2.492.855.300
Saxon 1 West Queensland Gas Company Ltd. 1.509.995.600
Saxon 2 Queensland Gas Company Ltd. 390.911.900
Quelle: Angaben des NRW-Wirtschaftsministeriums, Stand: 21. Oktober 2010
ssu
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