
Milchviehaltung in der Preiskrise: Eine Kuhlturfrage
Öko-Boom Welche Milch macht's?
Den Seitenspiegel des Ford Pick-up-Trucks hat Kuh Nr. 63 gründlich eingespeichelt. "Wenn die Kühe sich sehen können, lockt sie das", sagt Andreas Driller. Zusammen mit Vater Franz-Josef Driller hält der 25-Jährige rund 70 Milchkühe in Altenbeken in Ostwestfalen. Kühe seien eigentlich Fluchttiere, aber auch neugierig, erklärt Driller junior. Und seit die Tiere dank eines neuen Roboters selbst von der Weide zum Melken gehen können, sind sie zutraulicher und genießen Freiheiten, die sich der Betrieb auf anderem Feld mühsam erkämpfen musste: 2008 stellten die Drillers auf Bioland-Standards um.
Schon in der Lehre fuhr der 56-jährige Senior nie wirklich gerne mit der Pflanzenschutz-Spritze auf den Acker, seit 20 Jahren hat er Windkraftanlagen. "Wenn man im Kopf schon so weit ist, dann ist es nur noch ein kleiner Sprung." Er hatte sich an einem Streik beteiligt und dabei ein Schlüsselerlebnis mit einem Molkerei-Vertreter, dieser habe ihm gesagt: "Herr Driller, Sie sind doch froh, wenn wir den Tankwagen schicken und Sie die Milch überhaupt loswerden." Der Entschluss zum Sprung für den Bierßenhof war damit gefasst.

Drei Kühe, 30 Tage, viele Daten: Das Projekt "Superkühe" verleiht drei Milchkühen eine Stimme. Über Sensoren, Tagebuch und Chatbot kann jeder ihren Alltag mitverfolgen. SPIEGEL ONLINE ist Projektpartner und widmet sich Fragen rund um die Milch: Wie lebt eine Milchkuh? Wie gesund ist Milch? Und was zeigen die Daten aus dem Experiment?
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Judith Siebers, 43, Landwirtin im niederrheinischen Kleve ging etwa zur selben Zeit einen anderen Weg. Sie begann den Familienbetrieb nahe der niederländischen Grenze mit rund 140 konventionellen Milchkühen für mehrere Millionen Euro zu erweitern - und hält inzwischen 750 Kühe unter einem Dach. Kopf um Kopf reckt sich durch das Fressgitter. Sie gehören Hochleistungskühen, die jeweils rund 10.000 Kilogramm Milch pro Jahr geben können, Drillers beste Öko-Kühe kommen auf 8000.
Doch welches Betriebsmodell lohnt sich angesichts von Höfe-Sterben und Milchpreiskrise?
Hunderte Betriebe stellen auf Bio um
Zwei unterschiedliche Betriebe, aber beide haben mit schwankenden Milchpreisen zu kämpfen: Das EU-weite Überangebot führt zu teils heftigen Preisstürzen. "Da gibt es Jahre, in denen verdient die Familie kein Geld", sagt Judith Siebers. "Wir tragen das Risiko. Es trifft nicht unsere Mitarbeiter, sondern uns." Der Betrieb müsse Risikovorsorge machen. "Klagen zählt nicht."
Den Hof der Drillers belastete zudem der Wechsel zu Bio, der mehrere Jahre dauert. Der Stall wurde umgebaut, Flächen hinzugekauft. Ökologisches Futter musste her, die Ernte auf den Feldern fiel dafür aber geringer aus - weil der Landwirt keinen Kunstdünger mehr ausbringen durfte. Mehr Geld für die Milch erhielt die Familie von der Molkerei erst nach der Umstellung. "In diesen zwei Jahren war ich manchmal kurz davor zu sagen, es geht nicht mehr."
Der Hof auf den Ausläufern des Eggegebirges hielt durch, auch dank der Einnahmen aus der Windenergie - und entzog sich zumindest dem Preisstrudel, mit dem sich 2016 nur noch die konventionellen Bauern konfrontiert sahen: Das Ende der Milchquote 2015 hatte die Produktion bei ihnen besonders angekurbelt. Mit dem Russlandembargo und der schwächelnden Nachfrage in China brachen zudem wichtige Märkte ein. Schließlich versuchten Bund und EU mit Finanzhilfen und einer freiwilligen Mengenbegrenzung den Milchpreis zu stützen. Doch noch immer klagen viele Bauern über Milchgeld, das unterhalb ihrer Produktionskosten liegt.

Milchviehaltung in der Preiskrise: Eine Kuhlturfrage
Biomilch dagegen ist seit etwa 2013 nicht mehr vom Preisverfall betroffen - die Nachfrage ist schlicht zu hoch. Allein im ersten Halbjahr 2107 wuchs sie laut Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AMI) um gut zwölf Prozent. Mehr als ein Drittel der in Deutschland verbrauchten Biomilch muss demnach derzeit importiert werden - vor allem aus Österreich, Dänemark oder den Niederlanden. Dem Göttinger Agrarökonom Achim Spiller zufolge hatten nämlich viele Bauern in den vergangenen Jahren eher in Biogasanlagen statt in Biolebensmittel investiert. Die Folge: Der Markt für Biolebensmittel wächst stärker als die Biolandwirtschaft. Ökobauer Driller freut es. "Als die Konventionellen bei 22 Cent waren, lagen wir immer noch bei 47 Cent. Das war schon ein beruhigendes Gefühl."
Immer mehr Milchbauern ändern deshalb derzeit wie Driller ihre Produktion. "Wir hatten einen unglaublichen Run, unsere Berater wussten gar nicht mehr, wo sie überhaupt anfangen sollen", sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Laut dem Mitgliedsverband Naturland hätten allein zwischen 2014 und 2016 etwas mehr als 400 Betriebe umgeschwenkt. 2018 könnten demnach nochmals rund 500 Betriebe dazukommen - allein das entspräche rund einem Zehntel aller Biomilchbetriebe in Deutschland (siehe Grafik).
Schwankt bald auch der Bio-Milchpreis wieder?
Für Judith Siebers ist das keine Option. "Ökologische Lebensmittel werden oftmals aus emotionalen Gründen gekauft und ich möchte durch meine Produktqualität überzeugen und nicht, weil jemand, der seine dritte Flugreise gemacht oder das zweite Auto fährt, sein ökologisches Gewissen mit Biolebensmitteln wieder bereinigt", sagt sie. "Ich bin überzeugt, wir machen hier ein gutes Produkt und erfüllen viele Auflagen, die auch die Bioverbände empfehlen."
Tatsächlich haben die Kühe in dem luftigen Stall viel Fläche und wie in Altenbeken wird hier das Grundfutter selbst angebaut. Allerdings würde Siebers für eine Umstellung auch der Platz für einen Auslauf für Hunderte Tiere fehlen.
Die Drillers legen darauf besonders viel Wert. "Uns ist wichtig, dass eine große Futtermenge auf der Weide aufgenommen wird", sagt Andreas Driller, der auch auf einem Biohof gelernt hat. "Ich könnte mich nicht damit anfreunden, einfach mehr Tiere zu haben."
Ökologische Milchbauern können bei Erzeugerpreisen von gut 48 Cent laut Franz-Josef Driller derzeit zumindest nahezu ihre Kosten decken. Das heißt: Produktionskosten, verbunden mit einem gewissen Anteil für Lohn. "Davon ist noch keiner Millionär geworden", sagt er. Er hat sich in einer Nische - nur rund zweieinhalb Prozent der in Deutschland produzierten Milch wird ökologisch hergestellt - eingerichtet. Außer über die Molkerei vermarktet er seine Produkte auch selbst und verkauft Käse aus der eigenen Käserei auf Wochenmärkten.
Der konventionelle Bereich ist vom Preisniveau für Ökomilch dagegen weit entfernt. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter hatte zuletzt mindestens 50 Cent für den Liter konventionell produzierte Milch gefordert - für den Bauern und nicht als Preis im Supermarkt. Derzeit liegt er bei rund 36 Cent.
Große Betriebe im Norden und Osten, kleinere im Süden
Was aber, falls auch der Biomilchpreis wieder schwankt? "Da war schon eine Befürchtung da", sagt Driller - zumal viele umstellende Betriebe erst nächstes Frühjahr auf den Biomarkt stoßen. Gegen ein Überangebot Ökomilch, sagt er, sei deshalb auch "ein vernünftiger konventioneller Milchpreis wichtig". Agrarökonom Spiller sagt sogar: "Der Biomarkt ist grundsätzlich anfälliger für Preisschwankungen, weil er kleiner ist." Zwar brächten Biokunden oft auch die Bereitschaft mit, mehr Geld auszugeben, aber dass der Milchwagen oft weite Wege fahren muss und in den Molkereien nur geringe Mengen Biomilch landet, mache die Produkte teuer.
Beim BÖLW weiß man um die Gefahr. "Wir müssen die Umstellungen an das anpassen, was der Markt hergibt, sonst ruinieren wir den Biomarkt und dann hat keiner was davon", sagt Löwenstein. Die Umstellungsberater der Bioverbände achteten daher darauf, ob die Molkereien die Biomilch auch abnehmen. Sie prüften zudem die ökonomische Belastung bei der Umstellung für jeden Betrieb.
Und die Ausgangslagen der Betriebe am Milchmarkt sind in Deutschland sehr unterschiedlich. Im Norden und Osten Deutschlands gibt es oft größere Betriebe als in engen Tälern Bayerns. Der von den Molkereien für die austauschbare Ware Milch bezahlte Preis dürfte sich im Vergleich dazu weniger unterscheiden. Die Frage, ob sich für die Bauern bio oder konventionell eher lohnt, hängt also vom Einzelfall ab - genauso wie die Bandbreite der Haltungsbedingungen groß ist.
In Altenbeken wappnen sich die Drillers mit Technik für die Zukunft. Sie diskutieren eine Erweiterung des Stalls und ob sich ein zweiter, gut 170.000 Euro teurer Melkroboter lohnt. Denn seit eine 3D-Kamera die Euter scannt und die Maschine die Zitzen automatisch reinigt und anschließend melkt, haben Andreas und Franz-Josef Driller auch mehr Freiheit für neue Pläne. Ein neuer Roboter mache ihre Milch allerdings noch teurer - um etwa zwei Cent pro Kilogramm.