Telekom-Prozess Tiefenbohrung in das T-System

Telekom-Zentrale in Bonn: Auftakt im Mammut-Prozess
Foto: ddpHamburg - Wird die letzte Chance zur Aufklärung genutzt? Oder verspielt? Wenn sich an diesem Freitag gegen neun Uhr im Saal 0.11 des Bonner Landgerichts die Kontrahenten treffen, wird diese Frage im Raum stehen. Es geht um die , ein Großprozess beginnt, in dem sich hochrangige Beschuldigte zu jenen Aktionen im Schattenreich der Telekom äußern müssen, die die Bundesrepublik nach ihrer Enthüllung empört haben wie wenige Datenskandale zuvor. Beschuldigte in den Chefetagen hat die Staatsanwaltschaft trotz zahlreicher Hinweise nie festnageln können - und deshalb ist nicht im mindesten abzusehen, wie die Antwort auf die Frage ausfällt.
Es ist wie eine Bohrung in die Tiefen eines skandalösen Systems bei der Telekom. Durch die Affäre ist seinerzeit der rosa Riese zu Big Brother mutiert, und nun soll im Prozess das Psychogramm eines zeitweise paranoiden Konzerns gezeichnet werden.
Jahrelang ließ der Konzern Telefondaten von Gewerkschaftern, Journalisten und Aufsichtsräten von einer Spezialfirma auswerten, massenhaft und systematisch. Das Unternehmen steht außerdem im Verdacht, mehr als hunderttausend Euro für einen Spion ausgegeben zu haben, der herausfinden sollte, welcher Telekom-Aufsichtsrat einen Mitarbeiter der Zeitschrift "Capital" mit geheimen Informationen versorgt. Die Existenz eines solchen Maulwurfs konnte nie hieb- und stichfest nachgewiesen werden, doch es stellt sich die Frage, warum die Telekom bereit war, für eine solche Aktion Geld zu zahlen.
Für die Republik geht es um die Aufklärung eines Skandals, den es in einem Konzern wie der Telekom nie hätte geben dürfen, dessen Geschäftsgrundlage es ist, die Daten seiner Millionen Kunden kompromisslos zu schützen. Ausgerechnet dieser Konzern hat diese Pflichten im großen Stil und über Jahre hinweg ignoriert und ausgehebelt.
Letzter Versuch der Aufklärung
Wie konnte es dazu kommen? Waren das die Eskapaden einer durchgeknallten Konzernsicherheit? Oder kamen die Anweisungen für die Spähaktionen direkt aus Vorstand und Aufsichtsrat? Es ist nicht sehr plausibel, dass Mitarbeiter aus dem mittleren Management aus eigenem Antrieb damit angefangen haben sollen, große Mengen Telefondatensätze auszuwerten. Doch der endgültige Beweis, dass die Order dafür von weiter oben, vielleicht von ganz oben, kam, wurde nie erbracht.

Es sind vor allem diese Fragen, um die es im Telekom-Prozess offiziell geht. Und ihre Beantwortung hängt hauptsächlich von zwei Männern ab. Der eine heißt Friedrich Apostel, er ist Oberstaatsanwalt und in der Affäre der Chefankläger. Vor Gericht lässt er sich vom Staatsanwalt Ulrich Kleuser vertreten. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat sich bei der Aufklärung von "Telekomgate" nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Ihr ist der Kronzeuge umgekippt, und damit ist die Aufklärung der Affäre fast unmöglich geworden.
Der andere Mann heißt Klaus Trzeschan, er war Leiter der Telekom-internen Sicherheitsabteilung KS3 und ist jetzt der Hauptangeklagte. Er will vor allem seinen Hals aus der Schlinge ziehen.
Die Staatsanwaltschaft wird Trzeschan im Laufe der Verhandlungen hart angehen, wird zeigen, dass sie alles versucht, die Affäre doch noch aufzuklären. Und Trzeschan? Er will kooperieren. "Mein Mandant wird umfänglich aussagen", sagte Trzeschans Anwalt Hans-Jörg Odenthal am Donnerstag dem "Handelsblatt".
Schwere Vorwürfe gegen Zumwinkel und Ricke
Es klingt wie ein Versprechen. Der, der am meisten über die Affäre wissen soll, könnte endlich sein Schweigen brechen. Er könnte Hintergründe und Drahtzieher der Affäre vielleicht doch noch benennen. Zumindest aber lässt sein Auftritt Apostel in einem besseren Licht erscheinen. Je mehr die Staatsanwaltschaft an Aussagen vom Hauptangeklagten bekommt, desto besser steht sie öffentlich da.
Apostels bisherige Ermittlungsstrategie war wenig erfolgreich. Er stützte sich ganz auf seinen Hauptbelastungszeugen Michael Hoffmann-Becking, einen der angesehensten Anwälte der Republik. Der arbeitete im September und Oktober 2005 34 Tage für Ex-Konzernchef Kai-Uwe Ricke und Ex-Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel. Nach eigenen Angaben gab er Ricke und Zumwinkel bei den Spähaktionen, die nun vor Gericht aufgearbeitet werden sollen, seinerzeit rechtliche Tipps.
Im Juni 2008, in einer ersten Vernehmung durch die Telekom-Fahnder, belastete er die beiden Top-Manager schwer. Nach SPIEGEL-Informationen sagte Hoffmann-Becking unter anderem Folgendes aus:
- Zumwinkel und Ricke hätten genau gewusst, dass Telefondaten ausgespäht wurden - nämlich die des Aufsichtsrats Wilhelm Wegner.
- Zumwinkel und Ricke sollen über einen angeblichen "Maulwurf" im Verlag Gruner + Jahr im Bilde gewesen sein, der Wegner als Quelle eines dort arbeitenden Journalisten outen sollte.
Gescheiterte Ermittlungsstrategie
Von Trzeschan gibt es obendrein einen Vermerk aus dem Jahr 2005. Der Ex-Sicherheitschef notierte darin, Zumwinkel habe persönlich angeordnet, Geld an den angeblichen Maulwurf der Telekom bei Gruner + Jahr "geräuschlos" zu zahlen. Zumwinkel und Ricke indes stritten jede Mitschuld an der Späh-Affäre ab.
Die Staatsanwaltschaft steckte Trzeschan in Untersuchungshaft, offenbar in der Hoffnung, ihn weichzuklopfen. Doch dann passierte etwas, das Apostel und seine Truppe nicht vorhergesehen hatten: Trzeschan schwieg beharrlich - und Hoffmann-Becking machte einen Rückzieher.
Der Düsseldorfer Anwalt berief sich plötzlich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. Er sei nicht ordnungsgemäß von seinen damaligen Mandaten entbunden worden, sagte er. Tatsächlich war Hoffmann-Becking nur von der Telekom - nicht aber von Zumwinkel und Ricke - von seiner anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht befreit worden.
Apostel stand plötzlich mit leeren Händen da. Im Juni gab er bekannt, die Ermittlungen gegen Zumwinkel und Ricke seien eingestellt worden - "aus Mangel an Beweisen".
Apostels größte Hoffnung
Im nun startenden Verfahren dürfte sich Hoffmann-Becking weiter auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Theoretisch kann das Gericht ihm ein Ordnungsgeld oder Beugehaft von bis zu sechs Monaten androhen - und so versuchen, ihn doch noch zur Aussage zu bewegen. Ausgang ungewiss.
Bleibt Klaus Trzeschan. Aus seinem Umfeld ist zu hören, ihm stehe das Wasser bis zum Hals, auch finanziell habe er Sorgen. Immerhin beschuldigt man ihn nicht nur des Verstoßes gegen das Fernmeldegeheimnis. Er soll auch Geld veruntreut haben, unter anderem einen Teil jener Zahlung für den angeblichen Maulwurf bei Gruner + Jahr. Insgesamt drohen ihm Schulden in Höhe von mehreren hunderttausend Euro - und eine Haftstrafe.
Genug Drohpotential, um die Schlüsselfigur Trzeschan zum Plaudern zu bringen, ihn dazu zu zwingen, Zumwinkel und Ricke doch noch zu belasten. Doch wie glaubwürdig sind die Aussagen eines Angeklagten, der so stark unter Druck steht? Was weiß Trzeschan? Was ist er bereit zu sagen?
Klar ist nur eins: Apostel muss seine Hoffnungen auf Trzeschan setzen. Etwas Besseres hat er nicht.