
Hochgeschwindigkeitszüge TGV: Glänzende Zeiten sind vorbei
Frankreichs Prestigebahn TGV Mit 320 km/h in die roten Zahlen
Die meist silberfarbenen, aerodynamisch-schlanken TGV ("Train à Grande Vitesse") waren in Frankreich stets mehr als nur ein Transportmittel. Seit dem Start der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Paris und Lyon 1981 stand das Kürzel für den französischen Fortschritt - genauso wie die heimischen Atomkraftwerke oder der Überschallflieger "Concorde". "Der TGV war der Inbegriff der Modernität und der Technologie", erinnerte sich unlängst das Wirtschaftsblatt "Les Echos". "Er war das Sinnbild für das, was unser Land am besten produzieren kann."
Länger, schneller, weiter - Der TGV jagte immer neue Rekorde:
Damit ist es vorbei. In einem harschen Rapport für die Regierung rügt Frankreichs Rechnungshof die Kosten für Betrieb und Ausbau des TGV-Netzes. Die obersten Kontrolleure beanstanden bei Regierung und Bahnunternehmen, dass sie sich zu sehr auf das Thema Hochgeschwindigkeit eingeschossen hätten, trotz astronomisch steigender Investitionskosten. Die Gewinnmargen im operativen Geschäft des TGV seien, gemessen am Umsatz, "zwischen 2008 und 2013 von 29 Prozent auf 11,4 Prozent abgesackt", heißt es im Bericht. Müsste das Bahnunternehmen SNCF selbst für das Schienennetz aufkommen, würden die Zahlen in den tiefroten Bereich rutschen.
Schuld an dem Zustand ist paradoxerweise der Erfolg des lange gepflegten Aushängeschilds. Frankreichs Regierungen aller Couleur trieben den flotten Ausbau des TGV-Netzes eifrig voran, angefeuert von immer neuen Höchstleistungen. Im April 2007 erreichte ein Experimentalzug auf der Osttrasse Richtung Nancy-Paris den Topwert von 574,8 Stundenkilometern - Weltrekord.
Bis die Schienen zitterten: SNCF-Aufnahmen zeigen den Weltrekord von 2007:
Spitzenmäßig auch der Zuspruch der Öffentlichkeit: Anfang 2013 feierte die SNCF mehr als zwei Milliarden transportierter Passagiere. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, der zu seiner Amtszeit gleich vier verschiedene Strecken abnickte, sagte überschwänglich: "Der TGV ist Frankreich".
TGV im Bummeltempo
Noch immer gilt der TGV als Prunkstück der einheimischen Industrie. Typisches Beispiel: Als in diesem Frühjahr Siemens und der US-Konzern General Electric um den Erwerb von TGV-Hersteller Alstom kämpften, stieg am Ende der Staat als Aktionär bei dem Traditionshersteller ein - unter Beifall der Öffentlichkeit.
Abseits der Ballungszentren gilt der Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz als unerlässlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Abgeordnete, Senatoren und Regionalpräsidenten rivalisieren um die prestigeträchtige Anbindung. Der Bau von TGV-Strecken kurbelt nicht nur das örtliche Baugewerbe an, sondern befördert bisweilen auch die eigene Karriere; die Zahl der bedienten Städte stieg daher auf rund 230.
Wegen der hohen Investitionen (rund 30 Millionen Euro je Schienenkilometer) mussten Politik, Bahn und Streckenbetreiber dabei bisweilen bizarre Kompromisse eingehen. Entweder die modernen Stationen entstanden fern der regionalen Zentren, mit negativen Konsequenzen für die Auslastung, oder der TGV wurde umgeleitet auf das klassische Schienennetz. 40 Prozent der Züge fahren laut Rechnungshof nicht mit der höchsten Reisegeschwindigkeit von 320 Stundenkilometer durch Frankreich, sondern sind wesentlich gemächlicher unterwegs. In der Bretagne oder im Elsass etwa ist der TGV im Bummeltempo zu beobachten.
SNCF reagiert mit Billigangeboten
Frankreichs Bahn steht auch finanziell unter Druck. Die öffentlichen Verwalter des Schienennetzes (RFF) sind laut SNCF durch den Unterhalt und den Ausbau der Strecken tief verschuldet. Die Belastungen legt die Bahn wenigstens teilweise auf die Fahrkarten um. Die Folge: Ständig steigende Preise bei den TGV-Tickets und damit seit zwei Jahren sinkende Kundenzahlen. Frankreichs Reisende setzen inzwischen zunehmend auf Discountflieger, Busse oder Mitfahrgelegenheiten.
Die SNCF reagiert auf die Herausforderung mit Billigangeboten und einer eigenen Low-Cost-Gründung: Unter dem Logo "OUIGO" verkehren seit vergangenem Jahr vier TGV-Züge zwischen dem Pariser Vorortbahnhof Marne-la-Vallée und dem Südosten Frankreichs. Selbst über den Einstieg ins Flug- oder Busgeschäft wurde schon nachgedacht, um die SNCF wieder in profitablere Zonen zu steuern.
Die Kritik des Rechnungshofes weist SNCF-Chef Guillaume Pepy entschieden zurück. Die Vorwürfe richteten sich nicht an die Bahn, sondern an die Regierung und ihre Pläne für Neuinvestitionen beim nationalen Streckennetz. "Der TGV macht Gewinn, nicht genug nach unserem Geschmack, aber er macht Gewinn", sagt Pepy.
Durch Einsparungen und verminderten Komfort könnten die Erträge künftig gesteigert werden. Das bedeutet: weniger Bistrowagen, engere Grenzen bei Ticket-Erstattungen und - zunächst für die erste Klasse - teurere Fahrkarten.