Affäre um Dax-Konzern Treuhandkonten mit Milliarden existieren laut Wirecard wohl nicht

Firmenzentrale in Aschheim: Unternehmen steht unter erheblichem Druck
Foto: Sven Hoppe/ dpaDer Vorstand des Bezahldienstleisters Wirecard geht nach einer Mitteilung aus der Nacht zu Montag davon aus, dass die Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden Euro "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". Die Gesellschaft war bisher von der Existenz dieser Konten ausgegangen und hatte sie als Aktivposten ausgewiesen.
Gleichzeitig nahm Wirecard die vorläufige Einschätzung des Geschäftsjahres 2019 zurück. "Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden", heißt es in der Mitteilung weiter .
Schon am Freitag hatten die philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands mitgeteilt, dass der deutsche Dax-Konzern kein Kunde bei ihnen sei. Dokumente externer Prüfer, die das Gegenteil besagten, seien gefälscht. Auf den Konten der beiden Banken hätte die Summe eigentlich liegen sollen.
Wirecard konnte bislang keinen Nachweis über das Vorhandensein der 1,9 Milliarden Euro erbringen. Das Geld entspricht rund einem Viertel der Bilanzsumme des Aschheimer Zahlungsverkehrsdienstleisters. Da die Wirtschaftsprüfer von EY (vormals Ernst & Young) in der Folge das Prüfsiegel für den Jahresabschluss verweigerten, könnten Banken Wirecard nun weitere Finanzmittel verweigern. Dann könnten für das Unternehmen die Lichter ausgehen - ein Fall von historischem Ausmaß in der Wirtschaftsgeschichte.
Die Aktie verzeichnet seit Tagen erhebliche Verluste. Auch intern kracht es gewaltig. Am Donnerstag wurde zunächst Jan Marsalek, einer der vier Vorstände des Unternehmens, freigestellt. Am Freitag verkündete dann der langjährige Konzernchef Markus Braun seinen sofortigen Rücktritt.
Mark Tolentino, Anwalt mit Kanzlei im philippinischen Finanzzentrum Makati City, ist nach SPIEGEL-Informationen der Treuhänder jener 1,9 Milliarden Euro, auf die Wirecard angeblich Anspruch hat und die der Bilanzprüfer EY bislang vergeblich sucht. Tolentino ist derzeit abgetaucht.
Anwalt war auch in Radiosendungen sehr präsent
Auf der Website seiner Kanzlei wird Tolentino als "jung, dynamisch und aggressiv" beschrieben. Seinen Kunden stehe er als erfahrener Streitschlichter zur Seite, vor allem als Experte in Familienrecht. Überdies kenne er sich generell im Geschäftsleben ("Business") sowie mit Immigrationsgesetzen und Kryptowährungen aus. Ein bunter Strauß juristischer Kompetenzen also, die er Rechtssuchenden in persönlichem Kontakt, aber auch diversen Radiosendungen vermittelt; die entsprechenden Sendefrequenzen liefert er im Netz gleich mit.
Hilfe hat sich Wirecard einstweilen bei der Investmentbank Houlihan Lokey geholt, ein Spezialist für schwierige Restrukturierungen und Insolvenzfälle, bei dem ab Juli Ex-Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret als Berater anfangen wird.