Trotz Energiewende Deutschland erzeugt deutlich mehr Strom aus Kohle

Kohlekraftwerk nahe dem Tagebau Garzweiler: Insgesamt ging die Stromerzeugung aus konventionellen Energieträgern um drei Prozent zurück
Foto: Christoph Hardt / Panama Pictures / IMAGOAngesichts des Ukrainekriegs wird Kohle für die Energieversorgung in Deutschland wieder wichtiger. Im Sommerquartal kletterte die Einspeisung von Kohlestrom auf Jahressicht um 13,3 Prozent, wie das Statistische Bundesamt mitteilte.
Damit stammte der ins Netz eingespeiste Strom zwischen Juli und September zu mehr als einem Drittel (36,3 Prozent) aus Kohlekraftwerken, während es im dritten Quartal 2021 nur 31,9 Prozent waren.
Trotz hoher Gaspreise stieg auch die Stromerzeugung aus Erdgas: Sie war 4,5 Prozent höher als im Vorjahresquartal und machte 9,2 (Vorjahresquartal: 8,8) Prozent des eingespeisten Stroms aus. Somit wurde erstmals seit dem Frühjahr 2021 wieder mehr Strom aus Erdgas erzeugt als im jeweiligen Vorjahreszeitraum.
Insgesamt wurden im Sommer 2022 in Deutschland 118,1 Milliarden Kilowattstunden Strom ins Netz eingespeist – also 0,5 Prozent weniger als vor einem Jahr.
Sonniger Sommer: 20 Prozent mehr Solarstrom
Wegen des russischen Einmarschs in die Ukraine versucht Deutschland sich von den enormen Energielieferungen aus Russland unabhängiger zu machen. Dies fällt vor allem bei Gas schwer. Deshalb setzt die Ampelkoalition wieder stärker auf Kohle und Atomstrom.
Trotz der Anstiege bei der Stromerzeugung aus Kohle und Erdgas ging die aus konventionellen Energieträgern insgesamt erzeugte Strommenge um drei Prozent zurück. Der Anteil an der eingespeisten Strommenge fiel auf 55,6 Prozent, von 57,0 Prozent vor einem Jahr. Das lag auch daran, dass nur noch gut halb so viel Atomstrom erzeugt und ins Stromnetz eingespeist wurde wie ein Jahr zuvor.
Sonniger Sommer hübscht die Bilanz auf
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne und Wasser stieg dagegen im dritten Quartal um 2,9 Prozent. Der Anteil an der gesamten Stromerzeugung kletterte binnen Jahresfrist von 43,0 auf 44,4 Prozent. Aufgrund der »ungewöhnlich hohen Zahl an Sonnenstunden« im Sommer gab es gut 20 Prozent mehr Solarstrom.
Der Internationalen Energieagentur IEA zufolge liegt in der aktuellen Transformation auch Potenzial für den weltweiten Ausbau erneuerbarer Energien in den Bereichen Strom, Verkehr und Wärme bis 2027.
Der Kapazitäten-Zuwachs werde sich in den nächsten fünf Jahren fast verdoppeln und damit Kohle als größte Stromerzeugungsquelle ablösen, schreibt die Organisation in ihrem Bericht »Renewables 2022 «.
Bürokratie als Bremser
Die IEA erwartet bis 2027 einen Anstieg der weltweiten Stromerzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien um 2400 Gigawatt (GW) – das entspricht der gesamten aktuellen Stromerzeugungskapazität Chinas.
Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena), sagte: »Die IEA sieht den Durchbruch der erneuerbaren Energien in kurzer Zeit voraus. Bedingt durch den beschleunigten Umbau des Energiesystems durch die Energiekrise sind das sehr gute Nachrichten für den Klimaschutz.«
Er verwies auch auf den weltweit geplanten Ausbau der Wasserstoffwirtschaft. Zugleich zeigt der IEA-Bericht laut dena auch, dass Deutschland und Europa den Anschluss zu verlieren drohen. Der Grund: verkrustete überregulierte Strukturen und überbordende Bürokratie.
Deutsche Gasförderung sollte ausgebaut werden
Die Wirtschaft appellierte indes an die Bundesregierung, alle verfügbaren Ressourcen zur Stromerzeugung zu nutzen. »Der Ausbau erneuerbarer Energien ist massiv zu beschleunigen, ebenso wie der Bau von Gaskraftwerken, die später Wasserstoff verbrennen können«, heißt es in einem Papier einer Expertengruppe um den Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest.
»Kernkraftwerke sollten erst dann abgeschaltet werden, wenn andere Kraftwerke zur Verfügung stehen, die kein CO₂ ausstoßen«, schreiben Fuest, sein Vorgänger Hans-Werner Sinn sowie die Unternehmer Christoph Theis und Roland Berger. Sie forderten zudem den Ausbau der heimischen Gasförderung und schnellere Planungsverfahren für erneuerbare Energien.
Deutschland sollte auch die Kooperation mit Partnerländern vertiefen, fordern die Autoren. Der Strommarkt sollte umfassend geöffnet und flexibilisiert werden. Derzeit verhinderten starre Regulierungen die Nutzung von dezentralen Erzeugern.
So könne man E-Autos beispielsweise als Stromspeicher einsetzen. Zum Ausgleich von sehr kurzfristigen Schwankungen bei erneuerbaren Energien könne dies den Bau von zehn Gaskraftwerken überflüssig machen.