Twitter-Börsengang Die Zwitscher-Wette

79 Millionen Dollar Verlust, ein Geschäftsmodell, das erst noch reifen muss - und dennoch drängt Twitter an die Börse. Marktexperten schätzen den Wert der Firma gar auf 15 Milliarden Dollar. Was steckt hinter dem Hype?
Twitter-Logo: Eine Milliarde Dollar durch Börsengang

Twitter-Logo: Eine Milliarde Dollar durch Börsengang

Foto: LEON NEAL/ AFP

Hamburg - Witze kursieren genug, am Tag eins nach Veröffentlichung von Twitters Börsenprospekt . Vor allem - selbstredend - auf dem Kurznachrichtendienst. "Ehe Sie Twitter-Aktien kaufen, sollten Sie wissen, dass der Kurs wegen technischer Beschränkungen nie über 140 Dollar steigt", schreibt einer - in Anspielung auf die Grenze von 140 Zeichen bei via Twitter versendbaren Botschaften.

Andere wundern sich über den Hype, den die einstige Start-up-Klitsche aus Downtown San Francisco nach gerade sieben Jahren Firmengeschichte unter Börsianern auslöst. "Für eine Firma, die angeblich das nächste große Ding in der Online-Werbung ist, verliert Twitter noch immer sehr viel Geld", schreibt Robert Hof, ein langjähriger Beobachter der IT-Branche, im US-Wirtschaftsmagazin "Forbes". 

Verständlich ist solch Misstrauen durchaus. Denn wie dem Börsenprospekt zu entnehmen ist, machte das Unternehmen, dessen Anteile schon ab November unter dem Kürzel TWTR an der Wall Street gehandelt werden könnten, im vergangenen Jahr 79,4 Millionen Dollar Verlust; 2011 waren es sogar 164 Millionen Dollar. Gleichzeitig will Twitter durch seinen Börsengang rund eine Milliarde Dollar einnehmen, und Marktexperten schätzen den Firmenwert auf 10 bis 15 Milliarden Dollar.

Fragt sich: Was steckt dahinter? Und wer will Aktien einer solchen Firma kaufen?

Offensichtlich nicht nur irre Wall-Street-Zocker. Die roten Zahlen seien kein Thema, sagte Brian Wieser, Analyst beim Wirtschaftsinformationsdienst Pivotal Research. "Ein Plus wäre eine Überraschung gewesen." Twitter umwerbe mögliche Investoren nicht mit Gewinnen, sondern mit der Aussicht darauf. Und mit einem kräftigen Umsatzwachstum.

200 Prozent Umsatzplus

Von 2011 bis 2012 sind die Erlöse um fast 200 Prozent gestiegen, auf rund 317 Millionen Dollar. Im laufenden Jahr peilt Twitter eine erneute Verdopplung auf etwa 600 Millionen Dollar an. Die radikale Expansion kostet Geld, viel Geld. Daher die Verluste.

Tatsächlich könnte das Unternehmen bald profitabel sein. Denn Twitters Einnahmen, die zu mehr als 80 Prozent aus dem Anzeigengeschäft kommen, sind rasch gestiegen. Lange hatte das Unternehmen überhaupt kein Werbegeschäft; die Gründer verzichteten darauf, um Nutzer nicht zu verschrecken. 2010 startete die Firma erste Versuche - und nahm gut sieben Millionen Dollar mit Anzeigen ein. Im ersten Halbjahr 2013 erlöste Twitter bereits 221 Millionen Dollar mit Werbung.

Und die Einnahmen sollen weiter wachsen. Gerade hat Twitter MoPub gekauft, eine Plattform für Anzeigen im mobilen Internet, die als äußerst effektiv gilt. Man wolle MoPub nicht nur ins eigene Angebot integrieren, heißt es in Twitters Börsenprospekt, sondern auch MoPubs bestehendes Geschäft ausbauen. Sprich: Twitter will künftig mehr Geld mit dem Verkauf von Anzeigen im mobilen Internet verdienen - auch wenn es keine Twitter-Anzeigen sind.

Apropos mobiles Internet: Die Facebook-Aktie schmierte nach dem Börsendebüt zunächst ab, weil Anleger anfänglich bezweifelten, dass das soziale Netzwerk eine funktionierende Strategie für die mobile Ära hat. Bei Twitter werden laut Börsenprospekt schon jetzt rund 65 Prozent der Werbeerlöse auf Smartphones und Tablet-Computern erwirtschaftet. Kein Wunder: Schließlich greifen von den 100 Millionen Nutzern, die Twitter täglich nutzen, rund 75 Prozent von mobilen Endgeräten aus zu.

Unreifes Geschäftsmodell

Das sind alles sicher Pluspunkte für Twitter. Dennoch bleibt ein Investment in die Firma riskant. Denn das Erlösmodell der Kurznachrichtendienstes ist zum Börsengang noch recht unreif.

  • Anders als Twitter war Facebook vor dem Marsch an den Aktienmarkt zumindest schon profitabel. Rund eine Milliarde Euro hatte das soziale Netzwerk im Jahr vor seinem Börsengang verdient, bei einem Umsatz von 3,7 Milliarden Dollar.
  • Die Zahl seiner aktiven Nutzer bezifferte Facebook seinerzeit auf 845 Millionen Menschen. Twitter kommt auf gut ein Viertel davon, laut Börsenprospekt sind gut 215 Millionen mindestens einmal im Monat auf der Plattform. Das Wachstum der aktiven Nutzer war im zweiten Quartal abgeflaut.
  • Twitter ist stark vom US-Markt abhängig. Rund 75 Prozent der Umsätze werden im Heimatmarkt erwirtschaftet, obwohl gut 75 Prozent der monatlich aktiven Nutzer aus anderen Ländern stammen.
  • Weil Twitter auf rasches Reichweitenwachstum setzt, sind die Erlöse pro Anzeige zuletzt stark gefallen. Seit dem zweiten Quartal sind sie um 46 Prozent geschrumpft.

Skepsis ist also angebracht. Insgesamt aber hat Twitter gute Chancen, bald profitabel zu sein und in den kommenden Jahren weiter kräftig zu wachsen.

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