Verurteilter UBS-Zocker Kweku Adoboli "Ich bin ein sozialer Aufsteiger"

Ex-UBS-Händler Kweku Adoboli: Früher ein Star, heute im Gefängnis
Foto: STEFAN WERMUTH/ REUTERSEr sieht müde aus. Kweku Adoboli steht täglich um 5 Uhr auf, weil das gute Programm der BBC-Weltnachrichten nach 6 Uhr dem Frühstücksfernsehen mit all seinen Banalitäten weichen muss. Das mag er nicht. Jetzt, an diesem Freitagnachmittag gegen 14 Uhr, ist mehr als die Hälfte seines Tages schon vorbei. Normalerweise nimmt er jetzt an der Chorprobe teil. Extra für meinen Besuch lässt er sie heute sausen. Das sei schon in Ordnung so, sagt er: "Ich will ja nicht institutionalisiert werden."
Sieben Monate sind seit Adobolis Verurteilung vergangen, die meiste Zeit davon hat er im Gefängnis The Verne verbracht, hoch über dem Ärmelkanal. Fast drei Stunden dauert die Fahrt von London, frische Seeluft füllt die Lungen. Beim netten Schließer muss ich alles abgeben, was ich nicht direkt am Körper trage - Taschen, Stifte, Notizbücher, natürlich auch das Mobiltelefon. Es folgen Metallschleusen und Abtasten, wie auf einem Flughafen mit ungewöhnlich sorgsamem Sicherheitspersonal. Mit anderen Besuchern gelange ich über eine Treppe in den Saal, wo kleine Sitzgruppen mit Plastikgestühl für je vier Personen auf uns warten.
In einer Ecke serviert ein netter junger Mann Kaffee und Tee, dazu trockene Kekse. Mir wird diesmal die Sitzgruppe 36 zugewiesen, die ich zunächst gar nicht finden kann. Das liegt daran, dass der Tisch am Rand steht, mit weichen Polstersesseln. Ja, sagt Adoboli, als er fünf Minuten später kommt, und lacht ironisch: "Ich bin ein sozialer Aufsteiger."
Adoboli ist überzeugt, nicht kriminell gehandelt zu haben
The Verne ist ein Gefängnis der Kategorie C mit vergleichsweise großzügigen Bedingungen für mehr als 500 zu längeren Haftstrafen Verurteilte. Hier lebt seit einigen Monaten jener junge Mann, der vor zwei Jahren mit seinen Geschäften in London die größte Bank der Schweiz, die UBS, an den Rand des Ruins trieb. 2,3 Milliarden Dollar Verlust gingen auf sein Konto, der größte illegale Handelsverlust der britischen Börsengeschichte. Adoboli wurde deshalb im vergangenen November zu sieben Jahren Haft verurteilt, wegen "Betrugs durch Missbrauch einer Vertrauensposition".
Dass ihn die Geschworenen gleichzeitig vom Vorwurf der Bilanzfälschung freisprachen, interpretiere ich als schwere Demütigung für die UBS - Gewissheit gibt es nicht, weil die Jury niemals Erklärungen abgibt. Aber der einstige Star-Trader hatte im Prozess freimütig zugegeben, dass er eine Schattenbuchhaltung führte. Sein ausgeklügeltes System von Luftbuchungen, Überschreitung seiner Handelslimits und Terminmissachtung brachte der Bank gut zwei Jahre lang hohen Gewinn. Merkwürdigerweise fiel deren Revisoren die Missachtung aller Regeln erst auf, als Adoboli noch höheren Verlust machte.
Mich hat an Adoboli von Anfang an vor allem interessiert, was dieser Fall über seine Branche und unsere Gesellschaft aussagt. Der verurteilte Betrüger selbst ist bis heute der Überzeugung, nicht kriminell gehandelt zu haben. Der Strafprozess im vergangenen Herbst vermittelte tiefe Einblicke in die Welt einer Investmentbank. Die City of London, der wichtigste internationale Finanzplatz der Welt, steckt voller Leute, die - völlig legitim - möglichst rasch möglichst viel Geld verdienen wollen. Ein Verantwortungsgefühl für die weitere Gesellschaft kennen sie nicht.
"Die UBS war doch meine Familie"
Adoboli wirkte nicht nur auf mich anders: als einziger Sohn geprägt von tiefem Verantwortungsgefühl für seine westafrikanische Familie, umgeben von einem treuen Freundeskreis, höflich und zuvorkommend gegenüber seiner Umwelt. In seiner Aussage vor Gericht hatte er stets betont, wie wichtig ihm die Arbeit für die Großbank gewesen war. "Die UBS war doch meine Familie. Ich lebte nur für die Arbeit."
Dieser Gegensatz beschäftigte mich. Er war wohl auch der Grund, warum ich eines Nachmittags nach Verhandlungsende auf den Beschuldigten zusteuerte. Ich stellte ihm die Frage, die mich schon seit Wochen beschäftigt hatte: "How could you?" - Wie konnten Sie nur?
Meine Frage zielte gar nicht auf den Milliardenverlust - Adoboli hatte gegen geltendes Recht und Gesetz verstoßen, an seiner Verurteilung hegte ich keinen Zweifel. Mich beschäftigte etwas anderes: Warum hatte dieser vielfach begabte Mann sein Glück ausgerechnet in der Finanzwelt gesucht? Warum war er auch im Prozess noch immer nicht in der Lage, sich dem nahezu sektenhaften Jargon der City-Zocker zu entziehen?
Am Ende wusste er nicht mehr, was richtig und was falsch war
Zu viele kluge, hervorragend ausgebildete, sozial kompetente junge Leute wie Adoboli sind in den vergangenen Jahrzehnten in einer Branche verschwunden, in der es zu viele Glücksspieler und zu wenig Aufsicht gab und gibt. Das ist schlecht für die Gesellschaft und häufig unheilvoll für die Betroffenen, gerade für die sensibleren unter ihnen. Im Prozess gegen Adoboli deutete manches darauf hin, dass der UBS-Angestellte in den Wochen, bevor sein Milliardenverlust bekannt wurde, einem Zusammenbruch sehr nahe war.
Im Ballsaal des globalen Casinokapitalismus, mitten in der City of London, konnte ein entwurzelter, vom Glamour des großen Geldes geblendeter junger Mann jahrelang eine Schattenbuchhaltung führen in einem Unternehmen, das ihm Ersatzfamilie geworden war. Am Ende, nach jahrelangen Falschbuchungen, hohen Gewinnen und noch viel gigantischeren Verlusten, wusste Adoboli nicht mehr, was richtig und was falsch war. Vieles spricht dafür, dass dies für seine Bank sowie das riskante Ende des Investmentbankgeschäfts insgesamt gilt.
Als ich ihm von meiner Buchidee berichtete, sagte er sofort seine Hilfe zu, ohne jemals Einfluss auf das Manuskript zu verlangen. Er beantwortete eine lange Liste meiner Fragen ausführlich, einmal sogar mit einem 30-seitigen Schriftsatz. So ist das Psychogramm eines Mannes entstanden, aber auch das Porträt eines Unternehmens mit spannenden Wurzeln und tiefsitzenden Problemen in einer Branche im Umbruch.
Wem dient diese Inhaftierung?
Ich habe das Buch "Verzockt" genannt, weil ich der Überzeugung bin: Viel zu viele der waghalsigen Spekulationen mit Finanzderivaten sind von Glücksspiel kaum zu unterscheiden. Adoboli sieht das ganz anders, sein früherer Arbeitgeber auch. Alle Investmentbanken, nicht nur die UBS, legen Wert auf die Feststellung, dass ihre Angestellten eben nicht Glücksspiel betreiben, sondern - ja, was denn? Was ist eigentlich "normal" in der Bankenwelt? Wie viel Gier ist erlaubt, wie wenig Rücksichtnahme auf die Gesellschaft, wie wenig Bezug zur Realwirtschaft?
"Wie konnten sie nur?" - das fragt die ungläubige Öffentlichkeit, seit der Finanz-Crash 2007/08 die Weltwirtschaft in die schwerste Krise seit 80 Jahren gestürzt hat. Nicht wenige wünschen sich, die Konzernverantwortlichen würden vor Gericht gestellt.
Kweku Adoboli trägt Zivilkleidung, keinen orangefarbenen Overall à la Guantanamo. Nach menschlichem Ermessen wird er noch mindestens zwei weitere Jahre seiner siebenjährigen Strafe absitzen müssen, dann droht ihm die Abschiebung in sein Heimatland Ghana. Einstweilen betreibt er seine Resozialisierung, singt im Kirchenchor fromme Choräle und träumt von der Zukunft mit seiner Freundin. Auf der Rückfahrt gehen mir viele Fragen durch den Kopf, vor allem diese: Wem dient diese Inhaftierung? Ich weiß keine Antwort.