Umsatzverlust durch Flugverbot Asche-Chaos belastet Airlines
Hamburg - Seit Donnerstag ist der Luftraum über Europa teilweise gesperrt, am Freitag fallen 60 Prozent aller Flüge aus. Das Chaos kostet die Airlines enorme Summen.
Wie hoch die Verluste für die Fluggesellschaften genau sind, ist noch nicht abzuschätzen. Das hängt vor allem davon ab, wie lange die Aschewolke des isländischen Vulkans den Flugverkehr noch beeinträchtigt. Analysten erwarten, dass die großen Airlines wie Lufthansa und British Airways ein tägliches Minus von rund 30 Millionen Euro verkraften müssen.
Die Aktien der Fluggesellschaften gehörten am Freitag denn auch zu den großen Verlierern an der Börse. Das Papier der Lufthansa verlor zeitweise 2,1 Prozent auf 13 Euro - das größte Minus aller Dax-Unternehmen. Die Titel von Air Berlin fielen um 1,3 Prozent auf 4,27 Euro. Auch die Billigflieger Ryanair und Easyjet mussten an der Börse deutliche Verluste hinnehmen.
In den Unternehmen ist die Stimmung angespannt, die Höhe der wirtschaftlichen Einbußen will niemand beziffern. Der Unmut über die Entscheidungen der Flugsicherheitsbehörden ist spürbar. Warum musste der europäische Flugverkehr zum großen Teil lahmgelegt werden? Ist das wirklich nötig oder Paranoia? Die Fluggesellschaften setzen darauf, dass die Behinderungen des Flugverkehrs zumindest rasch wieder aufgehoben werden.
Doch der Bundesverkehrsminister enttäuschte diese Hoffnungen am Freitag: Es sei "keine Prognose möglich", wann sich die Situation entspanne, sagte Peter Ramsauer in Hamburg. "Wir können nicht sagen, ob sich neue Staubwolken von der Nordsee her bilden." Bei der Entscheidung über die Dauer der Sperrung handele das Ministerium "auf Sicht". Der CSU-Politiker verteidigte die Sperrungen. Als Verkehrsminister sei er "dazu verpflichtet, für die Sicherheit im Luftverkehr zu sorgen".
Doch wie sehen die konkreten wirtschaftlichen Folgen für die Unternehmen aus? SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen:
Wie teuer wird die Aschewolke für die Airlines?
Die Fluggesellschaften rechnen damit, dass ihnen 200 Millionen Dollar (150 Millionen Euro) Umsatz am Tag entgehen. Das teilte der Branchenverband IATA mit. Dazu kämen noch Kosten für die Wiederherstellung des regulären Flugbetriebes und für gestrandete Passagiere, hieß es bei der Luftfahrtorganisation. Die IATA spricht von einer "ersten und konservativen Schätzung".
Europas Fluggesellschaften erwarten ein Umsatz-Minus von über 100 Millionen Euro. "An einem normalen Tag würden unsere Mitglieder mit Umsätzen von 200 Millionen Euro rechnen", sagte David Henderson, Sprecher des Verbandes der europäischen Fluggesellschaften AEA. Wenn 60 Prozent der Flüge ausfallen, müssten die Fluglinien einen Umsatzverlust von 120 Millionen Euro allein am Freitag hinnehmen.
Henderson geht ebenfalls davon, dass die Schlussrechnung über die Verluste und Schäden höher ausfällt, da die Fluggesellschaften sich zum Beispiel auch um Hotelbuchungen für gestrandete Passagiere kümmern müssten.
Zum Vergleich: Die Sperrungen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kosteten die Airlines nach Berechnungen der IATA bis zu zehn Milliarden US-Dollar Umsatz. Damals durften in den USA mindestens zwei Tage lang keine Verkehrsflugzeuge starten oder landen.
Von den einzelnen Fluggesellschaften gibt es keine Auskunft zur Höhe der Verluste. Ein Lufthansa-Sprecher sagte SPIEGEL ONLINE, er habe "keine Übersicht, wie sich die Lage entwickelt". So lasse sich derzeit nicht sagen, wie viele der rund 1800 Flüge am Tag umgebucht werden müssen oder ganz ausfallen.
"Einmalige Situation in der Nachkriegsgeschichte"
Als Größenordnung kann man jedoch den Pilotenstreik im Februar heranziehen. Er dauerte einen Tag, mit den logistischen Folgeproblemen bezifferte die Lufthansa den Gesamtschaden auf 48 Millionen Euro. Diesen Vergleich will der Sprecher aber nicht so stehenlassen: "Das ist reine Spekulation." Die Lage sei wegen des nur teilweise gesperrten Luftraums und der noch anfliegbaren Flughäfen eine ganz andere.
Auch Air Berlin nennt keine Zahlen. "Wir stehen in Kontakt mit den Behörden, wissen aber nicht, wie es weitergeht", sagte eine Sprecherin SPIEGEL ONLINE. Daher könne man die Verluste auch noch nicht einschätzen. "Das ist eine einmalige Situation in der Nachkriegsgeschichte", sagte die Sprecherin.
Versichert sind die Airlines übrigens nicht gegen die Schäden. Der Vulkanausbruch gelte als höhere Gewalt, teilten die Versicherer Munich Re und Allianz am Freitag mit. Höchstens in der Industrie könnte es zu Versicherungsfällen kommen - und auch das nur theoretisch. Denn in diesem Fall müsste die Vulkanasche zuvor Schäden an Industrieanlagen oder Maschinen angerichtet haben. Dies sei aber wegen der geringen Dichte der Partikel in der Aschewolke derzeit nicht zu befürchten, sagte ein Munich-Re-Sprecher.
Wie beurteilen Experten die wirtschaftlichen Folgen?
Die Sperrung des Luftraums trifft die Airlines in einer ungünstigen Phase. "Den Unternehmen geht es ohnehin schlecht, die Margen im Transatlantik-Verkehr sind äußerst gering, die Konkurrenz erdrückend", sagt Luftfahrtexperte Andreas Spaeth.
Stefan Schöppner, Analyst bei der Commerzbank, sieht jedoch keinen Grund zur Panik: "Für die Lufthansa zum Beispiel seien die Ausfälle "kalkulierbarer als beim Pilotenstreik". Im Februar sei das Problem gewesen, dass viele Kunden wegen des Streiks zu anderen Fluggesellschaften wechselten. Das sei dieses Mal nicht der Fall, weil die Sperrung durch die Aschewolke alle treffe.
"Entscheidend ist, wie lange der Flugverkehr beeinträchtigt ist", sagt Schöppner. Dies gelte vor allem für den Flughafen Frankfurt. "Da wird das Geld verdient. Wenn Frankfurt länger gesperrt ist, tut das den Airlines richtig weh."
Wer profitiert von den Ausfällen?
Erster Nutznießer ist zweifellos die Bahn. Das Unternehmen hat zusätzliche Züge und Mitarbeiter eingesetzt. "Es rollt alles, was rollen kann", sagte ein Sprecher. Die möglichen Mehreinnahmen wollte er allerdings nicht beziffern.
Wegen des erwarteten Andrangs bat der Sprecher um Verständnis, falls es zu Behinderungen kommen sollte. Passagiere der Lufthansa, die ihr Flugticket zur Bahnfahrt nutzen wollen sollten sich vor Fahrtantritt bei der Fluggesellschaft ein Voucher zu besorgen. Bislang gelte die Regelung, dass der Flugschein ohne weitere Kosten als Bahnfahrkarte genutzt werden kann, nur für die Lufthansa. Für German Wings oder Air Berlin gibt es keine entsprechende Abmachung.
Auch Autovermieter, Busunternehmen und Mitfahrzentralen profitieren von dem Flugchaos:
- "Die Nachfrage ist sprunghaft gestiegen", sagte ein Avis-Sprecher zu SPIEGEL ONLINE. Wer eine bestätigte Buchung habe, müsse sich keine Sorgen machen. Andere Kunden müssten jedoch damit rechnen, eventuell kurzfristig kein Fahrzeug zu bekommen. "Wir haben schwer zu tun, alle Buchungen zu bedienen."
- Viele Reisende steigen auch auf Busse um. Wegen der zusätzlichen Nachfrage werde die Kapazität um teils 500 Prozent aufgestockt, teilte die Deutsche Touring am Freitag in Frankfurt mit. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben der größte deutsche Anbieter im internationalen Linienbusverkehr. Von nahezu allen geschlossenen Flughäfen gebe es direkte und komfortable Verbindungen. Die Deutsche Touring hat 80 Abfahrtsorte in Deutschland und steuert 700 Ziele in 32 Ländern Europas an.
- Eine weitere Möglichkeit sind Mitfahrgelegenheiten. Das Portal www.mitfahrgelegenheiten.de meldet Rekordzugriffszahlen. "Wir können eine Steigerung von fast 30 Prozent im Vergleich zu den üblichen Zugriffszahlen verzeichnen", sagte Geschäftsführer Michael Reinicke. Besonders Verbindungen ab Hamburg, Berlin und Frankfurt seien gefragt.
Ist der deutsche Güter- und Postverkehr gefährdet?
Exporteure und Einzelhändler geben sich gelassen. Sie sehen für sich kaum negative Folgen angesichts des lahmgelegten Luftverkehrs. "Fast 98 Prozent der Exportgüter werden nicht per Flugzeug, sondern per Schiff, Bahn und Lkw befördert", sagte Jens Nagel, Geschäftsführer des Exportverbandes BGA. "Nur im Einzelfall kann es zu gravierenden Produktionsausfällen kommen, wenn etwa dringend benötigte Ersatzteile nicht per Luftfracht befördert werden können oder Fachpersonal nicht eingeflogen werden kann."
Auch der Einzelhandel rechnet nicht mit größeren Störungen. "Wir sind glücklicherweise nicht betroffen, weil so gut wie gar nichts per Luftfracht ins Land kommt", sagte der Logistikexperte des Branchenverbandes HDE, Ulrich Binnebößel. Lediglich einige leicht verderbliche Waren wie exotische Früchte und Pflanzen sowie Schnittblumen würden eingeflogen. "Vielleicht fehlt die eine oder andere Kiwi in den Geschäften, aber sonst sehe ich keine Behinderungen", sagte Binnebößel.
Deutlich dramatischer ist das Flugverbot für die Deutsche Post . Ein Sprecher der Frachttochter DHL bestätigte SPIEGEL ONLINE, dass es zu Verzögerungen kommen werde. Zwar habe man in Leipzig noch rechtzeitig Fracht in die Luft bekommen, bevor auch dieser für das Unternehmen strategisch wichtige Flughafen geschlossen wurde. Aber viele Lieferungen würden sich trotzdem verspäten. Zu den wirtschaftlichen Folgen könne er noch keine Angaben machen.