US-Ölkatastrophe Bohr-Bosse setzen auf Ausflüchte

Showdown im Senat: Stundenlang mussten Top-Manager von BP und Co. zum Öldrama an der US-Südküste Rede und Antwort stehen - gebracht hat es wenig. Die Bosse schoben sich gegenseitig die Schuld zu, Vorschläge zur Lösung der Krise blieben sie schuldig.
Öl-Bosse McKay, Newman und Probert: Wenig Schuldgefühle oder Gewissensbisse

Öl-Bosse McKay, Newman und Probert: Wenig Schuldgefühle oder Gewissensbisse

Foto: CHIP SOMODEVILLA/ AFP

Marmorsäulen, Kristalllüster, Eichenbänke von 1910: Der "Caucus Room" des US-Senats ist nicht nur der größte Raum im alten Russell Office Building auf Washingtons Kapitolshügel. Er ist auch der geschichtsträchtigste.

Die erste Anhörung fand hier im April 1912 statt. Anlass: der Untergang der "Titanic". Einen Monat lang berichteten 82 Zeugen von versäumten Chancen, von missachteten Regeln, von unverantwortlichen Verantwortlichen. Am Ende stand ein langer Ausschussbericht. Dessen Fazit: "Dieses Unglück unterstreicht die Notwendigkeit zusätzlicher Gesetzgebung."

Auch am Dienstag untersucht der Senat in Saal SR-325 das fatale Zusammenspiel von Mensch, Natur und Technik. Damals, so der Demokrat Robert Menendez, sei es um ein Schiff gegangen, das technologisch so fortschrittlich war, dass es angeblich nicht sinken konnte. Diesmal gehe es um eine Bohrinsel, die technologisch so fortschrittlich war, dass sie angeblich kein Öl verlieren konnte.

"Leider endeten beide technologischen Wunder in einer Tragödie."

Öltragödie im Golf von Mexiko

BP

Vor Menendez sitzen die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen der aktuellen : drei Manager, steif, grimmig. Es sind Lamar McKay, Präsident von BP America; Steven Newman, Vorstandschef von Transocean; und Tim Probert, Sicherheitschef von Halliburton. betrieb die unselige Ölplattform "Deepwater Horizon", Transocean war ihr Eigner, und Halliburton war dafür zuständig, den Bohrschacht zu zementieren.

Startschuss für den Anhörungsmarathon

Der Senat hat sie vorgeladen, um Ursachen, Hergang und Folgen der Ölpest auf den Grund zu gehen, drei Wochen nach der Explosion der "Deepwater Horizon". Es ist die erste in einer Reihe von Anhörungen - drei allein im Kongress, eine weitere begann ebenfalls am Dienstag in Louisiana, dem am schlimmsten betroffenen US-Bundesstaat.

Das Trio der Ölbohrer zeigt wenig Schuldgefühle oder Gewissensbisse. Die Drei zeigen nur mit dem Finger auf andere. Antworten auf offene Fragen geben sie keine.

"Transocean trug die Verantwortung für die Sicherheit der Bohroperationen", sagt BP-Mann McKay. "Verantwortlich" seien der Betreiber und der Vertragspartner, kontert Transocean-Vertreter Newman. Seine Leute hätten lediglich "die Instruktionen des Bohrinselbesitzers" befolgt, sagt Halliburton-Sprecher Tim Probert.

Die drei Männer lesen ihre Erklärungen vom Blatt ab, steif, reglos, mit kaum geöffneten Lippen. Vier Stunden später wiederholen sie ihre Statements wortgleich vor dem Umweltausschuss des Senats. Die Szenen kommen einem bekannt vor: In ähnlicher Manier reden sich auch die Wall-Street-Bosse um ihre Mitschuld an der Finanzkrise herum.

Durchsichtiges Spiel

Die Scharade ist durchsichtig, das entgeht auch den Senatoren nicht. "Niemand übernimmt hier Verantwortung", echauffiert sich der Demokrat Frank Lautenberg. "Ich möchte Ihnen sagen, dass wir alle gemeinsam drin stecken", schimpft Barbara Murkowski, die Top-Republikanerin im Ausschuss, deren Heimatstaat Alaska mit der Havarie des Tankers "Exxon Valdez" 1989 selbst Erfahrungen mit Öldesastern machte.

Doch BP hat es sich zur Strategie gemacht, den Schwarzen Peter anderen zuzuschieben. Er weise darauf hin, "dass dieser Unfall auf einer Bohrplattform passierte, die Transocean gehörte und von Transocean betrieben wurde", hatte BP-Chef Tony Hayward im SPIEGEL-Interview gesagt. Und als er am Montag auf einer Pressekonferenz mit einer besonders kritischen Frage konfrontiert wurde, antwortete er einfach nur: "Nächste Frage, bitte."

In Washington überlässt Hayward die Ausweichmanöver seinem Adlatus McKay. "Wir werden nicht ruhen, bis die Bohrung unter Kontrolle ist", beteuert der. Doch die Senatoren durchschauen das Spiel - vor allem McKays formelhafte, mehrfach wiederholte Versprechen, "alle legitimen Ansprüche" der Geschädigten zu zahlen.

"Definieren Sie 'legitim' für uns, bitte", fordert ihn die demokratische Senatorin Mary Landrieu mit bittersüßem Lächeln auf.

- "Begründete Ansprüche", windet sich McKay.

- "Ansprüche der Fischer?", fragt Landrieus Parteifreundin Maria Cantwell.

- "Legitime Ansprüche."

- Der Schifffahrt?

- "Legitime Ansprüche."

- Der Kommunen?

- "Legitime Ansprüche."

Es ist klar: Der BP-Konzern will seinen Schaden in Grenzen halten. Wobei selbst das Ökodrama im Golf von Mexiko für den Konzern relativ leicht wegzustecken sein dürfte. "Ich möchte darauf hinweisen", sagte Hayward zum SPIEGEL, "dass BP ein sehr großes Unternehmen ist und durchaus fähig, mit den finanziellen Konsequenzen dieses Ereignisses fertig zu werden."

Analysten halten finanziellen Schaden für verkraftbar

Diese Meinung teilen Marktanalysten. Mark Fletcher, Öl-Experte bei der Citigroup, tut selbst den jüngsten Kurseinbruch der BP-Aktie als "unverhältnismäßig" ab. "Eine potentielle Kostensumme von rund 700 Millionen Dollar brutto oder 450 Millionen Dollar netto scheint angemessen", schätzt er. "Das entspräche rund zwei Prozent des Jahresumsatzes." Fletcher erinnert daran, dass auch der Ölmulti Exxon nach dem Valdez-Unglück am Ende nur eine Milliarde Dollar Schadensersatz zahlen musste.

BP hat bisher nach eigenen Angaben gut 3,5 Millionen Dollar an 295 Geschädigte überwiesen - weniger als vier Prozent des BP-Tagesumsatzes. Der Marktwert des Unternehmens liegt derzeit bei 152 Milliarden Dollar, und BP ist noch immer der größte Ölproduzent im Golf von Mexiko.

Auch der Imageschaden für BP ist am Ende unerheblich. Die, die den Konzern hassen, dürften ihn nun noch mehr hassen. Die, die ihn stets verteidigt haben, werden sich auch von "Deepwater Horizon" kaum abbringen lassen.

Unfallursache unbekannt

Das Nachsehen haben die Betroffenen an der Küste. Mehrere Demonstranten sitzen mit im Ausschusssaal, sie halten Plakate hoch: "BP = Bad People." Einer ruft: "BP tötet Tiere, BP tötet Menschen, BP tötet den Planeten!"

Während sich der BP-Chef vor dem Senat windet, laufen weiter bis zu 95.000 Liter Rohöl aus - pro Tag. Umwelt-, Tourismus- und Fischereiexperten zeichnen vor dem Senat ein erschreckendes Bild der Folgen. "Deepwater Horizon" könnte jahrzehntelange ökologische Folgen haben, warnt Ozeanografin Meg Caldwell von der Stanford University. "Das wird nicht auf Dollar zu reduzieren sein."

Wie es zu diesem bisher schlimmsten BP-Unfall kommen konnte, bleibt ungeklärt. War es der "Blowout Preventer", das Gerüst aus Ventilen und Rohren am Meeresboden, das ein Leck automatisch hätte abdichten sollen? War der Zement falsch gemischt? War es menschliches Versagen? Überstieg die Branche ihre technologischen Grenzen? "Ich weiß Ihre Litanei zwar zu schätzen", sagt Senator Menendez zu den Managern. "Aber eine Geschichte klingt unglaublicher als die andere."

Ebenso unbeholfen wirken BPs Versuche, den Ölfluss in der Tiefsee zu stoppen. Nachdem ein Abfangen des Öls mit einer Stahlglocke scheiterte, spielen die Ingenieure jetzt mit dem Gedanken, Golfbälle, Autoreifen und anderen Müll unter Wasser in das Leck zu schießen, um es zu verstopfen.

Auch die Säuberungs- und Schutzmethoden auf See und an den Küsten wirken antiquiert für einen Ölkonzern im 21. Jahrhundert. Plastikbarrieren, giftige Chemikalien, Abschöpfschiffe: "Ich finde es unfassbar, dass wir seit dem Desaster der 'Exxon Valdez' auf keine technischen Verbesserungen gekommen sind", wettert der demokratische Senator Mark Udall.

Am Ende geben die Senatoren entnervt auf. "Es steckt nichts hinter Ihren Erklärungen", sagt die Demokratin Barbara Boxer, Chefin des Umweltausschusses. Sie seufzt.

Und so wiederholt sich die Geschichte in Saal SR-325. Ähnliche Frustration erlebten auch die Senatoren, die 1912 den Untergang der "Titanic" untersuchten. Beispielsweise bei der Aussage des Matrosen Frederick Fleet, der im Ausguck gesessen hatte. Er habe kein Fernglas gehabt, berichtete der vor knapp hundert Jahren. Ob man den Eisberg denn mit einem Fernglas hätte sehen können? "Wir hätten ihn früher sehen können." Wie viel früher? "Früh genug, um ihm auszuweichen."

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