Vattenfall in Deutschland: Vom Heilsbringer zum Bösewicht
Ungeliebter Stromkonzern
Experten rechnen mit Vattenfall-Rückzug aus Deutschland
Erst Hamburg, bald Berlin: Auch in der Hauptstadt droht Vattenfall beim Volksentscheid um das Stromnetz eine Niederlage. Der Konzern gibt sich kämpferisch, doch für einen Rückzug aus Deutschland gäbe es genügend Gründe.
Hamburg - Soeben hatte Hamburgs SPD-Regierungschef einen Beteiligungsdeal mit dem Energieriesen Vattenfall besiegelt. Nun erntete er hymnisches Lob von allen Seiten, inklusive der Opposition. Selbst die konzernkritische "taz" pries "hervorragende Vertragsdetails und politstrategische Optionen" des Deals. Der schwedische Staatskonzern sei für Hamburg "der beste aller möglichen Partner".
Das war im November 1999. Der Regierungschef hieß Ortwin Runde und hatte 25,1 Prozent des städtischen Energieversorgers HEW für 1,7 Milliarden Mark an Vattenfall verkauft - inklusive Stromnetz. Für die Schweden war es der Startschuss für die Expansion nach Deutschland, schon bald übernahmen sie die Versorger in Berlin und den neuen Bundesländern und bildeten mit RWE
, E.on
und EnBW
die "großen Vier".
Im Jahr 2013 ist die Euphorie der Katerstimmung gewichen. Am 22. September zwangen die Hamburger per Volksentscheid ihren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), gegen seinen erklärten Willen alles zu tun, um Vattenfall das Stromnetz wieder zu entreißen. Und schon am 3. November droht in Berlin die gleiche Schlappe, nur dass sie allen Umfragen zufolge noch deutlicher ausfallen könnte. Auch wenn Helmar Rendez, Chef der Netze bei Vattenfall, demonstrativ Optimismus verbreitet. Schließlich sei die Vergabe der Konzessionen keine politische Entscheidung, sondern Ergebnis einer fairen Ausschreibung, die zu gewinnen man sehr zuversichtlich sei.
"Spannend ist das Wie des Rückzugs"
Vielen gilt Vattenfalls Kampf um die Stromnetze zugleich als Schicksalsschlacht über den Verbleib in Deutschland. Schließlich sind es die einzigen Geschäftsbereiche, die noch uneingeschränkt Freude machen. Denn die Stromnetze spielen relativ niedrige, aber verlässliche Gewinne ein. Allein in Berlin waren es im vergangenen Jahr 160 bis 170 Millionen Euro.
Doch Analysten sind überzeugt, dass der Konzern längst auf dem Absprung ist. "Spannend ist weniger das Ob, sondern das Wie des Rückzugs: Verkauft man die Firmenteile einzeln oder im Paket? Trennt man sich ganz oder beteiligt erst einmal Finanzinvestoren? Oder geht man gar an die Börse?", sagt etwa Rodger Rinke, Vattenfall-Experte bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). In dieser Lesart dienen die Stromnetze nur noch dazu, die Braut aufzuhübschen.
Dabei besitzt Deutschland für Vattenfall
überragende Bedeutung: Mehr als die Hälfte der rund 32.000 Konzernmitarbeiter erwirtschaften hier 68 Prozent des gesamten Umsatzes. 3,3 Millionen Anschlüsse zählen allein die Stromnetze Berlins und Hamburgs - in Schweden bewirtschaftet Vattenfall nicht mal ein Drittel davon.
Die Gewinne sprudeln allerdings hauptsächlich in der Heimat, nicht in Deutschland. Bereits im Juli verkündete Vattenfall eine Umstrukturierung, die den Rückzug ermöglicht. Die Zusicherung von Deutschland-Chef Tuomo Hatakka, der Konzern bleibe "auf absehbare Zeit", klang eher wie eine Bestätigung denn wie ein Dementi.
Hausgemachte Fehler, politische Entscheidungen
Dass es so weit kommen konnte, hat hausgemachte Gründe ebenso wie solche, für die Vattenfall wenig kann:
Energiewende: Die Strompreise an der Börse sind im Keller, die erneuerbaren Energien auf dem Siegeszug, aber Vattenfall erzeugt Strom immer noch zu 90 Prozent aus Kohle. Insgesamt hat der Konzern bereits 2,3 Milliarden Euro auf seine deutschen Kraftwerke abgeschrieben, im ersten Halbjahr allein auf das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg 500 Millionen Euro - noch bevor es überhaupt ans Netz geht. Selbst die dringend nötigen Pumpspeicher rechnen sich nicht mehr. Vattenfall ist ihr wichtigster Betreiber.
Von einer anderen Fehlsteuerung profitiert Vattenfall - noch: Die Braunkohle, mit der Vattenfall 80 Prozent seines Stroms erzeugt, ist derzeit hochprofitabel. Auf Dauer wird die Politik die größten CO2-Schleudern aber stärker belasten. Lange hoffte Vattenfall auf die unterirdische CO2-Speicherung - und scheiterte am vehementen Widerstand der Bürger.
Konzernstrategie: Vattenfall ist als Staatskonzern an politische Vorgaben der Regierung gebunden. Die sind eindeutig: Ökostrom ist super, Atomkraft okay, schmutzige Kohle geht gar nicht. Zu Hause hält Vattenfall sich daran, doch die schwedische Bevölkerung irritiert zunehmend das komplett andere Gesicht des Konzerns in Deutschland. Berichte über Lausitzer Dörfer, die dem Braunkohle-Tagebau weichen müssen, erhöhen noch den Druck auf die Politik.
Schlechtes Image: Starke Preiserhöhungen bei hohen Gewinnen - schnell verspielte Vattenfall erste Sympathien. Als eine Pannenserie in den Atommeilern Krümmel und Brunsbüttel die Hamburger im Jahr 2007 alarmierte, war die Krisenkommunikation ein Desaster. Vattenfall verlor Zehntausende Stromkunden. Milliardenklagen gegen Bundesregierung und Hamburg wegen des Atomausstiegs und der Auflagen für Moorburg hatten verheerende Außenwirkung.
Dass die Atommeiler ein Erbe der städtischen HEW sind und etwa Moorburg auf Druck der Politik gebaut wurde, wird dabei ausgeblendet: Vattenfall gilt vielen als skrupelloser Atom- und Kohlekonzern - dem man an der Wahlurne eins auswischen kann.
Den Konzernstrategen bleibt ein Trost: Ein Fehler war die Expansion nicht. Sie verhinderte, in den wilden Zeiten Ende der Neunziger selbst aufgekauft zu werden und sicherte so Vattenfalls Eigenständigkeit. Zudem hat der Konzern in Deutschland über Jahre gutes Geld verdient.
Trotzdem dürfte man in Stockholm heilfroh sein, wenn das Kapitel Deutschland endlich zu Ende ist.
10 BilderVattenfall in Deutschland: Vom Heilsbringer zum Bösewicht
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Vattenfall-Manager Tuomo Hatakka (Dezember 2007): Noch zählt der schwedische Staatskonzern zu den "großen Vier" unter den deutschen Energieversorgern - doch für viele Analysten ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Vattenfall aus Deutschland zurückzieht.
Foto: A3464 Rainer Jensen/ dpa
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Anti-Vattenfall-Plakat in Berlin: Am 3. November stimmen die Berliner per Volksentscheid darüber ab, ob die Stadt gegen Vattenfall um das Stromnetz kämpfen soll. Vielen gilt der Kampf um die Stromnetze als Schicksalsschlacht über den Verbleib Vattenfalls. Wahrscheinlicher geht es jedoch eher darum, die deutsche Tochter für einen Verkauf aufzuhübschen.
Foto: Kay Nietfeld/ dpa
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Stromtrasse in Hamburg: Die städtischen Verteilnetze in Berlin und der Hansestadt zählen zu den wenigen Geschäften, an denen der Konzern in Deutschlad noch uneingeschränkt Freude hat. Sie werfen niedrige, aber verlässliche Gewinne ab.
Foto: Sean Gallup/ Getty Images
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Initiatoren des Volksentscheids in Hamburg: Die Hamburger haben ihren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bereits am 22. September dazu verpflichtet, gegen seinen Willen Vattenfall das Stromnetz zu entreißen. Die Niederlage in Berlin dürfte noch deutlicher ausfallen.
Foto: Bodo Marks/ dpa
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Braunkohlekraftwerk und -tagebau (im Vordergrund) im brandenburgischen Jänschwalde: Die Gründe für Vattenfalls anstehenden Rückzug sind vielfältig. So hat der Konzern die Energiewende verschlafen. Auch wenn ausgerechnet die Braunkohlekraftwerke als größte CO2-Schleudern derzeit noch profitabel sind, dürfte die Politik diese Fehlsteuerung auf lange Sicht beheben.
Foto: Z1022 Patrick Pleul/ picture alliance / dpa
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Braunkohletagebau in Jänschwalde: Dass Vattenfall für die schmutzige Braunkohle auch noch Dörfer in der Lausitz plattmacht, empört die schwedische Öffentlichkeit noch mehr. Der Druck auf die Regierung in Stockholm - die Eigentümerin Vattenfalls - wächst.
Foto: Patrick Pleul/ dpa
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Vattenfall-CO2-Pilotanlage im brandenburgischen Spremberg (2008): Lange hoffte der Konzern auf die CCS-Technologie, mit der CO2 unterirdisch gespeichert werden kann.
Foto: Patrick Pleul/ picture-alliance/ dpa
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Anti-CCS-Demonstration in Brandenburg (2009): Aber der Widerstand von Umweltschützern verhinderte entsprechende Gesetze - die Technologie wird in Deutschland wohl auf lange Zeit nicht eingesetzt.
Foto: Patrick Pleul/ picture-alliance/ dpa
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Brand auf dem Gelände des Atomkraftwerks Krümmel bei Hamburg (Juni 2007): Die Kommunikation des Konzerns bei der Pannenserie in seinen Atommeilern war ein Desaster - und hat den Ruf Vattenfalls nachhaltig beschädigt. Zehntausende Kunden kehrten dem Konzern den Rücken.
Foto: A9999 Timo Jann/ dpa
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Pumpspeicherwerk Goldisthal in Thüringen: Dass ausgerechnet die für die Energiewende dringend benötigten Pumpspeicher derzeit nicht profitabel sind, ist eine weitere Fehlsteuerung - unter der Vattenfall als wichtigster Betreiber leidet.