Verbraucherprotest in China Der Bürger wütet, das Regime lächelt

Sie zertrümmern Kühlschränke oder demolieren Luxuskarossen: In China machen unzufriedene Kunden ihrem Ärger auf rabiate Weise Luft. Oft beginnt der Proteststurm im Internet, meist trifft die Wut westliche Unternehmen. Dem Regime in Peking kommt das sehr gelegen.
Von Philipp Mattheis
Aktion in Qingdao: Ein verärgerter Kunde ließ öffentlich einen Lamborghini demolieren

Aktion in Qingdao: Ein verärgerter Kunde ließ öffentlich einen Lamborghini demolieren

Foto: Wu Hong/ dpa

Schließlich musste er doch um Entschuldigung bitten. Etwas zerknirscht sagte Roland Gerke, Geschäftsführer der Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH) in China, in einer Videobotschaft an die chinesischen Konsumenten: "Wenn Sie einen Kühlschrank besitzen, dessen Tür nicht einwandfrei schließt, dann beträgt die Fehlerrate bei diesem Produkt aus Ihrer Perspektive 100 Prozent."

Dem Auftritt des deutschen Managers vorangegangen war ein wütender Bericht des Bloggers Luo Yonghao am 27. September 2011, in dem er sich über die schlecht schließende Tür seines Kühlschranks beklagte. Luos Zorn steigerte sich ins schier Grenzenlose. Schließlich zog er mit dem Objekt des Hasses vor die BSH-Konzernzentrale in Peking und zertrümmerte es mit einem Hammer.

Beteuerungen seitens des Konzerns, der Mangel sei eher auf den schiefen Stand des Geräts oder zu seltene Enteisungen zurückzuführen, verhallten wirkungslos: Kühlschrank-Gate war nicht mehr zu stoppen. Denn Blogger Luo ist in China bekannt, mehr als eine Million Internetnutzer lesen seine Einträge.

"Solche Aktionen sind in China gang und gäbe", sagt Joerg Wuttke. Der OECD-Berater lebt seit mehr als 20 Jahren in der Volksrepublik. 2008 etwa ließ eine Frau ihren BMW von einem Wasserbüffel durch die Metropole Guangzhou ziehen, weil die Zündung immer wieder versagte. Ein Mann heuerte Anfang vergangenen Jahres einen Schlägertrupp an, um seinen Lamborghini zerstören zu lassen - er war mit dem Kundenservice unzufrieden gewesen. Und immer häufiger beginnt der Proteststurm gegen die Konzernriesen im Internet.

Kundenärger verbreitet sich im Netz in Windeseile

In China gibt es keine unabhängigen Verbraucherschutzorganisationen wie "Stiftung Warentest". So machen viele Konsumenten ihrem Zorn im Netz Luft. Das geschieht auch in westlichen Ländern, doch in China sind die Dimensionen ungleich größer. Ein halbwegs bekannter Blogger findet schnell Hunderttausende von Lesern. Und Weibo, ein Hybrid aus Facebook und Twitter, wurde im Oktober 2011 bereits von 250 Millionen Chinesen genutzt. Protest verbreitet sich hier rasant, aus einem Hauch von Unzufriedenheit kann schnell ein "Shit-Storm" werden.

Deshalb müssen sich deutsche Unternehmen stärker auf die chinesischen sozialen Netzwerke einstellen. "Viele Probleme ließen sich durch eine bessere und schnellere Kommunikation beheben", sagt OECD-Berater Wuttke. Deutsche Firmen brauchten mittlerweile Spezialisten, die das chinesische Internet genau beobachten, um gegebenenfalls schnell zu reagieren, Fehler einzuräumen und sich zu entschuldigen. Letzteres sei allerdings oft schwierig. "Asiatische Konsumenten fordern schnell eine Entschuldigung. Für westliche Unternehmen kommt dies aber einem Schuldeingeständnis gleich", sagt Wuttke.

"Wir müssen den Fehler bei uns suchen", sagt BSH-Manager Gerke. Schon seit längerem scannen Mitarbeiter des Tochterunternehmens von Bosch und Siemens chinesische Mikroblogs, um sich direkt mit verärgerten Verbrauchern in Verbindung zu setzen. Es gibt außerdem einen nahezu landesweiten 24-Stunden-Service. Trotzdem wurde Gerke von der Kühlschrank-Aktion überrascht. "Wir müssen in Zukunft noch schneller auf unzufriedene Kunden reagieren", sagt Gerke.

Symbolische Zerstörung hat in China Tradition

BSH hat nun eine eigene Weibo-Seite eingerichtet, auf der Mitarbeiter unverzüglich auf Kundenprobleme antworten. Für alle Besucher ist der Dialog einsehbar. "Manche Mitbewerber schrecken vor so viel Transparenz zurück, da dadurch Produktmängel öffentlich werden", sagt Gerke. Besonders in China führe aber kein Weg an den sozialen Netzwerken vorbei.

Auffällig ist allerdings, dass die Opfer des Internet-Bashings fast immer ausländische Konzerne sind - chinesische Unternehmen trifft der Verbraucherzorn hingegen selten, Staatsfirmen so gut wie nie. Laut OECD-Mann Wuttke hat das mehrere Gründe. "Erstens gibt es eine enge Verknüpfung von Internetprovidern und chinesischen Unternehmen, die dort Werbung schalten. Schalten Firmen beispielsweise viele Anzeigen auf Baidu, der größten chinesischen Suchmaschine, werden kritische Einträge dort schnell gelöscht."

Zweitens würden Unternehmen manchmal auch Opfer der internationalen Politik. Als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im Jahr 2008 den Dalai Lama offen unterstützte, boykottierten chinesische Konsumenten wochenlang die französische Supermarktkette Carrefour. "Das waren nationalistische Regungen, die der Regierung natürlich sehr entgegenkamen", sagt Wuttke. Manchmal würde auch die Konkurrenz einzelne Blogger bezahlen, um ausländische Firmen an den Pranger zu stellen. Die Führung in Peking ließe das geschehen. "Das ist eine Methode des Dampfablassens. China ist ein Kessel, der unter Druck steht - politischer Protest ist nicht möglich, also lenkt die Regierung den Zorn der Bürger in Richtung Konsum."

Ein langjähriger China-Kenner, der namentlich nicht genannt werden möchte, verweist zudem auf die weit zurückreichende Tradition symbolischer Zerstörungen in dem Land. In diesen Kontext sei auch die Kühlschrank-Aktion des Herrn Luo zu sehen. "In Deutschland zöge man vielleicht vor Gericht. Da sich das Rechtssystem aber noch im Aufbau befindet, will oder muss man mit solchen Aktionen Aufsehen erregen", sagt der Experte. Trotz allem stünden Produkte "Made in Germany" bei chinesischen Konsumenten nach wie vor hoch im Kurs.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Baidu als das chinesische Youtube bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei Baidu aber um die meistgenutzte Suchmaschine Chinas. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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