Volkswagen-Hauptversammlung "Wir stehen vor einem Trümmerhaufen"

Volkswagen-Chef Müller, Aufsichtsratschef Pötsch
Foto: Peter Steffen/ APEs soll ein starker Auftakt werden, doch der Blick lässt sich schwer nach vorn richten. Erstmals präsentiert sich Hans Dieter Pötsch an diesem Mittwoch als Aufsichtsratschef des Autokonzerns Volkswagen den Aktionären. Für einen Neuanfang jedoch verkörpert Pötsch, einst Finanzvorstand des Konzerns, zu sehr die alte Zeit. "Niemand hier hat sich vorstellen können, dass unser Unternehmen in eine Situation geraten könnte, wie wir sie im Moment erleben", sagt der Chefaufseher. Es klingt hilflos. Für das enttäuschte Vertrauen entschuldigt sich Pötsch.
Vertrauen - es ist das Wort, das Aufsichtsrat und Management den über die Krise des Konzerns zornigen Investoren an diesem Tag mitgeben wollen. Genau daran hapert es aber bei Pötsch selbst. Der Aufsichtsratschef steht am Pranger. Für seinen aus Sicht guter Unternehmensführung kritischen Schritt direkt vom Sitz des Finanzchefs auf den des Chefaufsehers wird Pötsch von Investoren scharf angegriffen. Sie fragen misstrauisch: Wieviel hat Pötsch gewusst über die Manipulationen an Diesel-Modellen, die das Unternehmen so tief in die Krise gestürzt haben? Pötschs Rolle sei "höchst fragwürdig", kritisiert Hans-Christoph Hirt vom einflussreichen Aktionärsberater Hermes, der Vorstand wie Aufsichtsrat die Entlastung verweigert.
Der Schaden für VW durch den Abgasskandal nagt an den Nerven der Aktionäre. "Wir stehen vor einem Trümmerhaufen", sagt Ulrich Hocker, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Hocker wie Hermes fordern eine Sonderprüfung durch VW. Besondere Skepsis schürt die Nachricht, dass die Finanzaufsicht BaFin den gesamten unter dem einstigen Konzernchef Martin Winterkorn tätigen Vorstand bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig angezeigt hat.
"Personifizierter Interessenkonflikt"
Die Stimmung auf dem Aktionärstag ist entsprechend gereizt. Mehrere Aktionäre verlangen die Abwahl Pötschs als Versammlungsleiter. Der langjährige Aktionär Manfred Klein, der Untreue in den Raum stellt und die hohen Boni im Konzern moniert, fragt Pötsch: "Was erdreisten Sie sich?" Er verlangt: "Hören Sie auf." Markus Dufner vom Dachverband der kritischen Aktionäre wirft Pötsch vor: Er sei der "personifizierte Interessenkonflikt".
Dennoch bleibt Pötsch Leiter der Versammlung. So oder so hätte er die Familien Porsche und Piëch, die über die Hälfte der Stimmrechte halten, hinter sich.
Der Absturz von Europas größtem Autokonzern ist verheerend und lässt den Blick in die Zukunft kaum zu, bevor der Abgasskandal nicht aufgearbeitet ist. Die Manipulation an mehr als elf Millionen Diesel-Modellen, um Emissionswerte zu senken, hat das Wolfsburger Unternehmen so sehr wie nie zuvor abstürzen lassen und den Aktienkurs in die Tiefe gedrückt. Im vergangenen Jahr fuhr VW wegen hoher Rückstellungen einen Rekordverlust von 1,6 Milliarden Euro ein. Seither kämpft der Konzern darum, den Skandal aufzuarbeiten. Doch die Krise hat weit mehr Defizite hochgespült: einen Mangel an Effizienz, an Innovationsgeist und Kooperation innerhalb des Konzerns.

Demonstranten vor der VW-HV in Hannover
Foto: Nigel Treblin/ dpaVorstandsvergütung auf dem Prüfstand
Pötsch fängt eines der heißen Themen des Tages selbst auf: Das Gehalt der VW-Vorstände. Der Aufsichtsrat arbeite mit dem Vorstand an den Veränderungen des Konzerns. "Dazu gehört auch, dass wir die Vergütung des Vorstands auf den Prüfstand stellen." Für 2015 habe VW die Sondervergütung der Führungsspitze, die auf Basis des operativen Ergebnisses anfällt, auf null herabgesetzt. Auch der Aufsichtsrat muss zurückstecken: Im Jahr 2015 erhielten die Gremienmitglieder 700.000 Euro, im Jahr davor waren es laut Pötsch noch 12 Millionen Euro.
Der neue Konzernchef Matthias Müller - ebenfalls bei seinem ersten Auftritt vor den Investoren - springt seinem Oberaufseher bei: "Unsere wichtigste Währung sind Glaubwürdigkeit und Vertrauen", sagt er. Dieses Vertrauen zurückzugewinnen, darum gehe es. "Alles andere ist vorerst zweitrangig." Mehr Rendite und Effizienz verspricht Müller. Doch seine neue Strategie 2025, mit der der Konzernchef den Konzernkurs hin zu neuen Technologien wie E-Autos, Mobilitätsdienstleistungen und autonom fahrenden Fahrzeugen korrigieren will, geht in den hitzigen Debatten um die Verantwortung im Konzern für den Skandal unter.
Im Video: VW-Chef Müller entschuldigt sich
Dabei bricht Müller mit dem Kurs seines Vorgängers Winterkorn, der den Konzern zentralistisch aus Wolfsburg lenkte. "Zu glauben, man könne einen Weltkonzern in all seinen Verästelungen aus der niedersächsischen Tiefebene lenken, ist eine Illusion", sagt Müller. Die Marken sollen eigenständiger agieren können, Details sind künftig ihre Sache, nicht mehr die des Konzernvorstands.

Katars neue Vertreterin Hessa Al Jaber
Foto: Sebastian Gollnow/ dpaHilfe in dieser turbulenten Zeit erhält der Konzern durch Arbeitnehmer und seinen Großaktionär Katar. Aufsichtsrats-Vize und IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagt, Pötsch sei ohne jeden Zweifel für den Posten qualifiziert und genieße das Vertrauen der Großaktionäre. Katars neue Vertreterin Hessa Al Jaber stellt sich hinter den gesamten Vorstand. "Volkswagen hat aus meiner Sicht das richtige Management an Bord", sagte die neu zur Wahl in den Aufsichtsrat aufgestellte Vertreterin des Großaktionärs SPIEGEL ONLINE am Rande des Aktionärstreffens. Die Strategie gehe in die hundertprozentig richtige Richtung. Vor den Aktionären betonte Al Jaber: "Wir sollten die Fähigkeit zur Veränderung nicht anzweifeln."
Zusammengefasst: Auf der Hauptversammlung von Volkswagen tun sich Aufsichtsrat und Vorstand von Europas größtem Autokonzern schwer mit einem Neuanfang. Die Aktionäre sind frustriert durch die tiefe Krise, in die das einst so erfolgreiche Unternehmen mit der Abgasaffäre gerutscht ist - und die zugleich die eklatanten Schwächen des Unternehmens offenbarte. Sie suchen nach den Schuldigen.