VW-Abgasskandal Winterkorn und Stadler droht Millionenforderung

Sie hatten oder haben die Macht, dennoch wollen sie vom Diesel-Betrug nichts gewusst haben: Ex-VW-Boss Winterkorn und Audi-Chef Stadler. Kommen sie so davon? Die Aufsichtsräte prüfen Schadenersatzansprüche gegen die gesamten Vorstände.
Bild aus alten Tagen: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und Audi-Chef Rupert Stadler (r)

Bild aus alten Tagen: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und Audi-Chef Rupert Stadler (r)

Foto: Uwe Anspach/ picture alliance / dpa

Es sei nicht zu verstehen, warum er nicht frühzeitig und eindeutig über die Messprobleme aufgeklärt worden sei - so verteidigte sich Martin Winterkorn, ehemaliger Volkswagen-Chef, im Januar vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags in Berlin. Er habe nichts gewusst von dem Betrug seiner Mitarbeiter, die VW-Modelle für bessere Stickoxidwerte auf den Prüfständen manipuliert hatten. Genauso weist Rupert Stadler, Chef der VW-Tochter Audi, jedes Wissen über aufgedeckte Manipulationen bei dem Ingolstädter Autohersteller von sich.

Einfach nichts gewusst zu haben - damit kommen Manager davon? Nicht unbedingt.

Untersuchungen der Aufsichtsräte von Volkswagen und Audi könnten Winterkorn und Stadler noch sehr gefährlich werden - und sie viel Geld kosten. Wussten die beiden früher von den Manipulationen als bisher zugegeben, wären sie direkt in die Betrügereien im Unternehmen verwickelt. Doch selbst wenn sie tatsächlich nichts zuvor erfahren hätten oder es ihnen zumindest nicht nachgewiesen werden kann, droht ihnen demnach die Forderung nach Schadensersatz in Millionenhöhe durch VW und Audi.

Die Beweislast liegt bei den Managern

Die Kontrollgremien beider Unternehmen lassen nach SPIEGEL-Informationen derzeit von Juristen unter anderem feststellen, ob sich die gesamten Vorstände des Autokonzerns und seiner Tochterfirma eines Organisationsversagens schuldig gemacht haben. Bislang waren Details der angekündigten Schadensersatzprüfungen unbekannt. "Selbst wenn ein Konzernchef nichts von Manipulationen wusste, könnte man ihm unter Umständen vorwerfen, dass er dafür hätte sorgen müssen, dass er sie erfährt. Dafür könnte das Unternehmen ehemalige oder tätige Konzernchefs belangen", sagte ein mit der Angelegenheit vertrauter Rechtsanwalt dem SPIEGEL.

Eine Pflichtverletzung bestehe dabei grundsätzlich auch bei Fahrlässigkeit. Und die Beweislast liege grundsätzlich bei den Managern selbst. Sie müssten nachweisen, dass sie keine schuldhafte Pflichtverletzung begangen haben und hafteten grundsätzlich unbeschränkt.

Das bestätigen auch andere Experten. "Vorstände können auch dann in der Haftung für illegale Taten in ihrem Unternehmen stehen, wenn sie nichts davon wussten. Es reicht, wenn sie es hätten wissen müssen und wenn die Taten bei einer ordnungsgemäßen Organisation des Unternehmens nicht begangen worden wären", sagt Rechtsanwalt Jonas Mark, Partner und Wirtschaftsrechtsexperte bei der Kanzlei Dornbach. Die verantwortlichen Manager seien verpflichtet, das Wissen im Unternehmen so zu organisieren, dass wichtige Informationen sie erreichten, betont der Spezialist für Organhaftung.

Siemens-Skandal als warnendes Beispiel

Der Fall Heinrich von Pierer im bis dahin größten Korruptionsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte zeigt, wie teuer es Vorstände zu stehen kommen kann, wenn sie das Wissen in ihrem Unternehmen nicht ordnungsgemäß organisieren. Der ehemalige Siemens-Chef hatte jahrelang jede Kenntnis über Bestechungen und schwarze Kassen in seinem Konzern zwischen 2003 und 2006 bestritten, die Siemens mehr als 1,4 Milliarden Euro kosteten.

Der Konzernaufsichtsrat drohte ihm sowie weiteren Vorständen mit Klagen, weil sie ihre Organisations- und Aufsichtspflichten verletzt hätten. 2009 lenkte von Pierer ein und wendete einen Gerichtsprozess ab, indem er fünf Millionen Euro in einem Vergleich an Siemens zahlte.

Der Schaden bei Volkswagen ist ungleich größer als der von Siemens. Insgesamt 22 Milliarden Euro hat der Skandal um manipulierte Diesel, deren Stickoxidwerte auf den Prüfständen künstlich niedrig gehalten wurden, allein VW bereits durch Vergleiche mit US-Klägern gekostet. Hinzu kommen die Ausgaben für die nötigen Anwälte und mögliche kommende Zahlungen etwa in Gerichtsprozessen in Europa. Auch Audi musste zugeben, bei Dieselmodellen betrogen zu haben.

Aufsichtsräte müssen Pflichtverletzungen prüfen

Der Aufsichtsrat jedes Unternehmens ist gezwungen, mögliche Pflichtverletzungen des Vorstands aufzuklären und zu untersuchen, ob dem Unternehmen ein Schaden entstanden ist. Werden die Kontrolleure nicht tätig, droht ihnen selbst Schadensersatz. "In der Praxis entsteht hier häufig eine Interessenskollision", stellt allerdings Rechtsanwalt Mark fest. "Das Interesse von Unternehmensorganen, sich gegenseitig in Anspruch zu nehmen, ist grundsätzlich nicht sehr hoch." Letztlich gebe es dann aber die Möglichkeit, dass die Anteilseigner einschreiten.

Von Pierers Disput mit Siemens hat offenbar einen Stein ins Rollen gebracht. "Seit der Siemens-Affäre werden Vorstände deutlich öfter in Anspruch genommen", stellt Mark fest. Das zeigt sich offenbar auch in der Absicherung der Manager. Bei den Versicherungen zur Managerhaftpflicht sei mittlerweile ein Boom zu sehen, sagt der Anwalt. Mit diesen Versicherungen sind die Vorstände aber nicht aus dem Schneider. Sie sehen einen Selbstbehalt vor und decken häufig nicht den Gesamtschaden.

Zusammengefasst: Martin Winterkorn, ehemals VW-Chef, und Audis Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler weisen ein frühzeitiges Wissen über die Diesel-Manipulationen von sich. Einer Strafe entgehen sie so nicht unbedingt. Ihnen drohen Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe - auch wenn sie nichts wussten. Die Aufsichtsräte von VW und Audi lassen derzeit prüfen, ob die Vorstände der Unternehmen eines Organisationsversagens schuldig sind. Sie müssen ihre Firmen so organisieren, dass wichtige Informationen sie erreichen. Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer zahlte aufgrund eines solchen Vorwurfs im Korruptionsskandal des Konzerns fünf Millionen Euro in einem Vergleich.

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