Zivilklagen in den USA "Das wird brandgefährlich für VW"

Volkswagen-Logo in New York: "Das Verfahren auch über Emotionen führen"
Foto: Justin Lane/ dpaJürgen Hennemann ist Anwalt im niedersächsischen Buchholz. Seine Kanzlei ist auf Haftungs-, Verkehrs- und Versicherungsrecht spezialisiert.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hennemann, der Volkswagen-Konzern hat im Skandal um Abgasmanipulationen nicht nur Ärger mit der US-Umweltbehörde und der dortigen Justiz. Auch zivilrechtlich dürften Sammelklagen von Bürgern auf das Unternehmen zukommen. Womit muss VW rechnen?
Hennemann: Das wird brandgefährlich für VW. Es hat den Anschein, dass die Haftungsproblematik teilweise unterschätzt wird. Die 18 Milliarden Dollar, von denen bisher alle sprechen, werden aus einem Sanktionskatalog der US-Umweltbehörde berechnet. Diese Strafen setzen aber nicht Vorsatz, Arglist oder Betrug voraus. Dort geht es primär darum, dass beispielsweise das Abgasreinigungssystem eines Fahrzeugs vorübergehend nicht richtig funktioniert. Das passt grundsätzlich nicht auf den Fall, den wir jetzt haben.
SPIEGEL ONLINE: Was kommt denn tatsächlich auf VW zu?
Hennemann: Durch die Sammelklagen kann es am Ende ein Vielfaches dieser 18 Milliarden werden. In den USA gibt es kein kodifiziertes Recht wie in Deutschland, sondern ein Rechtssystem, das auf Fällen basiert, die in der Vergangenheit entschieden wurden. Zudem kommen Strafschadensersatzansprüche zur Anwendung - sogenannte punitive damages -, die ein ethisch-moralisches Fehlverhalten sanktionieren und das schärfste Schwert des amerikanischen Zivilrechts sind. Und am Ende entscheidet regelmäßig ein Geschworenengericht - also Laien.
SPIEGEL ONLINE: Ist das immer so?
Hennemann: Bei Sammelklagen praktisch immer. Damit Berufsrichter entscheiden, müssen beide Parteien zustimmen. Aber das tun die Kläger natürlich nicht. Die wollen die Verfahren natürlich auch über Emotionen führen und intensivieren. Da wird es unter anderem um Kinder und Asthmakranke gehen, die vermeintlich zu viele Schadstoffe eingeatmet haben und dadurch zusätzlich belastet wurden. VW dürfte noch nicht wirklich eine Vorstellung davon haben, mit welchen gigantischen Schadensersatzforderungen die amerikanischen Kollegen aufwarten werden.
SPIEGEL ONLINE: Auch andere Konzerne hatten in der Vergangenheit mit straf- und zivilrechtlichen Klagen in den USA zu kämpfen. Aber so schlimm, wie Sie es jetzt beschreiben, kam es selten. Der Hyundai-Konzern kam im vergangenen Jahr mit 100 Millionen Dollar davon, obwohl es beim Spritverbrauch von 1,2 Millionen Autos Abweichungen gab. Und selbst BP musste im Fall der explodierten Ölplattform "Deepwater Horizon" letztlich nur knapp 19 Milliarden Dollar zahlen.
Hennemann: Bei VW haben wir einen ganz anderen Grad von ethisch-moralischem Unwert. Bei "Deepwater Horizon" ging es um Fahrlässigkeit und nicht um Vorsatz und kriminelle Energie. Bei VW sind wir in einer völlig anderen Situation. Herr Winterkorn hat den Betrug bereits eingeräumt und damit ein vorbehaltloses Schuldanerkenntnis unterzeichnet. Das ist aus Sicht der US-Haftpflichtkollegen eine Kapitulationserklärung von VW. Das hebt den Fall in eine völlig andere Dimension.
SPIEGEL ONLINE: Auch beim Libor-Skandal um manipulierte Zinssätze haben die Banker vorsätzlich gehandelt. Die Strafen fielen trotzdem milder aus.
Hennemann: Dort ging es aber auch nicht darum, dass Millionen Menschen womöglich in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt wurden. Diese Karte werden die US-Anwälte jetzt spielen. Und das hat in den USA einen sehr hohen Stellenwert.
SPIEGEL ONLINE: Könnten die Strafen am Ende so hoch ausfallen, dass sie für VW existenzbedrohend werden?
Hennemann: Ich bin kein Betriebswirt, das ist für mich in letzter Konsequenz nicht zu beurteilen. Es würde mich aber nicht wirklich überraschen, wenn der Konzern am Ende der Auseinandersetzung nicht mehr über zwölf Marken verfügt. Auch BP musste damals als stark kapitalisiertes Unternehmen Teile seines Geschäfts verkaufen.
SPIEGEL ONLINE: Können auch deutsche Autokäufer klagen, wenn die Manipulationssoftware in ihrem Wagen eingebaut wurde?
Hennemann: Wir haben in Deutschland leider ein vergleichsweise kümmerliches Haftungsrecht, das auf die Interessen der Unternehmen und gerade nicht auf die von Verbrauchern und Opfern zugeschnitten ist. Erst mal müsste klar sein, dass es auch in Deutschland einen Rechtsverstoß gab. Wenn das der Fall ist, könnten VW-Käufer versuchen, über die Krücke des Gewährleistungsrechts eine Kaufpreisminderung hinzubekommen. Dafür müssen sie sich aber lange mit dem Unternehmen rumstreiten. Das wird eine Gutachterschlacht um buchstäblich jedes einzelne Auto geben.
SPIEGEL ONLINE: Wäre es leichter, sich sein Geld wiederzuholen, wenn das Kraftfahrtbundesamt die betroffenen Fahrzeuge stilllegen würde, weil dort Manipulationssoftware eingesetzt wurde?
Hennemann: Das wäre rechtlich spannender, wenngleich ich mir nicht vorstellen kann, dass eine regelmäßig zahnlos agierende deutsche Bundesbehörde in dieser Weise vorgeht. Dem dürften schon die perfekte politische Vernetzung und die Segnungen des deutschen Wirtschaftslobbyismus entgegenstehen.