Dubiose Abrechnungen Mieter wehren sich gegen Wohnungsgiganten Vonovia

Unternehmenszentrale der Vonovia SE
Foto: Ina FassbenderDie Waffe von Franz Obst im Kampf gegen Deutschlands größten Vermieter Vonovia ist eine Stoppuhr. Im Treppenhaus drückt er den Lichtschalter, es wird hell, der 68 Jahre alte Mieter startet die Uhr. Dann wartet er. Das Licht geht aus, Obst drückt auf Stopp. Auf einem Zettel notiert er die Dauer, die das Licht gebrannt hat. Eine Minute 37 Sekunden und 59 Hundertstel für den Schalter im fünften Obergeschoss. So habe er sich durch das gesamte Treppenhaus seines Münchner Mietshauses gearbeitet, erzählt Obst. Schalter drücken, warten, Brenndauer notieren. Neun Stockwerke, je fünf Schalter, insgesamt 45 Mal.
Obst macht das nicht aus Langeweile. Er ist überzeugt, dass er von seinem Vermieter, dem Großkonzern Vonovia, betrogen wird. Und das will er nun vor dem Amtsgericht beweisen. "Da sind Dinge in der Nebenkostenabrechnung, die offensichtlich falsch sind", sagt der Pensionär. Etwa die Sache mit dem Licht im Treppenhaus. Deshalb hat Obst nachgemessen: Eine Stunde und 57 Minuten würde es demnach dauern, nur die Schalter in seinem Haus zu überprüfen. Zusammen mit den Nachbarhäusern kommt Obst auf 11 Stunden und 42 Minuten Arbeitszeit. Ganz schön viel für einen Arbeitstag. Und laut Vonovia soll der Hausmeister am selben Tag noch 20 weitere Aufgaben erledigt haben. Unmöglich, sagt Obst.
Ebenso unmöglich sei die Kontrolle der Dachfenster, die Vonovia auf die Mieter umgelegt habe. Die Hochhäuser haben schlichtweg keine, wie auch Satellitenaufnahmen zeigen. Oder die "Kontrolle der Druck- und Hebeanlage". Diese liege rund anderthalb Meter unter dem Wasserspiegel der Kellerschächte und eine Sichtkontrolle sei "ohne Tauchgerät ausgeschlossen", wie es in Obsts Klage heißt.
Oder. Oder. Oder. Franz Obst kann nahezu endlos über die Ungereimtheiten in seiner Abrechnung erzählen.
Vonovia weist die Vorwürfe zurück
Der Münchner und seine Nachbarn sind damit nicht allein. Bundesweit berichten Vonovia-Mieter von ähnlichen Auffälligkeiten. Dass Leistungen abgerechnet werden, die nie erbracht wurden. Dass der Service schlechter wird und die Kosten steigen. Vonovia weist solche Vorwürfe stets zurück, so auch in München. "Wir haben alle Leistungen, die unser Objektbetreuer erbracht hat, gegenüber dem Gericht transparent dargelegt", erklärt das Unternehmen. "Die gerichtliche Entscheidung bleibt abzuwarten."

Vonovia-Firmenzentrale
Foto: Marcel Kusch/ picture alliance/dpaEine SPIEGEL-Recherche hatte 2018 Einblicke gewährt in das System, mit dem Vonovia mit Nebenkosten Profit macht. Doch es regt sich Widerstand - von Mietern und Mietervereinen, und zunehmend auch von der Politik.
Etwa in Dresden. In der ostdeutschen Großstadt gehört Vonovia rund jede zehnte Mietwohnung - insgesamt sind es 38.000 Einheiten. Dabei handelt es sich um die Wohnungen der ehemals städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die 2006 von der Stadt an einen Investor verkauft wurden.
Auch in Dresden beschweren sich Vonovia-Mieter, in einer Wohnanlage seien etwa die Kosten für den Winterdienst um 1900 Prozent gestiegen.
Vor wenigen Wochen nun hat der Dresdner Stadtrat beschlossen, Vonovia zu durchleuchten. Die Stadtverwaltung muss bis Ende Juni prüfen, "ob und inwieweit systematisch Betriebskosten überhöht abgerechnet" werden, wie es im entsprechenden Antrag der Linksfraktion heißt. Sobald es Ärger in der Öffentlichkeit gebe, spreche Vonovia von einem "bedauerlichen Einzelfall", sagt der Fraktionsvorsitzende André Schollbach. "Dabei ist das Bestandteil des Geschäftsmodells", so der Lokalpolitiker.
Vonovia weist das zurück. Leistungen, die man selbst erbringe, biete man zu marktüblichen Preisen an. Man rechne "selbstverständlich" nur Dienstleistungen ab, die sinnvoll seien und auch nur solche, die man auch tatsächlich erbracht habe.

Die Prüfung in Dresden ist möglich, weil beim Verkauf der Wohnungen 2006 eine Sozialcharta vereinbart wurde, an die sich der neue Eigentümer halten muss. 2011 hatte die Stadt Dresden dieses Recht schon einmal genutzt, und den Vonovia-Vorgänger Gagfah wegen Vertragsbruchs auf 1,08 Milliarden Euro verklagt. Es folgte eine juristische Auseinandersetzung, am Ende zahlte der Konzern nach einem Vergleich eine zweistellige Millionensumme an die Stadt. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) die neue Prüfung ebenso ernst nimmt - im Stadtrat hatte er selbst noch dagegen gestimmt.
Der Fall einer Mieterin aus Leverkusen
Andernorts setzen sich die Mieter alleine gegen Vonovia zur Wehr - immer wieder mit Erfolg. Im vergangenen Jahr zum Beispiel verklagte Vonovia eine Mieterin aus Leverkusen, weil die Frau sich weigerte, eine Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung zu begleichen. Die Mieterin hatte um Belege für abgerechnete Kosten gebeten, nicht bekommen und deshalb auch nicht gezahlt. Vor Gericht musste Vonovia nun die Belege vorlegen. Und das wurde peinlich.
127,46 Euro sollte die Mieterin für "Sach- und Haftpflichtversicherungen" zahlen. Sie wollte den Versicherungsschein sehen, den sie aber nie bekam. Nun wurde klar, warum: Es handelte sich um die Versicherung eines unternehmenseigenen Verwaltungsgebäudes in Essen, nicht für das Mietshaus in Leverkusen. Vonovia hatte ihren Mietern Kosten für ihre eigenen Büros in Rechnung gestellt - es fällt schwer, darin nur Schlampigkeit zu erkennen. Die Mieterin muss die Versicherungskosten nun nicht übernehmen.
Trotz des Urteils beharrt Vonovia darauf, dass die eigene Abrechnung richtig gewesen sei. Die Versicherung für das Verwaltungsgebäude sei selbst bezahlt worden. Wieso das Gericht dann zu einem anderen Schluss kam? Der Versicherungsschein sei "erläuterungsbedürftig", erklärt das Unternehmen. Man habe allerdings auf die Rüge der Mieterin "keine weiteren Erläuterungen mehr vorgetragen" und eine Berufung sei nicht möglich.
Vonovia braucht oft Monate für inhaltliche Antworten
Das Beispiel zeigt, dass Einzelne gegen den Milliardenkonzern durchaus gewinnen können. Doch es zeigt auch, wie mühsam es ist, Recht zu bekommen, wie lange es dauert und dass ein Mieter starke Nerven braucht.
In dem Verfahren aus dem Jahr 2018 ging es um die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2015, die die Mieterin Ende Juli 2016 im Briefkasten hatte. Insgesamt dauerte das Ganze also rund zwei Jahre. Noch länger zieht sich der Streit im Fall des Münchner Mieters Franz Obst. Hier wird immer noch über die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2014 gestritten. Vonovia braucht oft Monate, um Briefe inhaltlich zu beantworten oder Unterlagen vorzulegen.
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Stattdessen bekommen die Mieter Schreiben, die sie als Einschüchterungsversuche empfinden. Die Briefe werden von der Kanzlei JHS Legal verschickt, die der Dax-Konzern damit beauftragt hat, angeblich offene Forderungen einzutreiben. So erhielt die Leverkusener Mieterin Mahnschreiben - obwohl Vonovia die angeforderten Belege noch gar nicht vorgelegt hatte. Insgesamt kamen zwei Rechnungen in Höhe von insgesamt 88,54 Euro. Erst am Ende des Prozesses war klar, dass sie nichts davon zahlen musste.
Doch die Zermürbungstaktik wirkt, gerade dort, wo die Mieten hoch und die Wohnungen knapp sind. Von 17 Leuten, die klagen wollten, seien am Ende 14 wieder abgesprungen, berichtet etwa eine Mieterin aus einer größeren Vonovia-Wohnanlage. Die Menschen hätten Angst, dass ihre Wohnung gekündigt werde, oder scheuten die Belastung eines Gerichtsprozesses.
Solange sich nur einzelne Mieter vorwagen, tun sich auch Staatsanwälte schwer. "Ich kann ja nicht wegen 2,50 Euro die Vonovia-Firmenzentrale durchsuchen lassen", sagt einer. "Das ist schlichtweg unverhältnismäßig."

Musterfeststellungsklage denkbar
Vonovia profitiert davon, dass es für den einzelnen Mieter meist nur um ein paar Euro geht, für den Konzern wiederum um deutlich mehr. Der Münchner Franz Obst etwa klagt vor dem Amtsgericht wegen 158,58 Euro. In seiner gesamten Wohnanlage hat Vonovia jedoch rund 60.000 Euro abgerechnet. Doch in Deutschland gibt es keine Sammelklage als solche, und bei 159 Euro ist das Honorar für einen Anwalt so niedrig, dass kaum einer ein solches Mandat übernehmen will.
Die Mietervereine kennen das Problem und bereiten deshalb eine Musterfeststellungsklage gegen Vonovia vor. "Die undurchsichtigen Nebenkostenabrechnungen von Vonovia sind ein bundesweites Problem", sagt Volker Rastätter, Geschäftsführer des DMB Mieterverein München. Man stimme sich derzeit mit anderen Mietervereinen und dem Deutschen Mieterbund ab. "Wir werden dann klären, wer am besten eine Musterfeststellungsklage einreicht. Ein realistischer Zeitpunkt dafür ist Juni oder Juli", sagt Rastätter.
Es wäre die zweite Musterfeststellungsklage, die sich gegen einen Dax-Konzern richtet. Die erste betraf Volkswagen.