Massenhafte Modernisierung von Wohnungen Lukrativ für Vonovia, bitter für Mieter

Vonovia-Infotafel (in Dortmund): Der Konzern erhöht die Ausgaben für Modernisierungen
Foto: Ina FassbenderTief im Südwesten Deutschlands sitzt der vielleicht unbequemste von vielen unbequemen Gegnern des deutschen Wohnungskonzerns Vonovia. Zwischen Bodensee und Schweizer Grenze organisiert sich der Widerstand in zwei Konstanzer Plattenbauten mit insgesamt 252 Wohnungen. Die Mieter haben Parolen wie "Vonovia modernisiert, Miete explodiert" auf die Wege gemalt und eine Kampfansage: "Wir wehren uns!"
Was in der Konstanzer Schwaketenstraße passiert, ist beispielhaft für das, was Mieter in vielen deutschen Städten bewegt. Und es sieht aus, als sei es eine regelrechte Strategie von Vonovia. Eigentlich sind die Mieter hier so, wie ein Vermieter sie sich wünscht: Sie sind bescheiden, ordentlich und mit ihrer Wohnsituation absolut zufrieden. Werner Großmann lebt mit seiner Frau seit 1985 in einer Dreizimmerwohnung im ersten Stock.

Lohnenswerte Modernisierungen
Foto: Cornelia Pfauter/ DER SPIEGEL"Der Ärger begann mit der Vonovia-Übernahme vor ein paar Jahren", sagt der 75-Jährige, vor allem wegen der Steigerung der Betriebskosten, über die viele Vonovia-Mieter klagen. Seither kämpft Großmann gemeinsam mit seinen Nachbarn und mit tatkräftiger Unterstützung des lokalen Mieterbunds für verständliche Abrechnungen, Erklärungen, und für eine Rücknahme der Erhöhungen. Allein, das haben sie schnell festgestellt, sind sie schwach, deshalb haben sie eine Mieterinitiative gegründet.
Den Anstieg der Nebenkosten hätten sie vielleicht - wie Tausende Vonovia-Mieter - ohnmächtig akzeptiert. Während sie aber noch auf Antworten auf ihre Fragen warteten, schickte der Konzern erst eine Mieterhöhung und kurz darauf eine Modernisierungsankündigung.
Werner Großmann konnte kaum glauben, was er da las. Denn erst vor 15 Jahren hatte der damalige Eigentümer eine halbe Million Euro investiert, um die Häuser auf einen zeitgemäßen energetischen Standard zu bringen. Der Aufwand war immens: Die Fassade wurde gedämmt, etwa 1200 Fenster wurden ausgetauscht, drei Monate lang war die Siedlung eine einzige Baustelle. Gezahlt haben das die Bewohner, die Monatsmiete der Großmanns stieg um etwa 55 Euro. Immerhin: Im Gegenzug gingen die Heizkosten ganz leicht zurück.

Fotostrecke: Widerstand gegen Vonovia
Nun aber lässt Vonovia erneut energetisch modernisieren. Die Wärmedämmung wird von der Fassade gerissen, die intakten doppelverglasten Fenster werden aus- und dreifach verglaste eingebaut, zusätzlich bekommt jede Wohnung Rollläden. Die Mieter empfinden das als Schikane: Ihren Messungen zufolge sind die neuen Fenster kleiner und lassen deshalb weniger Licht durch - die Glasfläche verringert sich demnach um mehr als 20 Prozent.
Zum Duschen in den Container
Auch wenn das kleinlich wirken mag, die Baubelastung ist hoch. Nach einer Beschwerde bei der Gewerbeaufsicht stoppte Vonovia die Arbeiten zwischenzeitlich sogar, weil die Arbeiter die Dämmung ohne Schutz abrissen und den möglicherweise krebserregenden Staub in der ganzen Gegend verteilten. Weil Vonovia zeitgleich auch die Bäder saniert, müssen die Mieter in Dusch- und Toilettencontainer auf der Straße ausweichen.

Anti-Vonovia-Graffiti in Konstanz
Foto: SPIEGEL ONLINEWie bei jeder Modernisierung zahlen die Mieter dafür selbst: Vermieter dürfen jährlich elf Prozent der Kosten auf die Miete umlegen. Und zwar, das ist gesetzlich so vorgesehen, nicht nur bis die Gesamtkosten zurückgezahlt sind, sondern dauerhaft. Vonovia nimmt eine geplante Änderung vorweg und legt nur acht Prozent um. Für die Großmanns heißt das, sie zahlen künftig fast 200 Euro mehr - die dickere Dämmschicht und die dichteren Fenster werden die Heizkosten dagegen laut Vonovia nur um "bis zu 20 Prozent" senken.
Der Wohnungskonzern erklärt die erneute Sanierung damit, dass die Vorbesitzer die Fenster "nur in Teilen ausgetauscht" und "Dämmungen nicht vollständig vorgenommen" hätten. Vonovia plane Modernisierungen so, dass "die Anlage in den nächsten 30 Jahren nicht noch einmal modernisiert werden muss". Im Übrigen werde "ausschließlich der Kostenanteil am Fenster auf die Miete umgelegt, der in der zusätzlichen Verbesserung der Fensterqualität begründet ist. Weitere Kosten beispielsweise für die Dämmung tragen wir". In der Kostenzusammenstellung können die Mieter sehen, was das konkret heißt: Von den Fassadenarbeiten legt Vonovia nur knapp 700.000 von etwa 800.000 Euro auf die Miete um, bei den Fensterarbeiten sind es 277.800 Euro von 388.850 Euro, die knapp 60.000 Euro für Dämmarbeiten werden den Mietern demnach komplett in Rechnung gestellt.
Das Unternehmen, hier zeigt sich das Vonovia-Prinzip, profitiert von der Maßnahme aber gleich mehrfach: Mit der Sanierung steigt der Wert der Gebäude, während ein Großteil der Kosten von den Mietern gezahlt wird. Weil die Miete dauerhaft erhöht bleibt, steigen zudem die Einnahmen. Und weil die Miete während einer Modernisierung nicht gemindert werden darf, führt Vonovia zeitgleich auch noch Instandsetzungsarbeiten durch, die eigentlich zur Mietminderung berechtigten.
Zwar setzt Vonovia in Konstanz nach eigenen Angaben "ausschließlich externe Nachunternehmer" ein, aber grundsätzlich lohnen sich solche Arbeiten auch aus einem weiteren Grund: Der Konzern führt seine Modernisierungen gerne mit Tochterfirmen durch, die Gewinne fließen in die Gesamtbilanz ein.
250 Euro Entschädigung für zwei Jahre Bauzeit
Einige Bewohner werden sich die Miete nach der Modernisierung wohl nicht mehr leisten können. Ziehen sie aus, kann Vonovia deren Wohnungen wiederum teurer vermieten. Deutschlandweit protestieren Mieter gegen die Praxis, die sie als "Herausmodernisieren" bezeichnen.
Ein Vorwurf, den die Unternehmensführung zurückweist. "Bei 20.000 Modernisierungen", sagte Vonovia-Vorstand Klaus Freiberg jüngst, "habe ich Klagen im niedrigen dreistelligen Bereich. So gesehen handeln wir in 99,99 Prozent der Fälle formal richtig." Das ist mathematisch eher unkorrekt. Und der wahre Grund für die wenigen Klagen dürfte ein ganz anderer sein: Wer die Mieterhöhung nicht zahlen kann, leistet sich erst recht keinen Gerichtsprozess mit ungewissem Ausgang.
Sie wollen uns auf Missstände hinweisen? Sie haben brisante Informationen? Dann schreiben Sie an unser Team Hintergrund und Recherche: Mail an: SPIEGEL ONLINE - Team Hintergrund und Recherche Alternativ können Sie das Team auch SPIEGEL.de: Impressum Sollten Sie verschlüsselt kommunizieren wollen, nutzen Sie bitte Autorenprofil von Jörg Diehl
Dem SPIEGEL liegen Beispiele für Modernisierungen aus ganz Deutschland vor, die daran zweifeln lassen, dass Vonovia vor allem an das Wohl seiner Mieter denkt. In Darmstadt erstreckte sich eine Modernisierung über zwei Jahre, die allgemeinen Stromkosten der Mieter verdoppelten sich. Am Ende der Bauzeit bot der Konzern den Betroffenen eine "Entschädigung" für die allgemeinen Beeinträchtigungen während der Bauzeit in Höhe von 250 Euro an. Die Mieter empfanden die Summe als geradezu lächerlich gering.
Dieselbe Entschädigungssumme zahlte Vonovia bei einer Modernisierung in Dresden, dort erhöhte sich die Miete um 1,65 Euro pro Quadratmeter oder stolze 36 Prozent. Die Heizkosten sanken durch die Wärmedämmung - um theoretisch knapp 18 Cent.
Als ein Heizungsbauer im Auftrag des "Team Wallraff" (RTL) jüngst eine Heizungsmodernisierung von Vonovia genauer untersuchte, für die Mieter bis zu 120 Euro mehr Miete bezahlen, fand er etliche Mängel. Teile waren zwar abgerechnet, aber anscheinend nicht verbaut worden. Vonovia reagierte schnell, rüstete nach und schrieb, dass "bei der Kostenverteilung der Abrechnung innerhalb der Mieterschaft ein Fehler unterlaufen ist. Wir bedauern diesen Fehler, und werden ihn schnellstmöglich korrigieren".
Nicht immer geht das so leicht. Ein Ehepaar aus Dortmund beispielsweise zeigte sich eher unglücklich über die Modernisierung, mit der Vonovia "die Attraktivität" ihres Heims steigern wollte. In diesem Fall wurde ein neues Badezimmer eingebaut und die Kosten dafür legte Vonovia - gesetzeskonform - auf die Miete um. Künftig zahlt das Ehepaar 79 Euro mehr Miete - deutlich zu viel, wie das Paar findet: "Wenn wir also noch 15 Jahre hier wohnen, bezahlen wir für das neue Badezimmer 14.220 Euro. Also ich finde das dreist." Eine Wahl hatten die Mieter nicht.
Der Bürgermeister schaltet sich ein
In Konstanz formiert sich nun breiter Widerstand gegen den größten Vermieter Deutschlands. Der örtliche Mieterbund hat Landtagsabgeordnete aller Parteien auf die Baustelle geführt und einen Gemeinderatsbeschluss erwirkt. Sogar der CDU-Oberbürgermeister Ulrich Burchardt schaltete sich nach längerem Zögern ein, mit einer Videobotschaft im Internet , in der er das Vorgehen von Vonovia als "unanständig" bezeichnete. Der Mieterbund hatte für einige Wohnungen in der Schwaketenstraße ausgerechnet, wie stark die Mieten durch die Modernisierung Vonovia zufolge steigen sollen: im Schnitt um ein Drittel.
Drei Prozesse führt der Konstanzer Mieterverein aktuell gegen den Immobilienkonzern. Bisher hat Vonovia solche Streitigkeiten häufig nicht ausgefochten, sondern mit einem Vergleich beendet - eine Niederlage vor Gericht konnte das Unternehmen so vermeiden. Der Mieterbund will ein derartiges Angebot aber nicht annehmen.
Für den Immobilienkonzern könnte der Streit in Konstanz unangenehm werden, denn er braucht Modernisierungen. Vonovia und die Vorbesitzer der Wohnimmobilien haben viele Jahre bei Instandhaltung und Substanzwahrung der Gebäude gespart, Investitionen sind also dringend notwendig. Auch im vergangenen Jahr erhöhte Vonovia die Ausgaben für Instandhaltung und Substanzwahrung nur leicht, um insgesamt gut 26 auf 346 Millionen Euro. Für Modernisierungen, die der Konzern auf die Mieter abwälzen kann, gab das Unternehmen dagegen fast 779 Millionen Euro aus - ein Plus von 306 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr.
Wie wichtig die Modernisierung für Vonovia ist, ergibt sich aus dem aktuellen Geschäftsbericht: Im vergangenen Jahr steigerte der Konzern die Mieteinnahmen pro Quadratmeter um 4,2 Prozent. Durch normale Mieterhöhungen kamen aber lediglich 1,6 Prozent zusammen - die Modernisierungen brachten zusätzliche 2,5 Prozent.
Im Video: Wohnraum als Ware