VW-Abgasskandal Winterkorn soll Monate früher Bescheid gewusst haben

Erst kurz vor dem Bekanntwerden des Dieselskandals 2015 wusste die VW-Spitze Bescheid, so stellt es der Konzern bisher dar. Zeugen wecken nun Zweifel an dieser Version - Chef Winterkorn war demnach lange eingeweiht.
Ehemaliger VW-Chef Martin Winterkorn

Ehemaliger VW-Chef Martin Winterkorn

Foto: Christian Charisius/ REUTERS

Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn hat nach einem Bericht der "Bild am Sonntag" mindestens zwei Monate vor Bekanntwerden des Diesel-Skandals von den Manipulationen erfahren. Ein VW-Abgasspezialist habe Winterkorn und VW-Markenchef Herbert Diess am 27. Juli 2015 ausführlich die Betrugssoftware erklärt, mit der weltweit etwa elf Millionen Fahrzeuge manipuliert wurden, schrieb die Zeitung. Das Blatt beruft sich auf "Hunderte Zeugenbefragungen, FBI-Berichte, interne E-Mails und geheime Präsentationen".

Das Treffen im Juli schien nicht die erste Gelegenheit gewesen zu sein, bei der der damalige VW-Chef über die illegale Abschalteinrichtung sprach. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass Winterkorn zum ersten Mal davon gehört hat", zitiert die "BamS" den Experten und heutigen Kronzeugen. Er habe sich in der anschließenden Erörterung an Diess gewandt und gefragt: "Habt ihr bei BMW auch so etwas verwendet?" Diess, der kurz zuvor von BMW gekommen war, habe geantwortet: "Nein, wir haben bei BMW keine Defeat Devices genutzt!"

Volkswagen erklärte dazu auf Nachfrage: "Vor dem Hintergrund laufender Ermittlungen äußern wir uns zu den genannten Sachverhalten inhaltlich nicht." Nach Konzernangaben hat die VW-Führungsspitze um Winterkorn nur wenige Tage vor Bekanntwerden des Skandals in den USA detailliert von den Manipulationen erfahren. Gegen Winterkorn sowie gegen den heutigen VW-Vorstandsvorsitzenden Matthias Müller, den VW-Aufsichtsratschef und ehemaligen Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch sowie Diess laufen in Deutschland bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Sie sollen den Kapitalmarkt entgegen der Vorschriften nicht rechtzeitig über die Probleme informiert haben. Außerdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen fast 40 Beschuldigte wegen Betrugsverdachts, auch gegen Winterkorn.

Die kalifornische Umweltbehörde CARB hatte schon Anfang 2015 Verdacht geschöpft und hatte sich mehrfach mit VW-Vertretern getroffen. "Jetzt haben wir Ärger. Sie haben uns erwischt", habe ein VW-Manager nach einem Treffen mit der Behörde am 8. Juli 2015 gesagt, berichtet das Blatt unter Berufung auf US-Akten.

Hinhaltetaktik angeordnet

"Winterkorn hat niemanden angewiesen, die Existenz der Software preiszugeben. Und nur Winterkorn konnte diese Entscheidung treffen", zitiert die Zeitung den Kronzeugen weiter. Vielmehr habe der damalige VW-Chef nur genehmigt, das Problem bei Gesprächen mit den US-Behörden "teilweise" offenzulegen. Er selbst habe schließlich in einem Treffen mit CARB-Vertretern am 19. August 2015 den Betrug offengelegt.

Wie die "BamS" weiter schreibt, sei Winterkorn, Diess und dem damaligen Entwicklungschef Heinz-Jakob Neußer in einer Sitzung am 25. August 2015 vorgerechnet worden, dass der Skandal den Autobauer allein in den USA bis zu 18,5 Milliarden Dollar kosten könne. Es sei deshalb empfehlenswert, Rücklagen zu bilden.

Der Spezialist war nach eigenen Worten 2007 von seinem Vorgesetzten angewiesen worden, die Betrugssoftware in die erste VW-Dieselgeneration in den USA einzubauen. Er habe sich gefügt, um seine Karriere nicht zu gefährden. Ähnlich äußerte sich demnach ein weiterer Zeuge, der ehemalige Leiter der Dieselentwicklung. Die Software sollte helfen, die strengen US-Abgasgrenzwerte einzuhalten.

2015 hatten Behörden in den USA aufgedeckt, dass Volkswagen die Stickoxid-Werte von Dieselfahrzeugen manipulierte. Weltweit waren schließlich rund elf Millionen Autos betroffen, darunter knapp 2,4 Millionen in Deutschland. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden brach der Börsenkurs der VW-Aktie ein. Winterkorn trat bald danach zurück.

Mittlerweile hat sich der Konzern in den USA in mehreren Vergleichsverfahren zu Zahlungen in Höhe von mehr als 22 Milliarden Euro verpflichtet. Ein VW-Manager sitzt in Haft, ein langjähriger Ingenieur hat sich in einem Verfahren schuldig bekannt, fünf weitere Mitarbeiter sind angeklagt, darunter Ex-VW-Entwicklungschef Neußer.

Erst kürzlich wurde im Zuge der Ermittlungen gegen die VW-Tochter Audi wegen geschönter Diesel-Abgaswerte erstmals in Deutschland ein Beschuldigter verhaftet. Ihm wird Betrug und unlautere Werbung vorgeworfen. Daneben gibt es in Europa unzählige Klagen von Aktionären und Autobesitzern gegen VW.

mik/dpa
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