VW-Chef Müller vor dem Abschied Zerrüttetes Verhältnis

VW-Chef Matthias Müller
Foto: Denis Balibouse/ REUTERSFür die Aktionäre von Volkswagen gab es eigentlich schon genug zu besprechen auf der anstehenden Hauptversammlung am 3. Mai: Dieselfahrverbote, Abgasaffäre und die hohen Managergehälter dürften für intensive Debatten eigentlich genügen. Doch jetzt plötzlich spielt das alles nur noch eine untergeordnete Rolle.
Denn seit diesem Dienstag gibt es ein neues Thema mit höchster Priorität: Der bevorstehende Abschied von Vorstandschef Matthias Müller. "Die Volkswagen Aktiengesellschaft erwägt eine Weiterentwicklung der Führungsstruktur für den Konzern, die auch mit personellen Veränderungen im Vorstand und mit Änderungen bei den Ressortzuständigkeiten im Vorstand verbunden wäre", hieß es am Dienstag etwas verklausuliert in einer Mitteilung des VW-Konzerns. Das beinhalte möglicherweise auch eine Veränderung im Amt des Vorstandsvorsitzenden.
Kurz darauf wurde klar, was das konkret heißt: Müller soll den Konzern verlassen, als aussichtsreichster Kandidat für seine Nachfolge gilt Herbert Diess, der bisher die VW-Marke im Konzern führt. Das "Handelsblatt" hatte darüber zuerst berichtet. Bereits auf einer Sitzung des Aufsichtsrats am Freitag sollen die Personalien entschieden werden, heißt es in Konzernkreisen. Offiziell will sich VW nicht dazu äußern. Nichts sei bislang endgültig entschieden, deshalb könne man Fragen dazu auch nicht beantworten.

Konzernumbau: Herbert Diess' Weg an die Volkswagen-Spitze
Amtsmüde und dünnhäutig
Auch was die Hintergründe von Müllers Ablösung betrifft, hüllen sich die Beteiligten in Schweigen - immerhin läuft der Vertrag des 64-Jährigen eigentlich noch bis 2020. Und auch die Zahlen für 2017, die der Konzern Mitte März veröffentlichte, geben kaum Anlass zur Unzufriedenheit.
Wirklich überrascht sind Beobachter von der Entscheidung dennoch nicht. Wobei sich die Interpretationen je nach Standpunkt unterscheiden. Aus dem Umkreis Müllers ist der Hinweis zu hören, dass dieser den Posten den Vorstandschefs im September 2015 ohnehin in erster Linie aus Loyalität zu den Eigentümern, also dem Familienclan der Piëchs und Porsches übernommen habe. Die Erfüllung all seiner Träume sei die Aufgabe jedoch nie gewesen. In den vergangenen Monaten habe der Manager dann immer stärker mit den Widrigkeiten seines Amtes gehadert. Die undiplomatischen Einlassungen auf kritische Nachfragen in einem SPIEGEL-Gespräch seien Indiz für eine neue Dünnhäutigkeit Müllers (lesen Sie das Interview hier bei SPIEGEL Plus).
Beispiele für diese Dünnhäutigkeit gab es zuletzt viele. Der Umgang mit dem Skandal um die Abgastests an Affen gehört dazu. Müller habe sich intern als sehr genervt davon gezeigt, sich als unfair angegriffen gefühlt, heißt es. Auch die harsche öffentliche Reaktion auf seinen Vorschlag, die Steuer für Diesel der für Benzin anzugleichen , weckte sein Unbehagen.
"Er ist der Konzernchef, er muss den Kopf hinhalten"
Im Prinzip ähnlich, doch mit gegensätzlicher Schlussfolgerung, beurteilen jene die Sachlage, die eher dem Aufsichtsrat und der Eigentümerfamilie nahestehen. Dort habe sich die Stimmung gegenüber Müller in den vergangenen Monaten merklich abgekühlt, heißt es - auch wenn alle ihm eine gute Arbeit attestieren. "Er hat einen guten Job gemacht, Vieles bewegt, vieles angestoßen", verlautet es aus dem Aufsichtsrat. Doch in den vergangenen Monaten habe er müde und erschöpft gewirkt, ausgelaugt. Das sei auch im Aufsichtsgremium negativ aufgefallen.
Für Müllers zunehmende Empfindlichkeiten wollte man offenbar immer weniger Verständnis aufbringen. "Er ist der Konzernchef, er muss den Kopf hinhalten für Verfehlungen", sagt ein Insider. Das werde Müller schließlichmit zehn Millionen Euro Jahressalär abgegolten. Am Ende fühlte sich die Beziehung Müllers zum Aufsichtsrat an wie eine zerrüttete Ehe.

Aufsichtsräte Wolfgang Porsche (l.) und Stephan Weil
Foto: Peter Steffen/ dpaDass die Porsche-Piëch-Familie nicht immer zufrieden mit Müller war, hatte sich schon im vergangenen Sommer angedeutet, nachdem der VW-Chef den Verkauf von Konzernteilen angekündigt hatte. "Aktuell sehe ich keine Notwendigkeit, sich von Teilen des Konzerns zu trennen", sagte Wolfgang Porsche, Sprecher des Familienclans damals am Rande der Internationalen Automobilausstellung IAA dem SPIEGEL. Auch Müllers Plädoyer für höhere Dieselsteuern sei bei den Aufsichtsräten nicht gut angekommen.
Der Neue soll mehr Elan zeigen
Mit seiner Kritik hatte Porsche damals zugleich bereits einen Hinweis gegeben, wo er den derzeit wichtigsten Stellhebel für Volkswagens Zukunft sieht: bei den Gewinnmargen der Kernmarke VW - das Terrain von Herbert Diess, der nun als Nachfolger Müllers gehandelt wird.

Möglicher Müller-Nachfolger Herbert Diess
Foto: Denis Balibouse/ REUTERSIhm wird mehr Elan attestiert, als Müller zuletzt zeigte. "Diess ist extrem ehrgeizig", sagt ein Aufsichtsratsmitglied. Er habe viele Fähigkeiten aus verschiedenen Konzernressorts auch durch seine Zeit beim Konkurrenten BMW erworben.
Auch Wolfgang Porsches Unterstützung scheint Diess sicher. Das ließ sich schon daran ablesen, wie sich der Clansprecher auf dem Genfer Autosalon im vergangenen Jahr schützend vor den VW-Manager stellte, als der mit den starken Arbeitnehmervertretern im Clinch lag. Es ging damals um den geplanten Zukunftspakt und Stellenstreichungen bei der Marke VW. Mit dem Pakt wollte Diess die Kosten deutlich senken und VW profitabler machen.
Im Alleingang entscheidet jedoch keine der Seiten im Aufsichtsrat gegen Müller und für Diess. Die Porsches und Piëchs müssen den starken Betriebsratschef Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf ihrer Seite haben, wenn sie den Manager am Freitag zum neuen Chef küren wollen.