
Fotostrecke: Elektroautos als Schwarmspeicher
Pilotprojekt mit Lichtblick VW will Elektroautos zu Riesenspeicher vernetzen
Hamburg - Das Auto der Zukunft soll mehr können als seine Insassen von A nach B zu befördern. Strombetrieben soll es sein, dazu lautlos, es soll die Umwelt schonen und auch in den durchschnittlich 23 Stunden, in denen es auf dem Parkplatz, in der Garage oder an irgendeiner anderen Ladestation herumsteht, fleißig arbeiten.
Seine Batterie kann zum Beispiel immer dann laden, wenn Windräder und Solarpanels besonders viel Strom produzieren. In Zeiten also, in denen die Strompreise dank eines Überangebots sinken. Ökostromanlagen müssen so nicht abgeschaltet werden, und das Elektroauto kann besonders günstig tanken. Bei akuten Energieengpässen hingegen, also wenn Strom sehr teuer ist, kann das Elektroauto Strom ins Netz speisen.
Das Auto der Zukunft ist nach diesem Konzept mehr als ein Auto. Es ist ein kleiner, flexibler Speicher, der die schwankende Versorgung aus Ökostrom stabilisiert. Und ein vollautomatisierter Energiedienstleister. Ein Stromhändler, der billig kauft und teuer verkauft. Der vom Parkplatz aus bares Geld verdient.
Konzepte wie dieses gibt es schon länger. Doch nun haben sich nach Informationen von SPIEGEL ONLINE in Deutschland erstmals zwei Player mit großem technischen Know-how und großen Geldreserven des Themas angenommen: der Autokonzern Volkswagen und der Ökostromanbieter Lichtblick.
Gemeinsam mit weiteren Playern haben sie ein Konsortium gebildet, das Elektroautos ins Stromnetz integrieren will - und das im Herbst einen entsprechenden Feldversuch startet. In diesem sollen Elektroautos mit dem Stromnetz und miteinander kommunizieren und zu einer Art virtuellem Speicher kombiniert werden. Zur "Schwarmbatterie", wie Gero Lücking, Energievorstand von Lichtblick, es vollmundig nennt.
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen bis Ende des Jahrzehnts eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren. Die Vision des Konsortiums ist es, daraus einen gigantischen Stromspeicher zu bauen. Eine Million Elektroautos hätten eine Speicherleistung von etwa sieben Gigawatt, mehr als alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen.
Software als Dirigent
Das Pilotprojekt trägt den Namen INEES (Intelligente Netzanbindung von Elektrofahrzeugen zur Erbringung von Systemdienstleistungen) und wurde vom Bundesumweltministerium gerade zum Leuchtturmprojekt ernannt. Im November 2013 geht INEES nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen in die heiße Phase - mit einem einjährigen Feldversuch in Berlin, den das Forschungsinstitut Fraunhofer IWES wissenschaftlich begleitet.
20 Testhaushalte bekommen dann von VW je ein Elektroauto des Typs e-up! gestellt. Bei den Fahrzeugen handelt es sich um Spezialanfertigungen; sie wurden so umgebaut, dass ihre Batterien bei Bedarf Strom ins Netz speisen können. Vom Energietechnologieunternehmen SMA bekommen die Testhaushalte zwei entsprechende Ladestationen für die E-Autos geliefert, eine für zu Hause und eine für den Arbeitsplatz.
Der Energieanbieter Lichtblick steuert eine spezielle Software bei, den sogenannten Schwarmdirigenten. Dieser misst unter anderem in Echtzeit den Ladezustand der Batterien in den Testfahrzeugen und wertet die aktuellen Strompreise aus. Auf der Basis dieser Daten sendet die Software Impulse zum Be- und Entladen der Testfahrzeuge. Der Schwarmdirigent ist seit 2008 im Einsatz. Lichtblick verwendet ihn bereits zur Steuerung von derzeit 766 Blockheizkraftwerken .
Die INEES-Versuchshaushalte bekommen zudem je ein iPhone gestellt. Per App können sie den Schwarmdirigenten an- und ausknipsen oder ihm spezielle Anweisungen geben. Sie können unter anderem festlegen, wie stark ihre Autobatterie zu einer bestimmten Uhrzeit aufgeladen sein soll. Denkbar sind auch bestimmte Nutzungsmodi wie "Urlaub", "normaler Arbeitstag" oder "Wochenende". In den Batterien der Testfahrzeuge soll außerdem stets eine Notreserve verbleiben, damit der Nutzer auch mal spontan in den Supermarkt fahren kann. Oder in die Kita, um sein krankes Kind abzuholen.
Schwarm-Batterie soll Nachfrage nach Elektroautos steigern
Fahren, wann immer man will - das ist besonders wichtig. Denn nichts ist verkaufsschädigender als die Vorstellung von Tausenden Elektroautos, denen vor lauter Schwarmspeicherei der Saft ausgegangen ist und die deshalb nun die Straßen blockieren.
"Der Akku ist das mit Abstand sensibelste Teil eines Elektroautos", sagt Uwe Leprich, Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme, der seit vielen Jahren verschiedene Ministerien bei energiewirtschaftlichen Fragen berät. "Es wird noch lange dauern, bis ein Akku stark genug ist, die Mobilität des Fahrers zu garantieren und auch noch Energiedienstleistungen zu übernehmen."
Akku-Angst dämpft schon jetzt die Kauflust der Deutschen. Die Absätze von Elektroautos sind bislang unterirdisch; das Ziel, bis 2020 eine Million E-Autos auf deutsche Straßen zu bringen, wirkt wie ein Wunschtraum. Fragt sich also: Ist also auch die Schwarmbatterie nur die Fata Morgana allzu fortschrittsgläubiger Öko-Spinner?
"Ganz im Gegenteil", sagt Lücking von Lichtblick. Die Schwarmbatterie soll die Nachfrage nach Elektroautos sogar steigern. Bislang rentieren sich Elektroautos vor allem für Vielfahrer: Strom ist günstiger als Benzin; wer viel fährt, hat die höheren Anschaffungskosten fürs Elektroauto schneller wieder drin. Künftig sollen E-Autos auch auf dem Parkplatz Geld verdienen. Der Besitzer soll in der Folge zum Beispiel günstiger Strom tanken oder gleich das E-Auto billiger bekommen.
Megatrend für die kommenden Jahre
Natürlich ist auch das Gegenteil denkbar: Die Batterie muss zu einem bestimmten Zeitpunkt geladen sein, doch Strom ist gerade sündhaft teuer. Lücking geht davon aus, dass sich solche Schwankungen im Mittel ausgleichen. Dass sich Kauf und Verkauf per Software so optimieren lassen, dass sich das Schwarmstromkonzept rechnet. Auch VW setzt große Hoffnungen in das Projekt. "INEES ist ein wichtiger Baustein im Gesamtsystem E-Mobilität", sagt Rudolf Krebs, der die Elektromobilität-Sparte im Konzern leitet. SMA spricht von einer Chance, "die Stromversorgung der Zukunft mitzugestalten".
Bislang ist die Schwarmbatterie vor allem Zukunftsmusik. "Dass Batterien von Elektroautos als flexible Speicher eingesetzt werden, sehe ich in frühestens 15 bis 20 Jahren", sagt Leprich. Und dann müsste sich das Konzept auch noch gegen andere Technologien durchsetzen, die im System dieselbe Funktion übernehmen, vor allem gegen Pump- und Druckluftspeicher.
Was auch immer der Pilotversuch ergibt, der demnächst anläuft - schon jetzt ist ein Megatrend für die kommenden Jahre abzusehen: Die Energiewende verwischt die Grenzen zwischen klassischen Wirtschaftssektoren. Die Energie-, IT- und Automärkte bewegen sich aufeinander zu - eine neue Superbranche entsteht. Und der Kampf um die Vorherrschaft in dieser beginnt bereits.