
Familie Weidt: Ein Leben für die Werft
Wadan-Werften Ein Schiff wird kommen
Vom rostigen Tor blättert die weiße Farbe. Dahinter ragt der hundert Meter hohe blaue Kran hervor, im Rostocker Stadtteil Warnemünde ist er unübersehbar. Vor ein paar Monaten hievte er noch über 600 Tonnen schwere Schiffsteile ins Dock. Das Krachen der Hammerschläge gehörte zum Ort wie der salzige Geruch der Ostsee.
Hunderte Maschinenbauer, Schlosser und Schweißer strömten täglich durch das Tor. Mittlerweile herrscht Stille: Kein Sirenenlärm zum Schichtwechsel, nicht einmal Möwenkreischen ist zu hören. Das 85 Hektar große Gelände der ehemaligen Wadan-Werft liegt brach. Die letzte Schicht ist vorbei, auch für Norbert Weidt, nach 36 Jahren.
Der 53-Jährige hat graumelierte, kurzgeschorene Haare. Versunken sitzt er in seinem braunen Ledersessel, während er von seiner Zeit auf der Rostocker Werft erzählt. In seinen Sätzen zieht er die Endungen lang und überdehnt die Vokale, wie viele Mecklenburger. In seinem Wohnzimmer hängt eine Holzschnitzerei. Rund drei Dutzend goldener Fische auf grünem Grund. Es ist das einzige maritime Symbol, ein Andenken an seine Zeit auf der Werft hat er nicht.
Schon auf den Löschbooten war der Vater dabei
Seit dem 1. August sind die Wadan-Werften in Rostock und Wismar insolvent. Jahrzehntelang prägte der Schiffbau die Wirtschaft der Region. Jetzt warten Tausende Werftarbeiter und Hunderte Zulieferer auf eine Entscheidung. Neue Hoffnung setzen sie auf den Investor Igor Jussufow, der die Werften Ende August gekauft hat.
Für die Weidts geht es um viel. Drei Generationen der Familie arbeiteten hier, ebenso ein Schwager und ein Onkel. Sein Vater Karl Ludwig, sagt Weidt, war auf den Löschbooten, die für die Werft zuständig waren, irgendwann in den fünfziger Jahren. Später wurde eine betriebseigene Feuerwehr eingerichtet. Als 17-Jähriger fing er selbst als Lehrling in Rostock an. Seitdem malochte er dort. Er ist Instandhaltungsschlosser. Er kümmerte sich um die Maschinen, Geräte und Anlagen auf dem Gelände. "Die Arbeit erfüllte mich jeden Tag aufs Neue", sagt er noch heute.
Auch seinen Sohn Paul führte er früh an das Werftleben heran. Mittlerweile ist der 22 Jahre alt und im zweiten Jahr Lehrling zum Anlagenmechaniker. Ein Augustnachmittag im Jahr 2001 blieb ihm besonders in Erinnerung. Damals wurde die Bohrinsel "Stena Don" vom Ausrüstungskai geschleppt. Der rot gestrichene Kollos streckte sich fast hundert Meter in die Höhe, verschlang Zehntausende Meter Schweißdraht und rund 1,7 Millionen Arbeitsstunden. Auf den Molen entlang der Warnow standen Tausende Schaulustige.
Für die meisten Arbeiter ist die Werft mehr als ein Job. Geduzt wird jeder, vom Lehrling bis zum Meister. Nach der Schicht trinken sie das obligatorische Feierabendbier zusammen, feiern den Docklauf großer Schiffe mit der Familie oder treffen sich zum Heimspiel von Hansa Rostock im Ostseestadion.
Hochqualifizierte Belegschaft, modernste Anlage
Man ist stolz auf die Werft, auf die Schiffbaustandorte, die sich seit der deutschen Einheit gut entwickelt haben. Die Auftragsbücher waren voll, die Schwesterwerften gehören zu den modernsten und effizientesten Anlagen weltweit. Die Belegschaft ist hoch qualifiziert, die Ausbildung ist eine der besten Deutschlands. Stolz ist man hier auch auf die Leistungen, auf die Tradition, auf die hanseatischen Tugenden. Die Asiaten produzieren billiger und meist schneller. "Aber unsere Qualität ist die beste", sagt Weidt.
Doch die will plötzlich niemand mehr haben, seit die Krise den Welthandel einbrechen ließ. Wer nicht handelt, braucht auch keine Schiffe - deshalb wird auf der Werft seit Juni kaum noch produziert, als sich die Insolvenz abzeichnete. Viele Mitarbeiter nahmen ihren Jahresurlaub oder gingen in Kurzarbeit.
Dabei hatte erst im September 2008 der Eigentümer der Werften gewechselt. Der Russe Andrej Burlakow, zuletzt Miteigentümer und Vorstandsvorsitzender der Wadan-Gruppe, stellte Aufträge in Höhe von 2,5 Milliarden Euro in Aussicht. "Wir fürchten, dass wir zu wenig Mitarbeiter haben", sagte Burlakow damals vollmundig. Weidt und viele seiner Kollegen halten nichts mehr von ihm. "Er hat den großen Hain versprochen und so getan, als könne er alles aus der Tasche schütteln", sagt Weidt. Seinen Namen spricht kaum jemand aus, Burlakow heißt oft nur "der Russe".
Reedereien können Aufträge nicht mehr zahlen
Doch sie wissen, dass ihre Lage nicht nur mit dem Russen zusammenhängt, sondern auch mit der weltweiten Krise. In beiden Werften liegen fertige Schiffe, weil Reedereien ihre Aufträge nicht mehr bezahlen können. Einige wollen noch verhandeln, andere ganz von den Bestellungen zurücktreten. Doch fair wollen sie hier trotzdem bezahlt werden, sagt Weidt. Das Preisgedrücke sei nicht in Ordnung. Die Firmen wollten ihre Kosten nur abwälzen.
Aber die Entscheidung über einen Fortbestand der Werften liegt schon lange nicht mehr in den Händen der Mitarbeiter. Mit Jussufow hat Insolvenzverwalter Marc Odebrecht schnell einen renommierten Investor gefunden. Jussufow war russischer Energieminister und sitzt derzeit im Aufsichtsrat von Gazprom. Für 40,5 Millionen Euro hat er die Werften in Rostock und Wismar übernommen, gut die Hälfte der 2500 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben.
Die Werftarbeiter messen Jussufow zwar mehr Kompetenz zu als dem vorherigen Eigentümer Burlakow, doch die bisherige Rhetorik macht sie misstrauisch. Sie klingt allzu vertraut: Auch Jussufows Sohn stellte Aufträge in Aussicht, ähnlich wie sie es hier schon einmal bei einer Übernahme gehört haben. Dazu kommt: Entgegen anderslautender Aussagen ist Jussufow enger mit dem Vorbesitzer Burlakow verbandelt als bisher bekannt. Die beiden haben nicht nur die Werften zusammen besucht, außerdem sprach Burlakow im Frühjahr von seinem "guten Freund, älteren Kameraden und persönlichem Berater" - und meinte damit Jussufow, obwohl der immer wieder so tut, als hätte er mit diesem nie etwas zu tun gehabt.
Und doch: Weidt und seine Kollegen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Sachlich schildert er die Geschehnisse der vergangenen Monate. Norddeutsche Gelassenheit nennen sie das hier. Nur wenn er über sein eigenes Schicksal sprechen soll, wird er schweigsam, blickt aus dem Fenster. Es ist ungewiss, ob er demnächst wieder auf der Werft die Anlagen kontrollieren wird, sagt er. Die Chancen halten sich die Waage. Er würde mit jeder Entscheidung leben müssen. Vielleicht könne er sich etwas hinzu verdienen, womöglich hat er Glück und bekommt seinen alten Job wieder.
Bis der Kauf abgeschlossen ist, bleibt Weidt in der eigens eingerichteten Trägergesellschaft. Dort erhält er für die kommenden Monate rund 75 Prozent seines Nettogehalts, wie die meisten seiner Kollegen. Zudem macht er ein Bewerbungstraining, einen Staplerlehrgang und einen Englischkurs.
Alles zur Vorbereitung. Falls er nicht auf die Werft zurückkehrt.