Großbritannien vor der Wahl Schrille Signale aus London
Selten stand in Europa so viel auf dem Spiel wie bei der Wahl in Großbritannien an diesem Donnerstag. Das Schuldenproblem der Insel könnte sich massiv verschärfen - und im schlimmsten Fall droht ein EU-Austritt.
Nehmen wir für einen Moment an, kommende Woche seien Bundestagswahlen, und die Umfragen zeigten Dramatisches: Keines der beiden politischen Lager könnte mit einer Mehrheit rechnen. Die Regierungsbildung hinge von zwei eigenartigen Gruppierungen ab. Die eine würde Bayern aus der Bundesrepublik herauslösen wollen. Die andere möglichst viel Extrageld für Schleswig-Holstein fordern.
Der künftige Kurs des Landes, er wäre reichlich ungewiss.
So in etwa sehen auch die Aussichten für Großbritannien aus. Donnerstag wird im Königreich gewählt. Die regierenden konservativen Tories und die oppositionelle sozialdemokratische Labour Party liegen in den Wahlprognosen etwa gleichauf, aber weit von eigenen Mehrheiten entfernt. Die Liberaldemokraten, bislang mit den Konservativen an der Regierung, dürften die Hälfte ihrer Parlamentssitze verlieren. Stattdessen erstarken die schottische Nationalistenpartei SNP sowie die nordirische Protestantenpartei DUP.
Dass bei dieser Gemengelage eine stabile neue Koalition zustande kommt, ist eher unwahrscheinlich - und das in einem Land, dessen Wirtschaft immer noch auf eher wackligen Beinen steht.
Angesichts dieser Perspektiven ist es schon erstaunlich, wie gelassen der Rest Europas die bevorstehende Wahl in Großbritannien zur Kenntnis nimmt. Dabei könnten von London wirtschaftliche und politische Schockwellen ausgehen, die weit über die britischen Inseln hinaus spürbar sein werden.
Mehr Schulden als Frankreich
Beginnen wir mit der Wirtschaft. Vordergründig geht es dem Vereinigten Königreich gut. Das Wachstum ist so schnell wie kaum irgendwo sonst im Westen. Eine Menge neuer Jobs sind entstanden, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Genauer betrachtet jedoch lebt Britannien von geborgtem Wohlstand. Das Defizit in der Leistungsbilanz liegt bei 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch der Staat gibt zu viel Geld aus, die Nettoneuverschuldung beläuft sich auf ebenfalls 5 Prozent des BIP.
Über die Jahre haben die Briten eine horrende Gesamtverschuldung angesammelt. Staat, private Haushalte und Unternehmen stehen laut Internationalem Währungsfonds zusammen mit 253 Prozent in der Kreide. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Vergleichswert bei nur 171 Prozent. Selbst das angeblich so malade Frankreich hat eine niedrigere Schuldenquote als Großbritannien.
Unter solchen Bedingungen entwickelt sich die Wirtschaft solange gut, wie die Regierung glaubwürdig darstellen kann, dass sie aus der Schuldenwirtschaft aussteigen und auf den Weg der Solidität zurückkehren will. Diesen Eindruck zu vermitteln, hat sich die regierende konservativ-liberale Koalition in den vergangenen fünf Jahren viel Mühe gegeben.

SNP-Anführer Nicola Sturgeon und Drew Hendry beim Bad in der Menge: Kleine Parteien erstarken
Volksabstimmung über EU-Austritt?
Falls sich der Eindruck politischer Instabilität ab Freitag verfestigt, dürften die Börsen herbe Rückgänge verzeichnen und das Pfund abschmieren. Für ein Land, dessen Geschäftsmodell auf dem ständigen Zustrom ausländischen Kapitals fußt, wäre das eine äußerst unangenehme Situation.
Die Umfragen deuten noch auf eine weitere Gefahr für Europa hin: Es sieht so aus, als würde die rechtsnationale, EU-feindliche UKIP fast so viele Stimmen erhalten wie die Liberaldemokraten (was sich allerdings wegen des britischen Mehrheitswahlsystems kaum in Parlamentssitzen niederschlagen dürfte). Vor allem die Konservativen sind alarmiert. Premier David Cameron hat für den Fall seiner Wiederwahl vorsorglich eine baldige Volksabstimmung über einen möglichen EU-Austritt angekündigt.
Sollten sich die Briten dabei tatsächlich für Splendid Isolation entscheiden, wäre das ein schrilles Signal. Erstmals würde ein Land - zumal ein so großes, wichtiges und zentrales - freiwillig aus der EU ausscheiden. Andere europaskeptische Länder könnten folgen. Die europäische Integration insgesamt stünde zur Disposition.
Die wichtigsten Wirtschaftstermine der Woche
MONTAG
BERLIN - Energische Interessen - In Zeiten von Energiewende, Atomausstieg und steigendem CO2-Ausstoß treffen sich Bundeskanzlerin Merkel und Vize Gabriel mit den Vorsitzenden von elf europäischen Energiekonzernen.
BERLIN - Hinter allen Zielen - Bis 2020 sollten E-Autos in Deutschland zum Straßenbild gehören. Stattdessen verdient die Autoindustrie weiter mit dicken Schlitten ihr Geld, während elektrische Varianten rar sind. Viel zu reden beim "5. Gipfel Elektromobilität"
INGOLSTADT - Zahlen, bitte - Audi legt Geschäftszahlen fürs erste Quartal vor.
DIENSTAG
HANNOVER - Modellwechsel - Nach dem Abgang von Langzeitpatriarch Ferdinand Piëch beginnt bei der VW-Hauptversammlung eine neue Ära. Die Show wird moderiert von Ex-IG Metall-Chef Huber, derzeitig VW-Aufsichtsratschef.
MÜNCHEN - Pein muss sein - Fortsetzung des Prozesses gegen Deutsche-Bank-Co-Chef Fitschen, seine Vorgänger Ackermann und Breuer sowie weitere Ex-Vorstände.
BRÜSSEL - Aufwärts, außer in Griechenland - Die EU-Kommission legt ihre Frühjahrs-Wirtschaftsprognose vor. Bisherige Indikatoren zeigten Besserung. Nur das erratisch geführte Griechenland macht Sorgen.
MITTWOCH
FRANKFURT - Weiter mit Vollgas, in aller Ruhe - Der Rat der EZB tagt und dürfte weiter Kurs halten. Gar nicht schlimm also, dass Bundesbank-Präsident Weidmann im Mai wegen des neuen Rotationsverfahrens erstmals nicht mitstimmen darf.
MÜNCHEN - Führungswechsel - Hauptversammlung: Die Führung der Allianz SE trifft ihre Aktionäre. Der langjährige Vorstandschef Diekmann übergibt an Nachfolger Bäte.
PARIS/ESSEN etc. - Jede Menge Zahlen - Neue Geschäftszahlen unter anderem von Alstom, Evonik, BMW, Hannover Rück, Tesla, Societé Générale, Credit Agricole
DONNERSTAG
LONDON - Wohin driftet England - und wohin Schottland? Wahl zum britischen Unterhaus.
SAARBRÜCKEN/BERLIN - Jede Menge Kohle - Der Arbeitskreis Steuerschätzung stellt seine Ergebnisse vor. Mutmaßliches Ergebnis: noch mehr Einnahmen für Finanzminister Schäuble und Kollegen.
DÜSSELDORF/ESSEN - The Good, the Bad and the Ugly - E.on, der Energiekonzern, der sich in einen guten, sauberen Teil und einen nuklearen, schmutzigen Teil aufspaltet, bittet zur Hauptversammlung. Kurz vorher gibt's neue Zahlen vom ersten Quartal.
FÜRTH - Just take it - Hauptversammlung von Adidas.
FREITAG
PEKING - Weltindikator - China, die größte Handelsmacht der Erde, präsentiert neue Zahlen vom Im- und Export im April.
SAMSTAG
PEKING - Preisfragen - Chinas Statistiker berichten von der Inflations-Deflations-Front im April.
SONNTAG
BREMEN - Stattstaat - Bürgerschaftswahl im kleinsten deutschen Bundesland.
- Institut für Journalistik, TU Dortmund