Henrik Müller

Ordnung der Weltwirtschaft Wie China die Globalisierung beenden könnte

Henrik Müller
Eine Kolumne von Henrik Müller
Im internationalen Handel geht es längst nicht mehr nur um den Austausch von Waren. Es geht um Vertrauen und Werte.
Shanghai: Lange herrschte die Vorstellung, in China würde sich ein historisches Muster wiederholen

Shanghai: Lange herrschte die Vorstellung, in China würde sich ein historisches Muster wiederholen

Foto: Xiaodong Qiu/ Getty Images

Die bisherige Geschichte der Globalisierung ist vor allem eine Geschichte über China. Nun könnte diese Geschichte enden - wegen China.

Binnen drei Jahrzehnten ist die Volksrepublik vom rückständigen Entwicklungsland zu einer Weltmacht geworden. China ist inzwischen der größte Exporteur von Industriegütern und der drittgrößte Importeur . 1990 lag die Wirtschaftsleistung pro Einwohner bei umgerechnet 1600 US-Dollar, heute sind es 18.000 US-Dollar, etwa gleichauf mit Mexiko .

Das ist einerseits eine grandiose Erfolgsstory.

Andererseits hat die Sache aus westlicher Perspektive einen Haken: China ist keine Demokratie und kein Rechtsstaat. Das stellt die Weltwirtschaftsordnung vor kaum lösbare Probleme. Denn im internationalen Austausch geht es längst nicht mehr nur um den simplen Austausch von Produkten, sondern auch um Wissen und Informationen - also um Vertrauen und Werte.

Reich und unfrei

Lange herrschte die Vorstellung, in China würde sich ein historisches Muster wiederholen: Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung würde es irgendwann zu einer politischen Liberalisierung kommen. Aus Untertanen würden Bürger, die über die Geschicke ihres Landes mitbestimmen, ihre Meinung sagen und Kritik äußern können. Starke, unabhängige Institutionen würden Recht und Gesetz sichern, für Inländer und für im Land aktive Ausländer.

Südkorea beispielsweise schaffte den Sprung von der Diktatur zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Ende der Achtzigerjahre. Da lag die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung dort bei gerade mal 10.000 US-Dollar, weit unterhalb Chinas heutigem Wohlstandsniveau.

In Erwartung einer solchen Entwicklung ging der Westen auf China zu: Großbritannien übergab Hongkong 1997. Vertraglich hatte Peking zugesichert, der ehemaligen Kolonie 50 Jahre lang ihr eigenes System zu belassen, inklusive unabhängiger Justiz und bürgerlichen Freiheitsrechten.

Wie andere Länder auch, so würde China über die Jahre zu einem - im westlichen Sinne - normalen Land. Die wirtschaftliche Annäherung würde einen gesellschaftlichen Wandel in Gang setzen, der einen politischen Liberalisierungsprozess unabweisbar machen würde.

In diesem Geiste luden die USA China in die Welthandelsorganisation (WTO) ein und ebneten den Weg für den Beitritt 2001. Es war eine optimistische Zeit. In Medienberichten schwang damals durchgängig die Erwartung mit, dies sei ein weiterer Schritt auf dem Siegeszug der freiheitlichen Ordnung, wie wir in einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung  gezeigt haben. Viel war damals von "Reformen" und "Hoffnung" die Rede - und von den Chancen, die Chinas Integration in die Weltwirtschaft für westliche Konzerne bot.

Doch dieser Strang der Erzählung ist längst Geschichte. China ist die große Ausnahme geblieben: Das Land wurde immer reicher, aber nicht freier. In den vergangenen Jahren wurde der Kurs unter Präsident Xi Jinping sogar wieder nach innen repressiver und nach außen aggressiver. Ihre frühere Zurückhaltung auf internationaler Bühne hat die Führung aufgegeben. Dass Peking sich inzwischen wenig um internationale Abkommen schert, zeigt sich augenfällig in Hongkong: Anders als bei der Übergabe vertraglich zugesichert, dehnt China nun seinen Repressionsapparat auf die ehemalige britische Kolonie aus.

Auf Ernüchterung folgt Verängstigung

Dass Chinas in großen Teilen staatlich dominierte Wirtschaft keineswegs westlichen Vorstellungen von fairem Wettbewerb entspricht, ist schon länger offensichtlich. Lange bevor Donald Trump ins Weiße Haus einzog, begann eine Welle von Anti-Dumping-Verfahren, besonders weil subventionierte chinesische Anbieter die Welt mit billigem Stahl, Aluminium und anderen Gütern überschwemmten.

Voriges Jahr veröffentlichte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein Papier , das Chinas unfaire Praktiken anprangerte und zur "Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung in Deutschland und Europa" aufrief. Der Vorstoß zeigt, dass bei vielen deutschen Konzernen, die massiv in China investiert haben - in der Hoffnung auf einen allmählichen gesellschaftlichen und politischen Wandel - längst Ernüchterung einkehrt ist, die nun Verängstigung weicht.

Kann das eine Basis für die weitere Intensivierung der Globalisierung sein?

Trumps Handelskrieg gegen China, den der US-Präsident 2018 lostrat und mit dem er China zu Marktöffnung und Fairplay zwingen wollte, hat zu diversen Runden von Zollerhöhungen geführt, aber ansonsten nichts Konstruktives bewirkt. Anders als seine Vorgänger, hat sich der US-Präsident nicht um ein gemeinsames Vorgehen des Westens bemüht, sondern westliche Partner reihum vor den Kopf gestoßen und beleidigt. Auf diese Weise lässt sich Chinas undemokratischer Einfluss schwerlich eindämmen.

Von Dingen zu Gedanken

Der globale Kapitalismus entwickelt sich "from things to thoughts", wie der in Genf lehrende Ökonom Richard Baldwin formuliert. Darauf aber ist die internationale Handelsordnung nicht ausgerichtet. Seit den Neunzigerjahren hat die Staatengemeinschaft sich nicht auf ein grundlegendes Update der WTO-Regeln einigen können. Das rächt sich jetzt.

Noch vor wenigen Jahren bestand die Globalisierung aus einfachen Tauschgeschäften: dem Ex- und Import von Waren. Nach Lieferung und Bezahlung war das Geschäft abgeschlossen. Autos oder eine Schiffsladung Öl ließen sich benutzen und verbrauchen. Nach Abwicklung des Geschäfts hatten Produzenten und Käufer kaum noch etwas miteinander zu tun.

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Die Logik dieser Globalisierung 1.0 sieht so aus: Produziert wird dort, wo die Bedingungen am besten sind, und das heißt oft, wo die Kosten am niedrigsten sind. Bei offenen Grenzen spezialisiert sich jede Volkswirtschaft auf das, was sie am besten kann. Internationale Arbeitsteilung erhöht die Produktivität, während die Preise sinken und die Auswahl größer wird. Protektionismus - also der Schutz heimischer Produzenten vor ausländischer Konkurrenz - ist in diesem Szenario überaus schädlich.

Doch internationaler Handel erschöpft sich nicht mehr im einfachen Tausch von Produkten, sondern erstreckt sich auch auf Datenflüsse, also Informationen. Maschinen, Anlagen und zunehmend auch Autos übermitteln Daten, werden aus der Ferne überwacht, gesteuert, gewartet und upgedatet. In der Ära der Globalisierung 2.0 geht es auch um die Kontrolle und den Zugang zu Informationsinfrastruktur, um Daten, die sich in Clouds irgendwo befinden, um datengestützte Dienstleistungen.

Daten sind Macht, und die basiert nicht nur auf ökonomischen Größenvorteilen, die Firmen wie Google oder Amazon in Form niedriger Kosten und hoher Qualität an die Kunden weitergeben, sondern auch auf dem Willen staatlicher Stellen, datensammelnde Konzerne für ihre Zwecke einzuspannen. Kostenvorteilen stehen Sicherheitsrisiken gegenüber. Das Ringen um den chinesischen Netzwerkausrüster Huawei und seine Rolle beim Ausbau der westlicher 5G-Mobilfunknetze zeigt diesen Konflikt exemplarisch.

Was ist der Westen? Und was ist er wert?

Ist Freihandel unter diesen Bedingungen immer noch die beste Option? Diese Grundfrage der Globalisierung lässt sich nicht mehr so einfach mit Ja beantworten. Mehr als früher, sind nun fundamentale Werte - Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Freiheitsrechte - unmittelbar mit handelspolitischen Fragen verknüpft.

Um diese Rechte zu wahren, braucht es ein neues internationales Regelwerk - eine WTO für das 21. Jahrhundert. Deals einzelner großer Handelsnationen mit China werden nicht viel ausrichten können. China ist derzeit so groß und mächtig, dass es imstande ist, sie gegeneinander auszuspielen.

Die Alternative lautet: Entweder der Westen - und das heißt insbesondere: die USA, die EU, Großbritannien, Japan, Kanada, Australien, vielleicht auf weitere Sicht auch Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko - schafft es, gemeinsame Standards setzen und sich gegen diejenigen schützen, die sich nicht daran halten, auch wenn sie die neue Weltmacht China im Rücken haben.

Oder es droht ein Wildwuchs an unkoordinierten nationalen Maßnahmen, bei denen sich berechtigte sicherheits-, umwelt- und sozialpolitische Anliegen mit klassischer protektionistischer Lobbyarbeit einzelner Branchen und Konzerne vermischen. Aus Furcht vor chinesischen Übergriffen würde sich der Westen in nationale - beziehungsweise EU-europäische - Wagenburgen zurückziehen. 

Im ersten Fall würde der Westen die Globalisierung fortsetzen. Er würde eine klare Position beziehen, aber offen bleiben für andere Länder. China sowie andere heute autoritär regierte Staaten könnten Teile dieses Arrangements werden - sofern sie sich an westliche Regeln halten.

Im zweiten Fall würde die Globalisierung, wie wir sie kennen, zu Ende gehen. Der Schaden wäre groß, weniger vermutlich für große Wirtschaftsmächte wie die USA und die EU, eher für kleinere Staaten ohne großes Drohpotenzial, die zu Spielbällen dieses unkoordinierten Powerplays würden.

Letztlich geht es um eine große Frage: Gibt es den Westen noch - und wenn ja, was ist er wert?

Wer sie nicht beantworten kann, hat schon verloren.

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