Lufthansa-Vorstand zu geplanten Reiseregeln "Wenn wir die Tests abschaffen, droht uns ein zweiter Lockdown"

Lufthansa-Maschinen in München
Foto: Christopf Stache / AFPSPIEGEL: Herr Hohmeister, Sie sind bei der Lufthansa für das Passagiergeschäft zuständig und haben zusammen mit Partnern an den Flughäfen Teststationen aufgebaut, die es erlauben, bis zu 50.000 Personen pro Tag auf das Coronavirus zu testen. Wurden Sie von der Bundesregierung vorab informiert, dass die Einrichtungen nun nicht mehr benötigt werden?
Hohmeister: Nein, damit haben wir nicht gerechnet. Ich bin davon überzeugt, dass derartige Tests nach wie vor der beste Weg sind, um die Pandemie einzudämmen und einen Überblick über die Lage zu bekommen. Das ist auch die beste Lösung für die Passagiere. Der aktuelle Plan bringt nicht mehr Sicherheit, sondern zusätzliche Unsicherheit. Das ist für mich völlig unverständlich. In den Test-Centern werden übrigens nicht nur Reisende getestet, etwa jeder Dritte kommt aus der Umgebung an die Flughäfen, um sich testen zu lassen. Die Preise bewegen sich zwischen 35 und 60 Euro, sind also überschaubar, so etwas macht man ja auch nicht jeden Tag. Diese etablierte Testinfrastruktur zu gefährden, kann ich nicht nachvollziehen.

Harry Hohmeister ,56, ist im Vorstand der Lufthansa für das Passagiergeschäft zuständig. Von 2009 bis 2015 war er Chef der Schweizer Fluggesellschaft Swiss.
SPIEGEL: Was würde es für die Lufthansa bedeuten, wenn die Pläne umgesetzt werden?
Hohmeister: Das würde natürlich zu weiteren Buchungsrückgängen führen, wenn die Menschen nach der Rückkehr erst einmal in Quarantäne müssten. Den Effekt sehen wir auch bei Reisewarnungen, die ebenfalls regelmäßig zu Buchungseinbrüchen führen. Deshalb sind wir auch für den September und Oktober nicht mehr so optimistisch, wie wir das noch vor Kurzem waren. Das Thema macht uns nicht nur bei der Lufthansa selbst Sorgen. Wenn wir die Tests abschaffen und jeden direkt in Quarantäne schicken, droht uns ein zweiter Lockdown, und das, obwohl wir uns große Mühe gegeben haben, diese Testzentren innerhalb kürzester Zeit aufzubauen.
SPIEGEL: Was schlagen Sie stattdessen vor?
Hohmeister: Ich würde eher dafür plädieren, dass man die Kapazitäten über den Winter hinweg kontinuierlich weiter ausbaut. Unser Partner Centogene hat uns signalisiert, dass die Kapazitäten nochmals deutlich auf 100.000 Tests pro Tag erhöht werden können, ohne dass in anderen Bereichen Tests entzogen würden. Das überdeckt die anzunehmende Zahl von Rückkehrern aus Risikogebieten bei Weitem und würde eine zusätzliche Reserve für Deutschlands Testinfrastruktur insgesamt bedeuten. Im Herbst drohen ohnehin verstärkt Infektionen durch andere Viren und Erkältungen. Sollen die dann alle in Quarantäne? Auch würden die Menschen verstärkt wieder niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser aufsuchen.
SPIEGEL: Die Bundesregierung hat ja gerade auch ihre Reisewarnungen für 160 Länder außerhalb der EU bis zum 14. September verlängert. Haben Sie bereits Tickets in Länder verkauft, die davon betroffen sind?
Hohmeister: Natürlich. In der Vergangenheit haben wir Tickets mit drei bis vier Monaten Vorlauf verkauft. Die Frist ist zwischenzeitlich auf vier bis sechs Wochen gesunken und liegt zurzeit sogar noch darunter. Das führt dazu, dass wir Flüge in die USA oder nach Kanada, aber auch in östliche Richtung wieder aus dem Programm nehmen müssen. Noch stärker betroffen sind wir in Europa, zum Beispiel in Frankreich und Spanien. Auf manchen Strecken setzen wir kleinere Flugzeuge ein oder streichen einzelne Flüge. Weil die Lage so volatil ist, bieten wir den Kunden auch die Möglichkeit, ihr Ticket kostenlos umzubuchen. Es gibt ja Menschen, die wirklich dringend irgendwo hinmüssen. Zum Beispiel Studenten, Familienbesucher oder international tätige Arbeitnehmer, die auch mal wieder daheim vorbeischauen wollen.
SPIEGEL: Wie kann man unter solchen Umständen überhaupt noch einigermaßen zuverlässige Flugpläne aufstellen?
Hohmeister: Man muss flexibel sein. Die gängigen Computerprogramme, die auf Erfahrungen aus der Vergangenheit aufsetzen, sind in Corona-Zeiten weit weniger zuverlässig. Wir haben Teams, die jeden Tag zusammensitzen und sich mit vier Wochen Vorlauf die Buchungseingänge und die Streckenplanungen ansehen. Da profitieren wir von unserer langjährigen Expertise. Die Einschätzung und die Annahmen müssen stimmen und bisher hat das auch gut funktioniert. Und wir haben den Vorteil, dass wir viele Ziele über verschiedene Drehkreuze anbieten können. Sollte ein Direktflug wegfallen, können wir die Verbindung oft noch mit einmal Umsteigen anbieten.
SPIEGEL: Brüssel und Paris gelten neuerdings auch als Reiseziele, von denen die Bundesregierung eher abrät. Streichen Sie da jetzt den Flugplan zusammen oder setzen kleinere Maschinen ein?
Hohmeister: Zunächst holen wir die Gäste von dort zurück, die nach Hause wollen, wie wir das auch während des ersten Lockdowns im Frühjahr gemacht haben. Wir lassen niemanden stehen. Aber wir sehen uns die Lage Tag für Tag an, und die Tendenz ist schon so, dass wir eher mit kleinen Flugzeugen fliegen. Im Moment haben wir an manchen Drehkreuzen mehr 100-Sitzer im Programm als größere Airbusse. Und vielleicht müssen wir sogar noch weitere Verbindungen streichen. Die Testmöglichkeit hat den Menschen erstmals eine gewisse Sicherheit beim Reisen gegeben, die droht nun wieder wegzufallen. Mittelfristig brauchen wir eine EU-weite Regelung, damit diese kurzfristigen Reisewarnungen zumindest innerhalb Europas überflüssig werden.
SPIEGEL: Autofahrer und Bahnreisende aus besonders pandemiegeplagten Regionen kommen bislang vergleichsweise besser davon. Fühlen Sie sich als Fluglinie ungerecht behandelt?
Hohmeister: Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Es ist im Interesse aller, dass die Kontrollen übergreifend durchgeführt werden. Es kann doch nicht sein, dass nur die Flugreisenden als potenzielle Gefährder eingestuft werden und die anderen nicht. Und es geht nicht nur um grenzüberschreitende Verkehre. Es gibt auch in Deutschland stark betroffene Regionen. Wenn ich mir nur mal meine unmittelbare Nachbarschaft in Hessen ansehe, gibt es da Hotspots, die stark im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Aber diese Leute werden nicht getestet, nur weil sie sich innerhalb Deutschlands bewegen.
SPIEGEL: Die Lufthansa muss dringend Geld verdienen, wenn Sie die von der Bundesregierung gewährten Hilfen verzinsen und zurückzahlen will. Wie soll das denn gelingen, wenn immer wieder gerade neu eröffnete Strecken wegbrechen?
Hohmeister: Wir müssen mit Partnern wie Flughäfen, der Flugsicherung und andere Lieferanten über Kostenreduktion reden. Und wir müssen auch den Mitarbeitern sagen, dass die Lage nicht so ist, wie wir es vielleicht vor acht oder zehn Wochen angenommen hatten. Auch ein Personalabbau, wie ihn andere Airlines im großen Stil bereits angekündigt haben, ist unter den aktuellen Umständen unvermeidlich. Wenn die erhofften Erlöse nicht erzielt werden können, bleibt uns nichts anderes übrig.
SPIEGEL: Sie könnten das Rettungspaket des Staates doch noch mal aufstocken....
Hohmeister: Wir wollen nicht durchgefüttert werden, sondern unternehmerisch tätig sein. Und deshalb müssen die Kosten runter, auch bei den Investitionen. Im Zweifelsfall heißt das, womöglich auch weniger Flugzeuge abzunehmen. Wir müssen uns doch der Realität stellen. Ein Teil davon ist, dass wir mit den neun Milliarden, die wir von der Bundesregierung bekommen haben, sehr vorsichtig und professionell agieren werden. Wir wollen nicht noch einmal in eine Finanzierungsrunde mit der Bundesregierung gehen, um Strukturen zu erhalten, die unter den gegebenen Umständen nicht mehr zukunftsfähig sind.