Geplante 1000-Meter-Regel Windkraftindustrie und Gewerkschaft schreiben Brandbrief an die Regierung

Windräder nahe dem niedersächsischen Sehnde (Archiv): Protestbrief von breitem Bündnis
Foto: Julian Stratenschulte/dpaZwischen Windrädern und Wohnsiedlungen sollen künftig mindestens 1000 Meter Abstand liegen - und zwar schon dann, wenn mehr als fünf Wohngebäude zusammenstehen. Gegen diesen Referentenentwurf für ein neues Bundesgesetz regt sich in der Windkraftbranche, in der Industrie sowie in den Gewerkschaften nun erheblicher Widerstand.
"Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird, obwohl klar ist, dass damit das Ziel von 65 Prozent erneuerbare Energien in 2030 nicht gehalten werden kann", heißt es in einem Schreiben an Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), das dem SPIEGEL vorliegt. Zuständig für den Mindestabstand, der den Widerstand gegen neue Windräder verringern soll, ist Bauminister Horst Seehofer(CSU).
Durch die starre Abstandsregelung fielen viele Flächen für den Windkraftausbau weg. "In Ermangelung positiver Impulse würde die Flächenkulisse im Ergebnis also empfindlich eingeschränkt", heißt es in dem Brief, den der Industrieverband BDI, der Gewerkschaftsbund DGB, der Energieverband BDEW, der Windenergie-Verband (BWE), der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) und der Maschinenbauverband VDMA unterzeichnet haben. Und: "Die geplanten Einschränkungen der Windenergie an Land" stellten "die Realisierbarkeit sämtlicher energie- und klimapolitischer Ziele der Bundesregierung infrage".
Windenergie an Land dramatisch geschwächt?
Altmaier habe viel Wichtiges zur Stärkung der Windenergie vorgeschlagen, es fehlten aber Maßnahmen, um die für den Windkraft-Ausbau notwendigen Flächen sicherzustellen, schreiben die Verbände über den Mindestabstand. Union und SPD hatten sich darauf nach langem Streit geeinigt.
Das Gesetz soll am kommenden Montag vom Bundeskabinett verabschiedet werden und gehört zum Klimapaket. Grünenchefin Annalena Baerbock kritisierte den bisherigen Plan: Die Bundesregierung müsse dringend gegensteuern, um den dramatischen Stellenabbau in der Windbranche zu stoppen, sagte sie. "Ein Gesetzentwurf, der die Windkraft noch weiter ausbremst, erreicht das Gegenteil."
Weil kämpft für Erhalt der Arbeitsplätze
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) treffen in dieser angespannten Lage heute mit dem angeschlagenen Anlagenbauer Enercon zusammen. Weil kündigte vor dem Treffen an, für die Jobs in der Branche zu kämpfen. Im Vordergrund stehe "ganz klar das Ziel, möglichst viele Arbeitsplätze in der Windenergiebranche zu erhalten beziehungsweise künftig auch wieder neue Jobs - insbesondere auch in Ostfriesland - zu schaffen". Ohne Windenergie seien Deutschlands Klimaziele nicht zu erreichen. Weil sagte: "Wir brauchen einen Neustart bei der Energiewende mit praktikablen Lösungen, um dort, wo Windenergie möglich ist, auch tatsächlich Windenergie zu gewinnen."
Niedersachsens Energieminister Olaf Lies kritisierte unterdessen den Umgang Enercons mit Gewerkschaften. "Enercon hat sich stets geweigert, mit Gewerkschaften zusammenzuarbeiten", sagte der SPD-Politiker. Darin zeige sich einer der größten Fehler von Enercon, denn mit den finanziellen Mitteln von Gewerkschaften könnten auch in schwierigen Zeiten Konzepte zur Fortführung des Betriebs umgesetzt werden.
Verlängerte Kurzarbeit im Gespräch
Enercon hatte am Freitag angekündigt, wegen der schlechten Marktlage bis zu 3000 Stellen abzubauen. Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig machte dafür die Energiepolitik der Bundesregierung mitverantwortlich. "Uns ist bewusst, was dieser schmerzhafte Schritt für die Beschäftigten in den betroffenen Unternehmen bedeutet", sagte Kettwig. Von dem Stellenabbau dürften die Standorte in Ostfriesland und Magdeburg jeweils zur Hälfte betroffen sein. Auch bei Produktionspartnern, Zulieferern und Zeitarbeitsfirmen ist mit Einschnitten zu rechnen. Neben Enercon hat auch die Siemens-Tochter Gamesa den Abbau Tausender Arbeitsplätze angekündigt, der Windanlagenbauer Senvion meldete im April Insolvenz an.
Die Bundesregierung will bis 2030 den Ökostrom-Anteil beim Stromverbrauch auf 65 Prozent steigern. In den ersten neun Monaten lag er bei rund 43 Prozent. Doch die Zeiten, in denen Deutschland der größte Markt für Windkraftanlagen in Europa war, sind vorbei. Im ersten Halbjahr kam der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen. Als Hauptgründe der Branchenkrise gelten wenige Flächen, lange Genehmigungsverfahren und Klagen von Bürgerinitiativen.
Althusmann brachte eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes oder die Einrichtung von Transfergesellschaften als Möglichkeiten ins Gespräch, um einen Stellenabbau abzufedern. Er erwarte von Enercon aber nicht nur den Fingerzeig auf den Bund, sondern einen eigenen Anteil zur Rettung möglichst vieler Arbeitsplätze, sagte Althusmann vor dem Treffen.