
Aufseher als Börsenzocker Potenzial für eine Staatskrise


Wirecard-Untersuchungsausschuss: Akribische Detailarbeit der Oppositionspolitiker
Foto: Christian Ditsch / imago imagesDass die Deutschen ein gestörtes Verhältnis zum Kapitalmarkt haben, ist bekannt. Lieber stecken sie ihr Geld ins zinsfreie Sparbuch als in Aktien. Das ist einerseits miserables Anlagemanagement. Und andererseits kein Wunder, wenn man sich anschaut, wie deutsche Amtsträger, die eigentlich das Treiben auf dem Kapitalmarkt überwachen sollen, kläglich versagen – und dafür nicht einmal persönlich zur Verantwortung gezogen werden.
Der Fall Wirecard zeigt das in all seinen Ausprägungen exemplarisch. Würde nicht die Pandemie seit Monaten das Tagesgeschehen beherrschen, hätte der Zusammenbruch des Finanzkonzerns, vor allem aber die politische Aufarbeitung des Skandals, das Zeug zur Staatskrise.
Die Wirecard-Affäre offenbart ein unbegreifliches Elend der politischen und behördlichen Klasse. Wegsehen, Verantwortung delegieren, in Deckung gehen. Bei allem Klein-Klein der Affäre ist es wichtig, zwischendurch innezuhalten und zu räsonieren, mit welchem Personal man es zu tun hat:
Politische Beamte, die einem bereits seit Jahren unter Betrugsverdacht stehenden Konzern im Ausland den roten Teppich ausrollen und dankbar dessen Geschenke annehmen .
Finanzstaatssekretär Jörg Kukies, der mit dem Chef dieses Konzerns, Markus Braun, vertrauliche Gespräche über alles Mögliche führt, aber offenbar nicht darüber, was eventuell dran sein könnte am Betrugsverdacht.
Die Wirtschaftsprüfer von EY, die jahrelang die Bilanzen dieses Konzerns freizeichneten, Hinweisen auf Betrügereien allenfalls halbherzig nachgingen und sich jetzt akrobatisch winden, um ihr Verhalten zu rechtfertigen und sich selbst zu exkulpieren.
Die Finanzaufsicht Bafin, die von all dem nichts mitbekommen hat, weil sie ihre Aufsichtspflicht aus Faulheit oder Einsicht in die eigene Inkompetenz wegdelegierte, obwohl sie ihrem Leitbild nach doch eine prinzipienbasierte Behörde sein will – eine Behörde also, die nicht stur nach dem Regelwerk arbeitet, sondern mindestens ebenso auf ihr Bauchgefühl hört. Hätte sie sich an ihre eigene Maxime gehalten und dort hineingerochen, wo es schon lange vernehmlich stank, wäre der deutschen Wirtschaft womöglich ein Jahrhundertskandal erspart geblieben. Stattdessen zockten einige Bafin-Mitarbeiter mit Wirecard-Aktien, während die Behörde dies anderen Spekulanten verbot. Zugleich stellte sie Reporter der britischen »Financial Times« unter Verdacht, mit angeblichen Betrügern gemeinsame Sache zu machen – dabei waren ausländische Presseerzeugnisse wie die »Financial Times« in der Bafin nicht einmal im Umlauf.
Und seit Neuestem: Ralf Bose. Den Chef der Abschlussprüferaufsichtskommission APAS dürften bis vor Kurzem die wenigsten Menschen gekannt haben. Verwunderlich ist das nicht; eine Behörde, die die Arbeit von Wirtschaftsprüfern wie EY kontrollieren soll, klingt nicht eben aufregend. Bose scheint es sich im Grauschatten der Wirtschaftsberichterstattung kommod eingerichtet zu haben. Denn wie jetzt herauskam, hat er am 28. April 2020 Wirecard-Aktien gekauft – an jenem Tag also, an dem die KPMG-Wirtschaftsprüfer ein Sondergutachten veröffentlichten, das die unglaublichen Zustände und Verfehlungen des Wirecard-Konzerns schonungslos zusammenfasst.
Zu einem für Wirecard und den Kapitalmarkt äußerst sensiblen Zeitpunkt also ging der Amtschef der APAS, einer der wichtigsten Aufsichtsbehörden dieses Landes, eine Wette auf das Comeback eines Unternehmens ein, dem KPMG, ein APAS-kontrollierter Wirtschaftsprüfer, ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hatte. Anderswo ist so etwas verboten, in Deutschland offenbar bedenkenlos möglich, genau wie die Zockereien der Bafin-Leute. Fun Fact: Als Bose seine Wirecard-Aktien einen Monat später verkaufte, war deren Kurs um rund 15 Prozent gesunken. Der Mann ist also offenbar nicht nur schmerzfrei, sondern auch noch ein miserabler Anleger. Letzteres, immerhin, hat er mit vielen Deutschen gemein.
Aufgeflogen ist dieser Skandal im Skandal nur dank der Aufklärungsarbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Wirecard-Affäre. Dass der Ausschuss so produktiv und erhellend ist, liegt in erster Linie an der akribischen Detailarbeit oppositioneller Bundestagsabgeordneter. Was die Finanzausschussmitglieder von FDP, Linken und Grünen dort leisten, ist nicht nur ein grandioser Beitrag zur Aufklärung eines Skandals, sondern zur Festigung des Vertrauens in demokratische Prozesse. Das ist bitter nötig, denn all jene, die so unglaublich versagt haben im Fall Wirecard, untergraben letztlich das Vertrauen in den Staat. Der Grünenabgeordnete Danyal Bayaz hat deshalb bei der Bafin eine Verdachtsanzeige wegen Insiderhandels gegen Bose eingereicht. Der »Verdacht von Insiderhandel liegt nahe«, so Bayaz. Wenn sich sein Verdacht bestätigt, muss die Bafin unverzüglich Strafanzeige gegen Bose stellen.
Das ist umso bitterer, als dass es eine politische Glaubensrichtung gibt, deren übergeordnete Idee es ist, Zweifel am Staat zu säen und ihn letztlich in seiner jetzigen Form zu zerstören. Das gelingt offenbar (noch) nicht wirklich, doch das Verhalten staatlicher Akteure im Wirecard-Skandal gefährdet die demokratische Kultur. Die lebt im Übrigen auch davon, dass Würdenträger Verantwortung übernehmen – so wie sie es genießen, im Rampenlicht zu stehen. Rücktritte, gar Rausschmisse offenkundig ungeeigneter Verantwortlicher, gibt es bislang allerdings nicht.
Finanzminister Olaf Scholz hält an Bafin-Präsident Felix Hufeld fest und stattdessen lieber Lobreden auf den »Financial Times«-Reporter Dan McCrum, dessen akribische Recherchen Wirecard zur Strecke brachten. Eine Entschuldigung dafür, dass die Scholz unterstellte Bafin McCrum ohne Belege nachstellte, kommt nicht über die Lippen des SPD-Kanzlerkandidaten. Und auch wenn Wirtschaftsminister Peter Altmaier nun angekündigt hat, mit APAS-Chef Bose zu reden, ist fraglich, ob er ihn wirklich entlassen würde. Aber was soll's, Verkehrsminister Andreas Scheuer ist ja auch noch im Amt.