Ex-Wirecard-Chef Braun im Untersuchungsausschuss Der Mann mit der Maske

Markus Braun (rechts) bei seiner Ankunft im Bundestag
Foto: Maja Hitij/POOL/EPA-EFE/ShutterstockWenn es einen Hinweis darauf gibt, wie der Zeuge im Moment seiner Aussage fühlt, dann ist es die Haltung seiner Arme. Den linken hält er etwas verkrampft vor dem Bauch, mit der rechten, flachen Hand stützt er sich schwer auf die Tischplatte, als suche er Halt. Er legt zwei Zettel vor sich ab, die knittrig aussehen. Das passt so gar nicht zu seinem hyperkorrekten Aussehen, zum dunklen Rollkragenpullover und Anzug, der perfekt sitzt. Vielleicht liegt es daran, dass der Mann per Gefangenentransport anreisen musste.
Zu Beginn will er verbindlich sein. Höflich fragt er: "Hören mich alle gut?" Dann sagt er: "Mein Name ist Markus Braun, 51 Jahre alt. Ich wohne derzeit in der JVA Augsburg und bin Wirtschaftsinformatiker."
Selten kommt es vor, dass ein Häftling in den Deutschen Bundestag kommt. Einer, dem bandenmäßiger Betrug vorgeworfen wird. Gleich ein halbes Dutzend Polizisten begleiten ihn, in kugelsicheren Westen. Beim Ex-Chef des Wirecard-Konzerns sind die Behörden nervös. Der Österreicher ist nicht nur eine der Hauptfiguren in dem größten Finanzskandal der Nachkriegszeit. 1,9 Milliarden Euro sind verschwunden, genauso wie sein geflüchteter Vorstandskollege Jan Marsalek.
24 Milliarden Euro Börsenwert haben sich pulverisiert durch die Pleite, Tausende Anleger wurden um viel Geld geprellt. Doch die Wirecard-Insolvenz ist noch mehr: Es geht um Geheimdienstverstrickungen, um eine Söldnerarmee in Libyen, Glücksspiel und Pornografie. Und es geht auch darum, dass der Konzern mit Sitz in Aschheim bei München lange Zeit als nationaler Champion galt, für den sogar die Bundeskanzlerin bei der chinesischen Regierung geworben hat.
Nach der Insolvenz im Juni dieses Jahres und der Verhaftung Brauns tritt erstmals einer der Akteure dieses Finanzthrillers öffentlich auf. Doch mehr als das knappe Statement auf seinem knittrigen Zettel will er nicht vortragen.
In seinem Outfit sieht Braun ein bisschen aus wie ein Mitglied der Technopioniere von Kraftwerk, bekannt für den Slogan: "Wir sind die Roboter". Auch der frühere Wirecard-Chef wirkt fast wie ein Sprechautomat, wie er ein aufs andere Mal die Fragen der Ausschussmitglieder mit dem Hinweis auf seine kurze Erklärung abblockt.
Zumindest sein Geburtsdatum verrät Braun
Allein den Satz "Ich verweise auf mein Statement" wiederholt Braun ein halbes Dutzend Mal hintereinander. Im Laufe der Befragung variiert er seine Stanzen geringfügig, weist trocken darauf hin, wenn eine Frage schon mal gestellt wurde, und lässt sich immerhin ein paar Banalitäten entlocken - etwa sein Geburtsdatum. Doch das war es dann auch. Seine Schutzmaske hätte Braun fast aufbehalten können, so undurchdringlich gibt er sich.
Die Abgeordneten versuchen es dennoch immer wieder: Warum bat Braun um ein Treffen mit Angela Merkel? Wusste er, dass sein Kompagnon Jan Marsalek in Libyen in Zementfabriken investierte? Was besprach er an seinem 50. Geburtstag bei einem Treffen mit Finanzstaatssekretär Jörg Kukies? Ließ er Hacker und Detektive auf kritische Journalisten der "Financial Times" ansetzen? Will er zumindest geprellten Anlegern oder enttäuschten Mitarbeitern etwas sagen? Fehlanzeige, immer wieder.
Manche Ausschussmitglieder versuchen, Braun bei der Ehre zu packen. "Merken Sie nicht, dass sich Ihr Bild in der Öffentlichkeit weiter verschlechtern wird", hält ihm CSU-Mann Hans Michelbach entgegen. Seine SPD-Kollegin Cansel Kiziltepe appelliert an Brauns Gewissen: "Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Schweigen Menschen mit in den Abgrund reißt?"
Linken-Obmann Fabio De Masi geht Braun am persönlichsten an: Zunächst fragte er ihn, ob es zutreffend sei, dass dieser eine Tochter habe. Als Braun auch diese Frage nicht beantworten will, setzt De Masi nach: Ob es irgendwann einmal Thema gewesen sei, dass sein Unternehmen auch digitale Bezahlungen von Kinderpornografie abgewickelt haben soll. Braun hält einen Moment inne. Dann sagt er: "Dazu will ich mich nicht äußern." Als De Masi das Thema später noch einmal anschneidet, bittet Braun darum, "meine Familie hier außen vor zu lassen".
Die Befragung ist auch eine Machtdemonstration. Einen Tag, nachdem Corona-Leugner mit Unterstützung der AfD in den Bundestag gelangten und dort Abgeordnete bedrängten, demonstrieren die Parlamentarier jetzt wieder ihre Souveränität. Auch eine Beschwerde von Braun beim Bundesgerichtshof konnte sie nicht davon abbringen, den Konzernchef vorzuladen.
Nach zwei ergebnislosen Fragerunden erklären Vertreter aller Parteien, vom Linken De Masi bis zum Ausschussvorsitzenden Kay Gottschalk von der AfD, sie seien enttäuscht vom Zeugen, der mangelnden Respekt vor dem Bundestag zeige. Braun nützt auch wenig, dass er in seinem Eingangsstatement erklärt hat, seines Wissens hätten sich weder Behörden noch Politiker im Fall Wirecard etwas zuschulden kommen lassen. Es sei auffällig, dass Braun "alle entlastet, die was gegen ihn sagen könnten", konstatiert FDP-Politiker Florian Toncar. Am Ende werde er seinen flüchtigen Kompagnon Marsalek vermutlich als Einzeltäter darstellen.
Die Theorie vom Mosaik
Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses hatten sich auf die seltsame Befragung mit der immer gleichen Antwort des Zeugens vorbereitet. Schließlich hatte Brauns Anwalt Alfred Dierlamm die rechtliche Strategie seines Mandanten vorab umrissen. In seinem Eingangsstatement argumentiert Braun mit einem "mosaikartigen Gebilde", zu dem sich seine Aussagen zusammensetzen, weshalb jedes Detail dazu führen könne, dass er sich selbst belastet. Braun ködert die Parlamentarier noch mit dem Hinweis, er könne zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht noch mehr vor dem Ausschuss sagen: "Ich schließe nicht aus, dass ich die Aussagen nach einer Aussage bei der Staatsanwaltschaft ergänzen werde."
Aber auch die Abgeordneten haben sich vorher eine Strategie überlegt: Sie stellen einfach stur weiter ihre Fragen. Denn sie planen, Braun mithilfe des Bundesgerichtshofs doch noch zu einer Auskunft zu bringen. Immer wieder fragen die Politiker nach Dingen, die ganz offensichtlich keine Bedeutung für die strafrechtlichen Ermittlungen haben. Braun soll etwa das Geschäftsmodell von Wirecard erläutern oder seine Vorstellungen davon, was Corporate Governance sei.
Später wollen die Abgeordneten vor dem Gericht Braun und seine Anwälte zu einer sogenannten Glaubhaftmachung zwingen, warum Antworten auf diese Fragen strafrechtliche Relevanz haben. Das Gericht, so ihr Ziel, könnte Braun zur Beantwortung zwingen. Wenn er sich weigert, könnte er in Beugehaft genommen werden. Für Braun, der bereits in Untersuchungshaft sitzt, wäre das eine zusätzliche Strafe: "Die Beugehaft wird nicht von der späteren Strafe abgezogen", sagt FDP-Obmann Toncar. Der Auftritt von Markus Braun dürfte also noch ein Nachspiel haben – und in den kommenden Monaten in die Verlängerung gehen.