Tim Bartz

Ex-Aufsichtsrätin Die verspätete Heldin des Wirecard-Skandals

Tim Bartz
Ein Kommentar von Tim Bartz
Schon vor drei Jahren bemerkte eine Aufsichtsrätin, dass bei Wirecard vieles nicht stimmte. Ihr Schicksal zeigt, was in den deutschen Chefetagen falsch läuft.
Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München

Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München

Foto: MICHAEL DALDER/ REUTERS

Das war also der große Tag, an dem die deutsche Öffentlichkeit erstmals seit Monaten wieder Markus Braun zu Gesicht bekam. Der Ex-Chef des Skandalkonzerns Wirecard musste am Donnerstag in Berlin vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu seiner Rolle beim ehemaligen Dax-Unternehmen aussagen. Viel Erhellendes gab Braun dabei nicht von sich.

Der eigentliche Star des Tages war deshalb Tina Kleingarn, die zwischen Sommer 2016 und Herbst 2017 im Aufsichtsrat des Konzerns saß und die dortigen Zustände seinerzeit in ihrem Abschiedsbrief mit verblüffender Klarsicht beschrieb. In ihrem Brief, den sie an den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Wulf Matthias schrieb, legte sie ihr Mandat nieder, sinngemäß mit den Hinweisen, Braun führe Wirecard nach Gutsherrenart (Treffer!), Finanzvorstand Alexander von Knoop sei ein Totalausfall (Treffer!) und der restliche Aufsichtsrat eine Ansammlung von Waschlappen, die sich von Braun herumkommandieren lassen (Treffer!). Mehr Details dazu lesen Sie hier .

Kleingarns damalige Erkenntnisse kann man aus heutiger Sicht nur unterschreiben. Sie ist also die verspätete Heldin des Wirecards-Skandals – und zugleich eine tragische Figur, weil ihr Brandbrief erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangt, wo alles zu spät ist. Kleingarn hatte seinerzeit offenkundig nicht den Mut oder die Möglichkeit, die Missstände transparent zu machen. Womöglich hatte sie dafür menschlich nachvollziehbare Gründe. Etwa, dass es der Karriere abträglich sein dürfte, in der Öffentlichkeit als Nestbeschmutzerin dazustehen und den Ruf eines vermeintlich modernen Unternehmens beschädigt zu haben, von denen es in Deutschland nicht viele gibt. Oder profaner, dass es an rechtlichen Gründen fehlte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Die Untätigkeit von Finanzaufsicht und Börse

Die Finanzaufsicht Bafin zu informieren, hätte mutmaßlich auch nicht viel gebracht angesichts der Amateurhaftigkeit der Bonner Behörde. Deren Präsident Felix Hufeld hat den Skandal im Übrigen bislang erstaunlich unbeschadet überstanden. Womöglich, weil ihn Finanzminister Olaf Scholz noch schützt, um Hufeld bei passender Gelegenheit als Sündenbock zu opfern und vom eigenen Versagen abzulenken. Oder einfach, weil in der deutschen Wirtschaft auch die größten Fehlleistungen nur selten bestraft werden.

DER SPIEGEL 48/2020
Foto:

Titelillustration: SAMSON / DER SPIEGEL

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So oder so ist es schade, dass Kleingarns Brandbrief ein Einzelfall ist – sehr unwahrscheinlich jedenfalls, dass noch mehr derartige Schreiben in Deutschlands Führungsetagen zirkulieren. Nun ist nicht jeder Konzern so verrottet wie Wirecard. Aber viel zu selten werden Missstände offen angesprochen oder nach außen rapportiert, fast nie wird aus Verdruss mal ein gut bezahltes Mandat niedergelegt.

Wer aus der Masse ausschert, hat verspielt in der harmoniebesessenen Öffentlichkeit – und erst recht in der Deutschland AG. Die besteht wie eh und je aus den immer gleichen (Männer-)Netzwerken. Aus Leuten wie Bayer-Aufsichtsratschef Werner Wenning, der den Konzern in die Monsanto-Katastrophe lotste. Oder seinem Kollegen im Bayer-Kontrollgremium Paul Achleitner, der als Aufsichtsratschef seit fast zehn Jahren dem Niedergang der Deutschen Bank präsidiert und dabei zuschaut, wie dort gerade wieder die Investmentbanker das Ruder übernehmen.

Ein etwas anders gelagertes, aber ebenfalls gutes Beispiel: Ex-Wirecard-Aufsichtsratschef Wulf Matthias. Der 1944 geborene Ex-Privatbanker atmet viel frische Luft in Königstein, dem drögen Luxusghetto der Frankfurter Finanzszene, versteht nach Aussagen von Eingeweihten nicht viel von Digitalisierung und Wirecards Geschäftsmodell, ließ sich aber bereitwillig einspannen, um den Oberkontrolleur zu mimen. Mit dieser Aufgabenteilung konnten alle Beteiligten bis zum totalen Zusammenbruch des Unternehmens wunderbar leben. Blöd nur, dass die deutsche Aktienkultur womöglich irreparabel Schaden genommen hat.

Es kann einem angst und bange werden, dass in Deutschland keine Whistleblower-Kultur herrscht wie anderswo. Der Wirecard-Skandal ist letztlich nur aufgeflogen, weil sich mutmaßlich angelsächsische Insider an die angelsächsische Wirtschaftszeitung »Financial Times« gewandt haben.

Vielleicht, es ist wirklich nur eine winzige Hoffnung, schafft es ja die Deutsche Börse, ihre Aufnahmekriterien für den Auswahlindex Dax so zu reformieren, dass sich an der Kapitalmarktkultur strukturell etwas ändert. Auch die Börse hat jahrelang dabei zugesehen, wie mit Wirecard ein Unternehmen in den Dax aufgestiegen ist, dessen Aufsichtsrat und Vorstand so klein und so wenig divers waren, dass es schon Scheuklappen brauchte, um das nicht zu erkennen.

Am Montag will die Börse ihren Reformkatalog vorlegen. Und vielleicht geht es ja um mehr als nur darum, den Dax von 30 auf 40 Mitglieder zu vergrößern. Vielleicht kann sie dann auch erklären, wie man eigentlich bewerten soll, dass die Deutsche Börse gerade eben für 1,5 Milliarden Euro die Firma ISS gekauft hat. ISS berät große, mächtige Aktionäre bei deren Stimmverhalten auf Hauptversammlungen. Damit wächst der Börse, dem eigentlichen Mittelpunkt des Aktienhandels in Deutschland, eine Machtfülle zu, die brisant ist. Ihre Konzerntochter ISS entscheidet künftig (mit), wer in den Aufsichtsrat großer Konzerne kommt und wer ausscheiden muss.

Nebenbei: Theodor Weimer, Vorstandschef der Deutschen Börse, ist Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und dort Achleitners designierter Nachfolger als Vorsitzender. Mal schauen, ob ISS seinen weiteren Aufstieg dort wohlwollend begleitet.

Wichtiger wäre indes, dass sich ISS künftig auch für Leute wie Tina Kleingarn erwärmen kann – und solche Querdenker fördert. Und nebenbei diesen aktuell toxischen Begriff gleich noch rehabilitieren kann. Man wird ja noch träumen dürfen.

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