Wirtschaftsethik Mit aller Härte gegen die Kartelltäter

Kaffee, Zement, Vitamine - jetzt Waschmittel: Die Behörden decken immer mehr Kartelle auf. Die Firmen müssen hohe Bußgelder bezahlen, das allein schreckt längst nicht mehr ab. Wer Preise abspricht, plündert die Kunden aus und gehört im Zweifel hinter Gitter, meint Wolfgang Kaden.
Einkauf im Supermarkt: Verbraucher werden durch Kartelle geschädigt

Einkauf im Supermarkt: Verbraucher werden durch Kartelle geschädigt

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Ausgerechnet Waschmittel! Die Branche, die den Haushalten Sauberkeit und Reinheit predigt, hat nun selbst mächtig Dreck am Stecken. Wegen illegaler Preisabsprachen müssen die Pulverhersteller Procter & Gamble   und Unilever   eine EU-Geldbuße von insgesamt 315 Millionen Euro zahlen. Dem ebenfalls beteiligten Henkel-Konzern   wird die Strafe erlassen, weil das Düsseldorfer Unternehmen die EU über das Kartell informiert hatte.

315 Millionen Euro. Das klingt nach viel Geld, ist aber für die beiden Weltkonzerne Procter und Unilever ein Klacks. Zusammen machen sie rund 100 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Und außer den finanziellen Strafen müssen die Verantwortlichen nichts fürchten. Ihr Image leidet vielleicht ein bisschen. Na und? Hauptsache, es drohen keine Konsequenzen durch das Strafgesetzbuch. Sprich: Niemand muss mit Gefängnis rechnen.

Kartellpreise sind im Schnitt 25 Prozent höher

Die Obrigkeit lässt bei Kartellvergehen großzügig Milde walten. Egal, ob in Europa oder in Deutschland. Eine Nachsicht, die schwer nachvollziehbar ist. Und die es in Ländern mit einer ausgeprägten Wettbewerbskultur auch nicht gibt. In den USA drohen solchen Tätern Haftstrafen.

Zu Recht, denn Kartellvergehen sind in Wahrheit kriminelle Delikte. Wer sich mit anderen Unternehmen gesetzeswidrig und daher meist unter konspirativen Umständen verabredet, seine Produkte nicht unterhalb eines bestimmten Preises anzubieten, der weiß: Er fügt seinen Kunden Schaden zu - in Höhe der Differenz zwischen dem Kartellpreis und jenem geringeren Preis, der bei Wettbewerb erzielbar wäre.

Aus 250 veröffentlichten Studien zieht das Bundeskartellamt das Fazit, dass die Preise durch Kartelle im Schnitt um 25 Prozent über den regulär erzielbaren Preisen lagen, bei internationalen Absprachen gar um 30 Prozent. Bei den Kunden addiert sich dieser ergaunerte Gewinn schnell zu Schäden von dreistelligen Millionenbeträgen, zuweilen gar von Milliardensummen.

Ludwig Erhard hatte Recht

Wer den Wettbewerb ausschaltet, egal ob nur in der Bundesrepublik oder in der gesamten EU, der schädigt aber nicht nur einzelne Verbraucher oder Abnehmer, sondern die gesamte Volkswirtschaft. Der mindert für sich den Druck, Neues zu schaffen, schaltet jenes Steuerungsinstrument aus, das dafür sorgt, dass knappes Kapital dorthin fließt, wo es die beste Verwendung findet.

Und der beseitigt auch jene Institution, die allein die ordnungspolitische Rechtfertigung für Gewinne in einer Marktwirtschaft liefert. Der legendäre Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hatte Recht: "Kartelle müssen immer mit einem niedrigeren Lebensstandard bezahlt werden."

Es wird heute gern und viel über Moral und Ethik von Unternehmensführern geredet. Überall richten Firmen Compliance-Abteilungen ein, deren einzige Aufgabe es ist, auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften zu achten. Insidergeschäfte, mit denen nicht wenige Bankvorstände bis in die neunziger Jahre wie selbstverständlich dickes Geld verdienten, werden heute verfolgt und geahndet.

Korruption von Auftraggebern - als sogenannte "nützliche Abgabe" im Ausland sogar jahrzehntelang in Deutschland mit der steuerlichen Abzugsfähigkeit geadelt -, wird ebenfalls strenger verfolgt. Spätestens seit dem Schmiergeldskandal bei Siemens dürfte sie deutlich rückläufig sein.

Täter werden konsequenter verfolgt

Kartelle aber gedeihen weiterhin. Erst kürzlich ließ die EU alle großen Lkw-Hersteller in Europa durchsuchen. Anfang Februar verhängte das deutsche Kartellamt Bußgelder von 20,5 Millionen Euro gegen drei Hersteller von Feuerwehrautos. Ob Flüssiggas, Tondachziegel, Kaffee, Flachbildschirme oder Arzneimittel - die gesamte Volkswirtschaft scheint von Kartellen durchseucht.

Laut Bundeskartellamt hat sich die Zahl der eingeleiteten Verfahren seit Mitte der neunziger Jahre verdreifacht. Allerdings wissen die Beamten nicht genau, warum es zu mehr Verfahren und höheren Bußgeldeinnahmen gekommen ist, also ob die Manager mehr Kartelle schmieden oder ob die Aufklärungsquote gestiegen ist.

Letzteres dürfte zweifelsfrei der Fall sein. Seit Jahren jagt die Behörde die Täter konsequenter. Außerdem hat der Gesetzgeber im Jahr 2000 die Kronzeugenregelung eingeführt: Wer ein Kartell verpfeift, an dem er beteiligt ist, kann mit Erlass oder Minderung des Bußgeldes rechnen - siehe Henkel im aktuellen Waschmittelfall.

Schein-moralische Rechtfertigung

Verschärfungen, die überfällig waren, die aber nicht ausreichend sind. Durch die Aufdeckung der Fälle in den vergangenen Jahren wurden die Verbraucher vor jährlichen Ausgaben von 500 bis 750 Millionen Euro bewahrt. Doch wie groß mögen die Schäden durch jene illegalen Absprachen sein, die nicht enttarnt wurden?

Nach wie vor gelten Preisabsprachen in vielen Firmen als lässliche Sünde. Die schein-moralische Rechtfertigung: Der Wettbewerb sei immer härter geworden, da müsse man sich doch wehren dürfen.

So wird das Schmieden von Kartellen zum heimlichen Bestandteil der Geschäftsphilosophie. Etwa bei den Zementherstellern. Die Branche wird regelmäßig bei Preisabsprachen erwischt - zuletzt 1994 und 2003. Und nun läuft schon wieder ein Verfahren gegen Firmen aus zehn EU-Mitgliedstaaten. Doch die Manager lassen sich selbst von dreistelligen Millionenstrafen nicht abschrecken. Da liegt der Verdacht nahe, dass die mutmaßlichen Kartellstrafen schon eingepreist sind.

Die Kartellkultur wurde über viele Generationen eingeübt. Der Standort Deutschland ist laut dem Wirtschaftsrechts-Professor Heinz-Josef Bontrup "ein klassisches Kartellland". Von den Anfängen der Industrialisierung bis zum Zweiten Weltkrieg waren Kartelle nicht nur erlaubt, sie wurden oft sogar staatlich gefördert. Viele Branchen - wie die Stahlindustrie, die Chemie oder der Bergbau - waren fast vollständig durchkartelliert. Wettbewerb war weitestgehend abgeschafft. Das waren schöne Zeiten für das Management.

Bußgelder allein schrecken nicht ab

Genauso schön sollte es in der neu gegründeten Bundesrepublik eigentlich weitergehen. Wäre da nicht Ludwig Erhard gewesen. Ihm ist das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" zu verdanken, das am 1. Januar 1958 in Kraft trat.

Ein Gesetz allerdings, mit dem Erhard selbst unzufrieden war. Vehement und mit Erfolg hatte die Industrie dagegen gekämpft. An vielen Stellen wurde der ursprüngliche Entwurf entschärft.

Mehr als 50 Jahre sind seither vergangen. Und das Bewusstsein für moralische Ansprüche an die Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Zu Nachsicht gegenüber Kartelltätern bestand aber schon damals keine Veranlassung. Heute erst recht nicht.

Wer Preise künstlich durch Absprachen hochhält, Liefergebiete voneinander abgrenzt, Quoten verabredet, der plündert den Kunden aus, um seinen Gewinn zu mehren und gehört bestraft. Auch mit Freiheitsentzug. Egal, ob auf Ebene der Bundesrepublik oder in Europa.

Es gilt, die Mentalität und die Wettbewerbskultur in den Firmen zu ändern. Das Bewusstsein zu schärfen, dass Kartellabsprachen keine lässlichen Verfehlungen sind. Bußgelder allein schrecken nicht ab, dass können nur strafrechtliche Folgen tun: die Drohung mit dem Knast.

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