Reaktionen auf WHO-Studie "Niemand muss Angst haben, wenn er mal eine Bratwurst isst"

Schinken und Salami können krebserregend sein, das hat die WHO festgestellt. Nun wehren sich Hersteller und wittern einen "Fleisch-Terrorismus". Auch ein Bundesminister warnt davor, die Verbraucher zu verunsichern.
Wurstherstellung: "Ausgewogene Ernährung - mit Fleisch und Wurst"

Wurstherstellung: "Ausgewogene Ernährung - mit Fleisch und Wurst"

Foto: Patrick Pleul/ picture alliance / dpa

Die Einstufung von Fleisch als krebserregend stößt auf heftige Kritik von Herstellern: Der Schutzverband Schwarzwälder Schinkenhersteller warf der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Verunsicherung der Verbraucher vor. Die Fleischverarbeitung in Deutschland verlaufe unter strengen Vorschriften und Kontrollen, sagte der Verbandsvorsitzende Hans Schnekenburger.

Noch weiter gehen italienische Produzenten: "Nein zum Fleisch-Terrorismus, italienische Ware ist die gesündeste", behauptete der italienische Landwirtschaftsverband Coldiretti in einer Mitteilung . Würste und Schinken aus Italien seien nicht nur besonders mager, sondern würden auch grundsätzlich ohne Hormone behandelt. Nicht zuletzt die hohe Lebenserwartung der Italiener belege die Güte der Fleischwaren.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) warnte vor vorschnellen Schlüssen aus der WHO-Studie: "Niemand muss Angst haben, wenn er mal eine Bratwurst isst", sagte der CSU-Politiker. "Die Menschen werden zu Unrecht verunsichert, wenn man Fleisch mit Asbest oder Tabak auf eine Stufe stellt."

Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC, eine WHO-Behörde, hatte am Montag davor gewarnt, dass der regelmäßige Verzehr von verarbeitetem Fleisch wie Wurst oder Schinken das Krebsrisiko erhöhe. Demnach gehen pro Jahr 34.000 Krebstodesfälle auf verarbeitetes Fleisch und möglicherweise 50.000 auf rotes Fleisch zurück. (Lesen Sie hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Faktencheck.)

Fotostrecke

Ernährungstipps: Vom Frühstück bis zum Festtagsschmaus

Foto: Trinette Reed/ Getty Images/Blend Images

"Für die Entstehung von Krebs ist sicherlich nicht ein einzelnes Lebensmittel verantwortlich, sondern auch weitere Einflussfaktoren wie die persönliche Lebensweise, erbliche Vorbelastungen oder Umwelteinflüsse", erklärte nun der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie. Auch nach dem WHO-Report gelte weiterhin der "Grundsatz einer gesunden Lebensweise durch viel Bewegung und eine vielseitige und ausgewogene Ernährung - auch mit Fleisch und Wurst".

Aus einer Erhebung des Verbands geht hervor, dass der Verzehr von Fleischwaren in Deutschland insgesamt sinkt: Der Pro-Kopf-Konsum lag demnach 2013 bei 29,6 Kilogramm, zehn Jahre zuvor waren es noch 31,3 Kilogramm. Derzeit essen in Deutschland Männer im Schnitt 156 Gramm Fleisch pro Tag, Frauen 84 Gramm.

Kritik an der WHO-Beurteilung kommt auch vom Verein "Die Lebensmittelwirtschaft". Demnach fehlten "klare wissenschaftliche Beweise dafür", dass rotes oder verarbeitetes Fleisch wirklich ursächlich krebserregend sei. "Bislang konnte nie wissenschaftlich geklärt werden, welche Inhaltsstoffe aus dem Fleisch dem Menschen schaden könnten", sagte Geschäftsführer Stephan Becker-Sonnenschein.

Liegt es am Fleisch oder an der Herstellung?

Es sei daher unklar, "ob es tatsächlich das Fleisch selbst ist, oder vielleicht doch eher die Verarbeitung durch Pökeln, Räuchern oder Fermentieren". Auch die WHO-Studie basiere rein auf Auswertungen und statistischen Berechnungen anderer Studien.

Die IARC betonte allerdings in ihrer Veröffentlichung vom Dienstag, dass es hinreichend Belege dafür gebe, dass verarbeitetes Fleisch Darmkrebs auslösen kann. Beim roten Fleisch sei der Zusammenhang nur wahrscheinlich, nicht sicher.

Die Forscher nennen auch mehrere Inhaltsstoffe, die dem Menschen schaden können: nämlich Nitrosamine, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und heterozyklische aromatische Amine (HAA). Nitrosamine entstehen unter anderem beim Pökeln und Räuchern. Wird Fleisch gekocht, gebraten oder gegrillt, bilden sich HAA und PAK, heißt es in der IARC-Veröffentlichung in "Lancet Oncology" . Einige dieser Substanzen sind als krebserregend eingestuft, andere als wahrscheinlich krebserregend.

Was stimmt: Die IARC schreibt, es sei noch nicht vollständig verstanden, wie rotes oder verarbeitetes Fleisch das Krebsrisiko erhöht. Sie listet jedoch einige Untersuchungen auf, die Hinweise liefern. Unter anderem zeigten zwei kleine Studien (hier  und hier ), dass ein hoher Fleischkonsum (mehr als 300 Gramm pro Tag) dazu führte, dass sich im Erbgut in Darmzellen vermehrt sogenannte DNA-Addukte fanden: Veränderungen, die zu Krebs führen können.

Und: Die WHO-Behörde IARC hatte selbst mitgeteilt, dass das individuelle Risiko, Krebs durch Fleischkonsum zu bekommen, gering sei. Es steige aber mit der Menge des konsumierten Fleisches, sagte Kurt Straif vom IARC. Betrachte man eine große Zahl von Menschen, seien die Fälle gesundheitspolitisch bedeutend.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät schon länger dazu, beim roten Fleisch zu sparen. "Weißes Fleisch (Geflügel) ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten günstiger zu bewerten als rotes Fleisch (Rind, Schwein)", heißt es seitens der DGE. Pro Woche werden nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischerzeugnisse empfohlen, also im Mittel nicht mehr als 70 Gramm pro Tag.

mxw/dpa/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten