Absturz nach Börsengang Zalando-Rocket-Fiasko alarmiert Anlegerschützer

Zalando: Innerhalb von fünf Handelstagen gut 20 Prozent verloren
Foto: DADO RUVIC/ REUTERS41,50 Euro, 37,00 Euro, 35,50 Euro, 33,05 Euro, 33,01 Euro, 21,50 Euro, 19,00 Euro, 17,90 Euro, 17,50 Euro, 17,10 Euro: So ist den Neuaktionären von Rocket Internet und Zalando ihr investiertes Geld im 24-Stunden-Takt dahingeschwunden. Eine volle Handelswoche lang sind die Kurse der beiden Start-ups von Tag zu Tag immer weiter abgestürzt. Aus Zeichnern sind Gezeichnete geworden.
Dieses Fiasko müssen die Anleger erst mal verdauen. Was war das für ein Hype in den letzten Tagen vor dem Börsengang des Online-Schuhhändlers und der Internet-Beteiligungsgesellschaft der Samwer-Brüder: Roadshows, Kursfeuerwerke am vorbörslichen Graumarkt. Dann ging es endlich los - und beide Aktien wurden Rohrkrepierer. Zalando verlor in den ersten fünf Handelstagen gut 20 Prozent, Rocket machte seine Neueigentümer um 22 Prozent ärmer. Immerhin fand die schwarze Serie gestern ein Ende: Die zwei Aktien verzeichneten erstmals seit ihrem Parkettdebüt leichte Kursgewinne. Mindestens 300 Millionen Euro sind binnen weniger Tage vernichtet worden.
"Was hier geschieht, erinnert mich an die Zeiten des Neuen Marktes", sagt Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wir raten zur Vorsicht vor einem neuen Neuen Markt." Auf das damals neue Marktsegment mit seinen zahlreichen obskuren Technologietiteln hatten sich vor der Jahrtausendwende insbesondere Privatanleger gestürzt - und beim anschließenden Crash Milliarden versenkt.
Heiße Luft in Tüten verkauft
Der Ökonom und Anlageexperte Max Otte fordert nach dem jüngsten Debakel die Politik im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE zum Eingreifen auf: "Der Gesetzgeber muss die Anleger schützen. Ein Unternehmen soll erst an die Börsen gelassen werden dürfen, wenn es nachhaltig Gewinne macht." Der Wormser Wirtschaftsprofessor Otte hat sich einen Namen in der Szene gemacht, als er 2006 für die Jahre 2007 bis 2010 eine globale Finanzkrise prophezeite.
Vor Rocket Internet und Zalando hatte Otte ebenfalls gewarnt: "Hier wird heiße Luft in Tüten verkauft. Ich würde diese Emissionen nicht mit der Kneifzange anfassen", schrieb er Tage vor den Börsendebüts. Auch DSW-Experte Nieding urteilte damals: "Das ist nichts für sicherheitsbewusste Privatanleger." Und doch schlugen die Investoren zu, auch viele institutionelle Anleger: Beide Papiere waren in etwa zehnfach überzeichnet. Rocket, das sich an mehreren Dutzend Internet-Start-ups beteiligt, erlöste mit dem Börsengang rund 1,6 Milliarden Euro, Zalando gut 600 Millionen.

Zalando und Co.: So entstand das Samwer-Imperium
Vor allem der Start-up-Brutkasten Rocket war sehr hoch bewertet: beim Aktien-Ausgabepreis von 42,50 € pro Stück mit hochgerechnet 6,7 Milliarden Euro, höher als die Lufthansa. Keine zwei Monate zuvor, als sich der Internet-Dienstleister United Internet mit 10,7 Prozent bei Rocket einkaufte, wurde Rocket noch mit 4,1 Milliarden Euro taxiert. Macht über 50 Prozent mehr binnen weniger Wochen.
Wohin mit dem Geld?
Gottfried Heller, langjähriger Partner von Bösenguru André Kostolany, nennt Rocket in einem Kommentar für "Börse online" "eine Blackbox, gegründet auf Hoffnung und Hype, den die Werbung verbreitet". Zudem müsse das Unternehmen wegen seiner Listung im laxer regulierten Entry-Standard nicht jedes Quartal detailliert über den Geschäftsverlauf berichten, sondern nur einmal im Jahr, und zum Halbjahr lediglich in deutlich abgespeckter Form.
Rocket Internet wollte zu einer Anfrage von SPIEGEL ONLINE nicht Stellung nehmen. Zalando gibt sich gelassen. Das Listing sei "ein tolles Beispiel in der deutschen Wirtschaftsgeschichte" gewesen, sagt Unternehmenssprecher Boris Radke. "Vielleicht hatten manche Leute die falsche Erwartungshaltung." Die Aktie werde "langfristig wieder über den Emissionskurs kommen".
Im Unternehmen herrscht laut dem Sprecher Ruhe. Was daran liegen könnte, dass das Gros der Belegschaft vor dem Börsengang das Angebot ablehnte, Zalando-Aktien für bis zu 20.000 Euro bevorrechtigt zu kaufen. Viele Mitarbeiter seien prinzipiell skeptisch gegenüber der Börse, sagt Radke. "Da wurden keine unnötigen Risiken gemacht, dafür hat keiner einen Kredit aufgenommen."
Trotz allem haben beide Firmen mehr als genug Kapitalgeber gefunden: weil viele Anleger angesichts immer neuer Rekord-Tiefstände bei Anleihen und überhitzter Immobilienmärkte nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Weil nach dem geglückten Börsengang des chinesischen Internetriesen Alibaba ein Hype um die deutschen Börsenstarter losging.
Anders als bei früheren Emissionen taten die beteiligten Banken wenig, um die Kurse wenigstens in den ersten Tagen beim Ausgabepreis zu halten. "Sie haben nicht die rechtliche Pflicht zu Stützungskäufen. Dem Geschäft mit Börsengängen haben sie damit aber einen Bärendienst erwiesen", sagt Nieding. Otte prognostiziert: "Das wird viele andere geplante Emissionen verhageln."
Nicht einmal jeder siebte Bundesbürger ist Aktionär, in den USA halten 54 Prozent aller Haushalte Aktien. Und so wandern hiesige Konzerne immer weiter in fremde Hände: Private deutsche Haushalte besaßen laut Bundesbank im Mai nicht mal mehr 13 Prozent der Dax-Titel, ausländische Investoren hingegen hielten 63 Prozent an den 30 Top-Unternehmen.
Das Rocket- und Zalando-Debakel ist ein neuer Schlag für die Börsenkultur, fürchtet Nieding. "Leute, die sich vor 10 oder 15 Jahren eine blutige Nase holten und gerade neues Vertrauen gefasst haben, gehen nun wieder weg."