
Auguste Victoria: Die Vorletzte ihrer Art
Schließung der Zeche Auguste Victoria Letzter Schichtbeginn
Es soll ein besonderer Tag werden für die Mitarbeiter der Zeche Auguste Victoria. Der FC Schalke 04 hat sie zu seinem letzten Hinrundenspiel heute Abend gegen 1899 Hoffenheim ins Stadion eingeladen. Ein Zeichen der Solidarität des Vereins, der einst von Bergleuten gegründet wurde.
Die Einladung sollte wohl auch so etwas wie Trost spenden. Denn die Ehrengäste haben mit dem wohl tiefsten Einschnitt in ihrer beruflichen Karriere zu kämpfen: Am Freitag schrillt auf der Auguste Victoria das letzte Mal die Glocke, die den Schichtwechsel anzeigt. Nach 115 Jahren stellt das Traditionsbergwerk den Betrieb ein. In Spitzenzeiten arbeiteten 11.000 Menschen auf der Schachtanlage.
Das ist lange her. 2018 läuft die deutsche Steinkohleförderung aus, bis dahin schließen auch die letzten beiden Zechen in Bottrop und in Ibbenbüren am Rande des Münsterlandes. Die Zeiten, in denen der Staat bereit war, Jahr für Jahr Milliarden auszugeben, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Steinkohle gegen die Konkurrenz von Übersee sicherzustellen, sind endgültig vorüber.
Von den zwölf Zechen, die im Jahr 2000 noch in Betrieb waren, sind lediglich noch drei übrig geblieben. Statt der knapp 150 Millionen Tonnen Steinkohle, die 1957 gefördert wurden, kamen 2014 gerade noch 7,6 Millionen Tonnen ans Tageslicht. Statt der fast 610.000 Menschen, die 1957 bei den Steinkohlebetrieben in Lohn und Brot standen, arbeiten dort heute nur noch kaum mehr 10.000.
Selbstbewusste Kaste
Wer jetzt von der Auguste Victoria kommt, fängt also noch einmal von vorn an. Die Stadt Marl will das Zechengelände für Logistik oder gemischte Gewerbebetriebe vermarkten und so mittelfristig 1000 neue Stellen ansiedeln. Diejenigen, die auf die 50 zugehen, gehören plötzlich zum alten Eisen, oder vornehmer ausgedrückt: zu den Vorruheständlern. Den Jüngeren bleibt eine letzte Frist, in der die Löhne weitergezahlt werden, um sich neu zu orientieren. In einer Berufswelt, die sich so sehr von der unterscheidet, die sie Zeit ihres Lebens gekannt haben.
Wie groß die Umstellung für sie ist, lässt sich nur dank sogenannter Zechen-Safaris erahnen: Laut ist es in den Stollen, dunkel, dreckig, und die Luft schmeckt wie aus einer Taucherflasche. Schweres Schuhwerk, feste Kleidung und ein Helm, unter dem ständig die Kopfhaut juckt, gehören zur Pflichtausstattung. "Man musste schon echt bekloppt sein, um hier zu arbeiten", raunten sich die Besucher dann oft zu.
Den Kumpels blieben die Reaktionen nicht verborgen. Doch von den ganzen "Bekloppten" im Ruhrgebiet waren sie die härtesten, sie sahen sich als Elite. Die Kollegen in den Stahlwerken waren dagegen aus ihrer Sicht die Weichen.
Auch das ist lange her. Aber es erklärt, warum ein Bergmann sich nicht einfach leichten Herzens einen neuen Job sucht.
Fixpunkt ganzer Dynastien
Holger Stellmacher aus Hamm in Westfalen etwa, seit 30 Jahren Bergmann, die längste Zeit davon unter Tage, hätte gern noch fünf bis zehn Jahre drangehängt, wenn seine Zeche Auguste Victoria jetzt nicht schließen würde. Geboren wurde er als jüngster von drei Brüdern in einer Bergbausiedlung in Hamm. Vater und Opa arbeiteten im Bergbau. Sohn Holger sollte eigentlich etwas Besseres werden. Doch als er den Realschulabschluss in der Tasche hatte, fing die Mehrheit der Klasse im Bergwerk an. Er dann auch.
Mit den bereits geschlossenen Zechen und nun auch der Auguste Victoria ist der Fixpunkt nicht nur einer Generation, sondern ganzer Dynastien verschwunden.