Zypern So gefährlich ist die Zwangsabgabe

In der Euro-Krise ist die Angst wieder da: Die internationalen Gläubiger haben Zypern eine Zwangssteuer auf Sparguthaben verordnet. Investoren und Politiker fürchten Auswirkungen auf Banken in ganz Europa.
Händler in London: Bangen um Europas Banken

Händler in London: Bangen um Europas Banken

Foto: NEIL HALL/ Reuters

Hamburg - Ein Schock geht durch Europas Finanzsystem - ausgelöst von Zypern, einem kleinen Staat am Rande der Währungsunion. Erstmals in der Geschichte der Euro- und Finanzkrise sollen nicht mehr nur die europäischen Steuerzahler, Aktionäre oder private Gläubiger für die Probleme eines Landes und seiner Banken zahlen, sondern die Bankkunden. Sie sollen über eine einmalige Steuer an den Kosten der Rettung beteiligt werden. Das gab es so noch nie.

Entsprechend heftig sind die Reaktionen an den Finanzmärkten: In ganz Europa brachen am Montag die Kurse von Bankaktien ein. Zu den größten Verlierern gehörten Institute von Krisenländern wie die spanische Bankia, die zweitweise um mehr als acht Prozent abstürzte. Aber auch die Aktie der Deutschen Bank   verlor zwischenzeitlich fast vier Prozent. Investoren flüchteten in vermeintlich sicherere Anlagen wie deutsche Staatsanleihen oder Gold  .

Auch Experten sind schockiert. Der amerikanische Nobelpreisträger Paul Krugman spricht von einer "gefährlichen Lösung" und warnt vor "Ansteckungsgefahren". Die Sparer in Ländern wie Griechenland und Italien würden geradezu aufgefordert, ihr Geld von den Banken abzuziehen. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt im Interview mit SPIEGEL ONLINE Alarm: "Europas Bürger müssen nun um ihr Geld fürchten."

Schon wackelt die Vereinbarung vom Wochenende unter dem Druck von Öffentlichkeit und Finanzmärkten. Noch am Montag wurde neu verhandelt. Die Kleinsparer mit einem Vermögen bis 100.000 Euro sollten nur noch drei statt 6,75 Prozent Steuern zahlen, spekulierten die Nachrichtenagenturen. Reiche mit über 500.000 Euro dafür 12,5 oder gar 15 Prozent statt wie bisher 9,9 Prozent. Die Nachrichtenagentur dpa meldete am Abend einen Durchbruch bei den zyprischen Verhandlungen: Demnach sollen Guthaben bis zu 20.000 Euro ganz von der Abgabe befreit werden.

Ist die Nervosität gerechtfertigt oder übertreiben es die Finanzmärkte und ihre Interpreten? Und warum wollen die Euro-Retter eigentlich unbedingt an das Geld der Sparer? SPIEGEL ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum sollen die Sparer für Zyperns Probleme zahlen?

Wann immer es bisher darum ging, in Europa Banken oder Staaten zu retten, mussten meist die europäischen Steuerzahler herhalten: Über Rettungsfonds hafteten sie für Risiken und Verluste. Im Fall Griechenland kam 2011 erstmals eine Beteiligung privater Gläubiger hinzu. Das sollte eine Ausnahme bleiben, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu betonen nicht müde wurde.

Vor diesem Hintergrund haben die europäischen Geberländer gemeinsam mit der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beschlossen, im Fall Zypern die Bankkunden zu beteiligen. Die Entscheidung ist auch moralisch begründet: Weil Zypern jahrelang als Steueroase das Geld reicher Russen und Europäer anzog, sollen diese Nobelkunden nun mitbezahlen. Außerdem, so die Argumentation der Befürworter, wären Zyperns Banken ohne Hilfspaket ohnehin pleite und das Geld der Sparer ebenfalls gefährdet.

Dieser Standpunkt ist möglicherweise gerechtfertigt, doch nach Ansicht von Experten auch hochriskant. Sie kritisieren vor allem, dass auch das Geld der Kleinsparer durch die Pläne teilweise konfisziert werden soll.

Was genau fürchten Experten und Investoren?

Der Plan der Gläubiger-Staaten birgt eine große Gefahr: Sparer in europäischen Krisenländern könnten das Vertrauen in ihre Banken verlieren und massenhaft Geld abziehen. Im schlimmsten Fall droht sogar ein sogenannter Bank-Run, der mehrere Institute in die Pleite treiben könnte. Denn keine Bank der Welt hat so viel Geld, um alle ihre Sparer gleichzeitig auszuzahlen.

In Zypern ist der Sturm auf die Banken schon abzusehen. Noch sind die Institute dort geschlossen. Doch sobald sie wieder öffnen, dürften sich lange Schlangen vor den Filialen und Geldautomaten bilden.

Schlimmer noch wären die sogenannten Ansteckungseffekte auf andere Krisenstaaten. Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien hatten bereits in den vergangenen Jahren damit zu kämpfen, dass Sparer massenhaft Geld ins Ausland schafften. Abzulesen war das zum Beispiel an den hohen Verbindlichkeiten dieser Staaten im Target-System der europäischen Notenbanken.

Seit EZB-Präsident Mario Draghi im vergangenen Herbst versprochen hat, den Krisenländern im Notfall mit unbegrenzten Anleihenkäufen zu helfen, hatte sich die Lage wieder etwas beruhigt. Das Vertrauen in Banken kehrte langsam zurück. Dieser Erholungsprozess wird nun jäh gestört.

Wie schlimm die Folgen der zyprischen Sparer-Beteiligung wirklich sind, wird sich wohl erst dann zeigen, wenn mal wieder ein anderes Euro-Land in Schwierigkeiten gerät. Dann, so fürchten viele Experten, könnten die Sparer auch dort zum Sturm auf die Banken ansetzen.

Warum ist Vertrauen für Banken so wichtig?

Banken sind auf das Vertrauen von Kunden und Investoren angewiesen. Sie können nur funktionieren, wenn ihnen beide Gruppen ständig Geld zur Verfügung stellen. Ansonsten droht ihnen schnell das Aus.

Wie wichtig das Vertrauen für die Stabilität des gesamten Finanzsystems ist, hat Deutschland zuletzt im Herbst 2008 erfahren. Wer weiß, was passiert wäre, hätte Angela Merkel damals nicht diesen wichtigen Satz gesagt. Es war Sonntag, der 5. Oktober 2008. Eine Woche zuvor hatte die Bundesregierung gemeinsam mit den deutschen Banken die Hypo Real Estate vor der Pleite gerettet - und damit womöglich die Kernschmelze eine Finanzsystems abgewendet. Nun galt es, den nächsten GAU zu verhindern: Den Sturm der deutschen Sparer auf ihre Bankguthaben.

Die Lage war angespannt. Schon seit Tagen hoben die Deutschen deutlich mehr Geld an den Bankautomaten ab als gewöhnlich. Einige Institute kamen kaum nach mit dem Wiederbefüllen. Bankberater berichten von spätabendlichen Anrufen vermögender Kunden, die am nächsten Tag persönlich nachschauen wollten, ob ihr Geld noch da sei.

Dann stellten sich Kanzlerin Merkel (CDU) und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor die Fernsehkameras. "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind", versprach Merkel. "Auch dafür steht die Bundesregierung ein."

Es war ein historischer Satz, ein Wendepunkt in der Finanzkrise. Schlagartig kehrte das Vertrauen in die deutschen Banken zurück. Die staatliche Einlagensicherung wurde von früher 20.000 auf 100.000 Euro erhöht. Andere Staaten folgten dem Beispiel. Als Mindestsumme sind in Europa heute 50.000 Euro geschützt - eigentlich.

Am Montag erneuerte Merkel übrigens ihr Versprechen: "Es ist das Merkmal einer Garantie, dass sie gilt", ließ sie ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten. "Und den Worten der Bundeskanzlerin und des damaligen Finanzministers ist nichts hinzuzufügen."

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