Zweifel an Euro-Stabilität Mitten in den wunden Punkt

EU-Staats- und Regierungschefs (Archivbild von 2010): Getriebene der Finanzmärkte
Foto: ERIC FEFERBERG/ AFPHamburg - An den Aktienmärkten herrscht Panik: Der deutsche Leitindex Dax ist auf Talfahrt, an der Wall Street und den asiatischen Börsen stoßen Händler massenweise Aktien ab. Ein Marktstratege sprach gar von einem "Blutbad". Auch Euro-Problemstaaten nehmen die Investoren erneut ins Visier: Die Renditen bei spanischen und italienischen zehnjährigen Staatsanleihen stiegen in den vergangenen Tagen auf Höchststände seit Einführung des Euro.
Dabei müssten die Märkte eigentlich erleichtert sein. Die USA haben ihre Zahlungsunfähigkeit in letzter Sekunde abgewendet, in Europa wurden die Ergebnisse eines Sondergipfels Mitte Juli als wichtiger Schritt im Kampf gegen die Euro-Krise gefeiert. Doch ausgerechnet jetzt schlägt das Misstrauen der Investoren voll durch. Sie fürchten, dass das Wirtschaftswachstum abgewürgt wird und Staaten weltweit stärker in die Schuldenspirale geraten.
Währungshüter und Politiker reagieren alarmiert: Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft wieder Staatsanleihen aus Krisenländern. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso brachte in einem Brief an die europäischen Staats- und Regierungschefs eine Aufstockung des Euro-Rettungsfonds ins Spiel, um im schlimmsten Falle auch große Volkswirtschaften wie Spanien und Italien retten zu können.
Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wollen telefonieren. Zudem will Sarkozy mit dem spanischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero Rücksprache halten. Auch der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi will mit europäischen Kollegen telefonieren.
Doch die Politik und EZB stecken in einem Dilemma: Einerseits müssen sie handeln, anderseits dürfen sie keine Panik verbreiten. Angela Merkel etwa wollte eigentlich tun, was sie in der Euro-Krise schon oft getan hat: abwarten. Natürlich ist auch die Bundesregierung besorgt. Doch unüberlegte Wortmeldungen aus dem Urlaub heraus, so das Kalkül, würden die Nervosität an den Märkten nur noch steigern. Umso fassungsloser machte die Kanzlerin daher der Brief von Barroso gerade einmal zwei Wochen nach den Beschlüssen des jüngsten EU-Gipfels - zumal das Schreiben schnell an die Öffentlichkeit gelangte.
Kanzleramt und Bundesfinanzministerium wiesen den Vorstoß geradezu ungehalten zurück. "So eine Debatte kommt zur Unzeit", sagte Vizekanzler Philipp Rösler. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle machte Barroso sogar indirekt für die Turbulenzen an den Börsen mitverantwortlich.
Die Euro-Retter stecken im Dilemma
Doch hat Barroso mit seinem Vorstoß wirklich dazu beigetragen, dass Investoren eine Rettungsaktion für Spanien und Italien für wahrscheinlicher halten? Oder hat er gerade noch rechtzeitig die an den Märkten längst vorhandenen Sorgen aufgegriffen?
Auch die EZB steckt im Dilemma. Um Euro-Länder zu stützen, kauft die EZB deshalb wieder Staatsanleihen - eine hochumstrittene Praxis, welche die Unabhängigkeit der Währungshüter gefährdet. Doch es ist der langwierige Beschlussprozess in der EU, der die EZB in die Rolle der Feuerwehr drängt.
Der Markt ignoriert eine einfache politische Wahrheit: In Demokratien brauchen Entscheidungen Zeit. Der Anleihenkauf ist dafür das beste Beispiel. Auf dem EU-Gipfel haben die Staats- und Regierungschefs bereits beschlossen, dass künftig der europäische Rettungsschirm EFSF die Anleihen kaufen soll. Doch weil zunächst die Parlamente in mehreren Euro-Staaten über die Beschlüsse abstimmen müssen, kann der Fonds der EZB die ungeliebte Aufgabe erst in einigen Monaten übernehmen.
In Deutschland sah Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) noch vor kurzem keinen Grund, wegen der Euro-Krise die Sommerpause zu unterbrechen. So gelassen ist der griechische Premier Georgios Papandreou angesichts der jüngsten Zuspitzung nicht mehr. Die Mitgliedsländer sollten die Hilfen jetzt schnell absegnen, schreibt Papandreou in einem Brief an Kommissionspräsident Barroso - "besonders die Parlamente".
Doch selbst wenn EU-Politiker die Verabschiedung des neuen Rettungspakets beschleunigen sollten: Der Druck auf Italien und Spanien könnte anhalten. Denn mindestens ebenso viel Zeit wie die Verabschiedung von Hilfspaketen braucht die Umsetzung von Reformen. Italien muss dringend wettbewerbsfähiger werden, Spanien seine extrem hohe Arbeitslosigkeit senken. Das sind Ziele, die sich nicht innerhalb von Tagen oder Wochen erreichen lassen - zumal der Regierungschef in Spanien vor der Ablösung steht und der in Italien wenig Ehrgeiz beim Krisenmanagement zeigt.
In dieser Lage verunsichern Meldungen wie die überraschend stark gesunkene Industrieproduktion in Italien zusätzlich, das planmäßige Mini-Wachstum von 0,3 Prozent im zweiten Quartal reicht kaum als Hoffnungswert. Die steigenden Risikoaufschläge für italienische Anleihen offenbaren eine weitere bittere Wahrheit: Die Märkte suchen immer den wunden Punkt.
Zwar hatte der letzte Euro-Gipfel die Kompetenzen des EFSF erweitert, der Umfang des 440 Milliarden schweren Rettungsfonds aber wurde trotz entsprechender Forderungen nicht aufgestockt. Gegen solch einen Schritt hatten auch Bundestagsabgeordnete Widerstand angekündigt.
Genau auf diese Schwäche des Fonds zielen nun Investoren: Denn bräuchten auch Italien oder Spanien Finanzhilfen, so würden die Mittel des EFSF nicht mehr ausreichen. Zum einen, weil der Fonds bereits andere Länder unterstützt. Zum anderen, weil Italiener oder Spanier dann selbst als Garantiegeber des EFSF wegfallen würden und die übrigen Länder noch mehr Geld zuschießen müssten.
Solchen Spekulationen will EU-Kommissionspräsident Barroso nun mit seinem umstrittenen Appell nach einer Aufstockung des Fonds begegnen. Doch falls die kommen sollte - wäre dann endlich Ruhe?
Es wäre schön, aber zum Aufatmen wäre es wohl selbst dann noch zu früh, zumal die Zukunft von europäischen Krisenstaaten wie Griechenland noch immer offen ist. Der Wirtschaftsweise Lars Feld prophezeite vor wenigen Tagen in der "Süddeutschen Zeitung", spätestens im September würden die Märkte hinterfragen, ob die Hilfen für Griechenland ausreichen und das Land genügend spart.
Doch alle Sorgen über Griechenland dürften vergessen sein, falls die Investoren ein anderes Land ins Visier nehmen: Auch die Schuldenproblematik der USA ist keinesfalls gelöst. Zugleich stockt in der weltgrößten Volkswirtschaft das Wachstum, schlechte US-Konjunkturindikatoren gelten als einer der Auslöser für den jüngsten Kursrutsch. Noch aber vertrauen Anleger der US-Wirtschaft, am Donnerstag flüchteten sie sich massenhaft in amerikanische Staatsanleihen.
Vorerst muss also nur Europa gegen die Pleiteängste kämpfen. Ob die neuerliche Krisendiplomatie europäischer Spitzenpolitiker schnelle Entspannung bringt, ist schwer zu sagen. Ein deutliches Signal der Beruhigung ist kaum zu erwarten. In Berliner Regierungskreisen werden die Erwartungen vor dem Telefonat Merkels mit Sarkozy gedämpft. An der grundsätzlichen Lage habe sich seit dem Euro-Gipfel nichts geändert, heißt es. "Das werden die Börsen selbst reparieren müssen."