US-Immobilienkrise Kapitalmarkt unter Dampf
Hamburg - Was hat Bill Smith aus Kentucky mit der Commerzbank zu tun? Auf den ersten Blick vermutlich nichts, wahrscheinlich kennt der amerikanische Durchschnittsbürger das deutsche Bankhaus nicht einmal. Doch bei näherem Hinsehen ergeben sich Verbindungslinien - und die könnten der deutschen Bankenbranche zu schaffen machen.
Nehmen wir an, dass Bill Smith vor einiger Zeit ein Haus kaufen wollte. Eigenkapital hatte er keines, aber dafür fand er eine Bank, die ihm 100 Prozent der Kaufsumme lieh. In den USA geschah das in den vergangenen Jahren tausendfach.
Problematisch wurde es für Smith, als die Zinsen stiegen. Seitdem kann er seine Schulden kaum noch zurückzahlen. Die Bank stufte seinen Kredit deshalb als "schlecht" ein - und verkaufte die Forderung gegen Smith an jemand anderen, zum Beispiel an einen Hedgefonds. Der wiederum finanzierte das Geschäft mit Krediten anderer Banken, unter anderem aus Deutschland. Insgesamt wurden in den USA 700 Milliarden Dollar sogenannter Subprime Loans vergeben.
Was passiert nun, wenn Smith tatsächlich nicht mehr zahlen kann? Und wenn gleichzeitig noch der Wert seiner Immobilie, die als Sicherheit dient, sinkt? Und wenn es Tausend anderen Hausbesitzern ähnlich geht?
Einen Vorgeschmack gab es in den USA bereits. Mehrere Hedgefonds brachen in den vergangenen Wochen zusammen, betroffen war unter anderem die renommierte Investmentbank Bear Stearns.
Und auch Deutschland ereilte die Krise. Nachdem sich die Mittelstandsbank IKB in Amerika verspekuliert hatte, tauschte sie am Montag ihre Führungsspitze aus. Außerdem sprang ihr der Hauptaktionär, die bundeseigene KfW-Bank, mit mehr als acht Milliarden Euro zu Hilfe.
Doch das ist nicht alles. Laut "Süddeutscher Zeitung" sind weitere deutsche Banken in die US-Krise verwickelt. Nur ein beherztes Eingreifen von KfW, Finanzministerium und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) habe verhindert, dass die IKB andere Institute mit nach unten zieht.
Offiziell will die BaFin den "SZ"-Bericht nicht bestätigen. "Ich werde ihn aber auch nicht dementieren", sagt eine Sprecherin. Zu Panik bestehe allerdings kein Anlass. "Der Fall der IKB war ein Ausreißer."
Nach Angaben der Sprecherin hat die BaFin bereits im April bei allen wichtigen Banken wegen deren Verwicklung in die US-Immobilienkrise angefragt. Ergebnis: Es gebe nur ein "begrenztes Engagement" im amerikanischen Hypothekengeschäft. Größere Sorgen mache man sich bei der BaFin daher nicht, sagt die Sprecherin. "Für uns gibt es keinen Anlass, Sonderprüfungen durchzuführen."
Auch die Banken selbst sehen keine Gefahr für Deutschland. "Es gibt eine ernsthafte Situation, die sich die Institute genau anschauen müssen", sagt ein Branchenvertreter zu SPIEGEL ONLINE. "Aber das ist kein Grund, Schreckensszenarien an die Wand zu malen." Dass sich ein Absturz wie bei der IKB auch bei anderen Banken ereignen könnte, sei unwahrscheinlich.
Allerdings: In den Ergebnissen der deutschen Banken werde sich die US-Krise durchaus niederschlagen, sagt der Branchenkenner. "Da gibt es Zusammenhänge."
"Irgendwann geht es abwärts"
Unabhängige Experten sehen das deutlich kritischer. "Auf dem Finanzmarkt ist man sehr kreativ beim Erfinden neuer Produkte", sagt der Bankenexperte einer großen Unternehmensberatung zu SPIEGEL ONLINE. "Die Aufsichtsbehörden haben größte Schwierigkeiten, sich einen richtigen Überblick zu verschaffen."
Viele Geldinstitute besitzen demnach Forderungen, die sie aus dem eigentlichen Bankbestand auslagern und über ein sogenanntes Vehikel an den Finanzmarkt bringen. Genauso sei es mit den US-Hypothekenkrediten gewesen. Daneben gebe es auch außerhalb des Immobiliensektors eine Reihe von Produkten, die in die Kategorie Vehikel fallen. "Erst wenn die Banken diese Forderungen in die Bücher zurücknehmen, fällt etwas auf", sagt der Insider.
Wehe, die Kurse sind in der Zwischenzeit gesunken - so wie jetzt in den USA. Dann stehen die Unternehmen plötzlich vor einem dicken Minus. Und es geht um Milliardenbeträge. Denn fast alle Banken sind in dem Markt tätig. "Wenn schon die Mittelstandsbank IKB mit Milliarden drinnen hängt - wie viel muss das dann erst bei den anderen sein?" sagt der Vertreter einer deutschen Großbank.
Auch der Unternehmensberater erwartet, dass nach der IKB weitere Banken Probleme bekommen könnten - wenn auch nicht in diesem Ausmaß. "Der Kapitalmarkt steht unter Dampf", sagt er. "Irgendwann kommt der Punkt, wo es abwärts geht. Aber das gehört zum Spiel: Die letzten Jahre lief es dafür gut."
Verunsicherung an der Börse
Tatsächlich räumen einzelne Banken Schwierigkeiten ein. So hat die Commerzbank nach eigenen Angaben 1,2 Milliarden Euro im amerikanischen Subprime-Markt investiert. Dadurch werde das Ergebnis der Bank im zweiten und dritten Quartal mit jeweils 40 Millionen Euro belastet, sagt ein Sprecher. Auf die Gewinnprognose werde dies aber keinen Einfluss haben, weil der Effekt in anderen Bereichen kompensiert werde.
Entwarnung gibt dagegen die Deutsche Bank. Das größte deutsche Geldhaus konnte heute hervorragende Zahlen vorlegen. Vorstandschef Josef Ackermann zeigte sich von der Krise am amerikanischen Immobilienmarkt unbeeindruckt. Sein Unternehmen, sagte er, sei bei der Übernahme solcher Risiken sehr vorsichtig gewesen. Analysten bemängelten allerdings, dass die Deutsche Bank in einer Telefonkonferenz viele Fragen zu dem Thema offen gelassen habe.
An den Aktienmärkten machte sich heute Verunsicherung breit. Der Dax brach am Morgen um fast 2,5 Prozent ein, allein das Papier der Deutschen Bank verlor bis zu 3,5 Prozent. Auch an anderen europäischen Börsen kam es zu starken Kursverlusten. Zuvor hatte die zehntgrößte US-Hypothekenbank American Home Mortgage Investment mitgeteilt, dass ihre Gläubiger nicht bedient werden könnten.
Staatshilfe für private Zocker?
Derweil hat die US-Krise eine politische Debatte in Deutschland angestoßen. Ist es nötig, dass eine staatliche Bank wie die KfW einer anderen Bank wie der IKB unter die Arme greift - nur weil die sich verzockt hat?
Beim Bund der Steuerzahler ist man jedenfalls entsetzt. Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert - so könne man mit öffentlichen Geldern nicht umgehen. Auch FDP-Finanzexperte Frank Schäffler poltert: "Die Beihilfe der KfW an die IKB ist ein ordnungspolitischer Sündenfall auf Kosten des Steuerzahlers." Die EU-Kommission kündigte an, den Milliarden-Zuschuss der KfW zu untersuchen.
Die Bankenbranche selbst begrüßt dagegen das Engagement der KfW. "Das ist schon okay", sagt ein Interessenvertreter aus dem Bereich der Privatbanken. "Ansonsten wäre der ganze Markt in Schwierigkeiten geraten, und das wäre für den Finanzplatz Deutschland insgesamt problematisch." Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sind Privatbanken wie die Deutsche Bank und die Commerzbank sogar direkt an der Rettung der IKB beteiligt. Es gebe eine "gemeinsame Aktion" mit der KfW, sagte ein Insider.
Laut "SZ" profitieren die Privatbanken allerdings auch vom Eingreifen der KfW. So sollen mehrere große Häuser Millionenbeträge an die IKB verliehen haben. Wäre die IKB zusammengebrochen, hätten also auch andere Institute Geld verloren.
Dass die KfW im Falle eines Falles auch bei anderen Banken einspringt, hält die Branche indes für ausgeschlossen. "Die IKB war ein Sonderfall", sagt ein Lobbyist. "Schließlich ist die KfW bei ihr der Hauptaktionär." Ein ähnliches Vorgehen wäre bei anderen Banken deshalb undenkbar.
Auch die Bundesregierung hält die Probleme bei der IKB für ein "lokales Ereignis". Für eine allgemeine Krise im Bankensektor gebe es keine Anzeichen, sagt ein Sprecher des Finanzministeriums. Auswirkungen auf den Bundeshaushalt habe das Eingreifen der KfW nicht.
Mit Material von Reuters