Zinsentscheidung der US-Notenbank Warum Biden auf dem Beifahrersitz hockt

Während Deutschlands Banken ihre Kunden mit Strafzinsen traktieren, steht in den USA die Zinswende bevor. Für US-Präsident Joe Biden ist das keine gute Nachricht.
Von Ines Zöttl, Washington
US-Präsident Joe Biden muss darauf hoffen, dass Fed-Chef Jerome Powell die Inflation in den Griff bekommt

US-Präsident Joe Biden muss darauf hoffen, dass Fed-Chef Jerome Powell die Inflation in den Griff bekommt

Foto: CNP / MediaPunch / imago images/MediaPunch

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Das letzte Treffen der geldpolitischen Entscheider in diesem Jahr hatte noch nicht begonnen, da flatterte der Fed die nächste Hiobsbotschaft ins Haus: Im November sind die Produzentenpreise im Jahresvergleich um 9,6 Prozent gestiegen – nur einer von vielen Rekorden, die die Inflation jüngst aufgestellt hat.

In seiner Pressekonferenz am Mittwoch mied Fed-Chef Jerome Powell denn auch ein Wort, das in den vergangenen Monaten zu seinem Markenzeichen geworden ist: »vorübergehend«. Der sprunghafte Preisanstieg sei nur ein vorübergehendes Phänomen, ausgelöst durch den Kickstart der US-Wirtschaft und die Lieferengpässe, hatte Powell stets beruhigend versichert. Davon war nicht mehr die Rede. Das »Team Transitory« hat die Segel gestrichen.

Die US-Notenbank wird den Ausstieg aus ihrem Anleihekaufprogramm beschleunigen, mit dem sie die Konjunktur seit Beginn der Pandemie stützt. Sie verdoppelt die Geschwindigkeit des sogenannten Tapering. Damit würde der monatliche Liquiditätsschub von anfänglich 120 Milliarden Dollar schon im März nächsten Jahres auslaufen. Für die Wall-Street-Analysten ist damit klar, dass auch die Zinswende bevorsteht. Diskutiert wird allenfalls noch, wann genau und wie stark die Zinsen im nächsten Jahr steigen werden.

Alle FOMC-Mitglieder erwarten Zinsanhebung

Die jüngste Fed-Wirtschaftsprognose signalisiert, dass die Notenbank die geldpolitischen Zügel heftiger anziehen wird als von den Finanzmärkten erwartet. Demnach dürfte es auf drei Zinserhöhungen um jeweils einen Viertelpunkt hinauslaufen. Im September waren die 18 Mitglieder des Fed-Offenmarktkomitees (FOMC) noch gespalten: Die Hälfte der Geldpolitiker erwartete damals keine Zinserhöhung für 2022.

Nun zeigt der sogenannte dot plot ein völlig anderes Bild: Alle erwarten mindestens eine Anhebung, zwölf gehen sogar von mindestens drei Zinsschritten aus. Und Powell selbst erklärte nach der Sitzung am Mittwoch, dass zwischen dem Ende des Tapering und der ersten Zinserhöhung keine »sehr lange Wartezeit« liegen werde.

»Die Falken strömen zur Fed«, hatte die Ökonomin Diane Swonk vorgewarnt. Sie behielt recht.

Fed-Chef Jerome Powell

Fed-Chef Jerome Powell

Foto: POOL / REUTERS

Powell hat eingestanden, dass er die Inflationsentwicklung unterschätzt hat. Doch mit dem Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik beginnt nun eine Fahrt in riskantes Terrain – und auf dem Beifahrersitz sitzt der amerikanische Präsident. Auf der Wegstrecke drohen gleich zwei Gefahren: Dass der Wagen im Inflationsmorast stecken bleibt – oder ihn die Fed mit überhöhter Geschwindigkeit in den Konjunkturcrash steuert.

In den vergangenen Wochen hat sich US-Präsident Joe Biden nach Kräften bemüht, den Amerikanern die Angst vor einer Wiederholung des Inflationstraumas der Siebzigerjahre zu nehmen. Die Preisentwicklung sei »ein echtes Hindernis auf der Straße« hat er eingeräumt, aber ansonsten gehe es der US-Wirtschaft rundum prima. »Es läuft unglaublich gut.«

Sein Problem: Die Wähler interessiert das nicht. In einer Umfrage sehen nur noch 27 Prozent die Arbeitslosigkeit als gravierendes Problem, trotzdem aber findet mehr als die Hälfte, dass sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert. Die Schuld dafür geben sie dem Oberbefehlshaber: 69 Prozent sind einer anderen Umfrage zufolge mit Bidens Inflations-Politik unzufrieden, selbst bei den Demokraten ist es mehr als jeder Zweite.

Lebensmittel werden teurer – Steaks sogar um 25 Prozent

Tatsächlich sind die Preissprünge längst keine Ausreißer mehr, die nur einzelne Segmente wie Gebrauchtwagen betreffen. Die Unternehmen schlagen flächendeckend auf. Im November waren Lebensmittel um 6,4 Prozent teurer als im Jahr davor, der Frühstücksspeck hat sich um 21 Prozent verteuert, Steaks gar um 25 Prozent. Selbst die Ramschkette Dollar Tree, die ihren Namen davon ableitet, dass jedes Produkt nur einen Dollar kostet, will künftig 25 Cents mehr verlangen. Auch die Löhne steigen.

Nicht nur die Wähler, auch die eigenen Parteifreunde gehen dem Präsidenten von der Stange. Die Demokraten befürchten, dass ihnen die Inflation die Zwischenwahlen  im nächsten Jahr verhageln könnte. Derweil droht Bidens Zwei-Billionen-Dollar-Ausgabenpaket an der Inflationsfrage zu scheitern. Joe Manchin, ohne den es keine Mehrheit im Senat gibt, findet, es sei der falsche Zeitpunkt, die Wirtschaft mit einem Konjunkturprogramm weiter anzuheizen.

Um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, hat Biden strategische Ölreserven freigegeben, seine Regierung beauftragt, sich der Lieferengpässe anzunehmen, und die Verbraucherbehörde angewiesen, mögliche Preiskartelle der Benzinkonzerne zu prüfen.

In der Realität allerdings hat der US-Präsident wenig Einfluss auf die Preisentwicklung. Er kann nur hoffen, dass der Fed-Chef, dem er gerade eine zweite Amtszeit gewährt hat, die Aufgabe gelingt: die Inflation zu zähmen, ohne dabei die Konjunktur abzuwürgen.

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