Mächtige US-Energiekonzerne Götterdämmerung für Big Oil?

Rohre der Alyeska-Ölpipeline in Alaska
Foto: imago images/ArdeaKurz vor ihrem Rauswurf aus dem Weißen Haus versucht die Trump-Regierung Fakten zu schaffen. Das Innenministerium treibt Pläne voran, noch vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten Öl- und Gasbohrrechte im Naturschutzgebiet »Arctic National Wildlife Refuge« in Alaska zu versteigern. Am Montag vollzog die Regierung einen weiteren Schritt in dem Verfahren.
Wahlsieger Joe Biden hat erklärt, mit ihm werde es eine Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in der bislang unberührten Wildnis nicht geben. Doch wenn die US-Regierung erst mal Verträge mit den Konzernen geschlossen hat, dürfte sich das nicht so einfach umkehren lassen.
Mit Donald Trump verliert die Ölindustrie ihren wichtigsten Verbündeten im Weißen Haus. Egal, ob es um Bohrrechte in Öko-Paradiesen oder die Abschaffung von Umweltvorgaben ging, die Regierung stand zu Diensten. Die Demokraten dagegen haben die Energiewende angekündigt: Amerika müsse sich »von der Ölindustrie entfernen«, sagte Biden in der letzten Debatte vor der Wahl – sein Gegner übersetzte das in ein Schreckensszenario für einen der wichtigsten Wirtschaftssektoren Amerikas: »Im Prinzip sagt er, er wird die Ölindustrie zerstören«, wetterte Trump und wandte sich dann direkt an die Wähler in den Bundesstaaten, in denen die Erfindung des Frackings in den vergangenen Jahrzehnten Hunderttausende Jobs geschaffen hat: »Wirst du dich daran erinnern, Texas? Werdet ihr euch daran erinnern , Pennsylvania, Oklahoma, Ohio?«
Genutzt hat es ihm am Ende nichts.
Bricht nun also die Götterdämmerung von Big Oil an?
Bidens Pläne sind ehrgeizig : Bis 2050 sollen die USA klimaneutral werden, Strom soll schon 15 Jahre früher ganz ohne CO₂-Emissionen erzeugt werden. Das ist nur zu schaffen, wenn die fossilen Energieträger Kohle und Öl im großen Stil durch Erneuerbare wie Sonne und Wind ersetzt werden. Entscheidend für die Ölindustrie ist jedoch nicht das Ob – kaum jemand zweifelt an dem Trend – sondern das Wie: Wie lange wird sich der Übergang strecken? Und wie radikal wird die neue Regierung vorgehen?
Je nach eigenem politischen Standort hoffen oder fürchten Beobachter, dass die Regierungsrealität die Programmatik abschleifen wird. Die Energieindustrie zähle darauf, dass der Kongress allzu scharfe Umweltvorgaben verhindern werde, beruhigte Frackingpionier Harold Hamm seine Investoren. »Das ist das Spiel, das wir wieder spielen werden: sie in Schach zu halten«, sagte der Unternehmer, den die Schieferölgewinnung zum Milliardär gemacht hat.
Der ganz große Wurf der Klimaschützer dürfte schon daran scheitern, dass die Demokraten im Senat voraussichtlich die Mehrheit verfehlen werden. Aber selbst in der eigenen Partei gibt es Stimmen, die vor einer Fehde gegen die Ölbarone warnen. Biden hat zwar den Bundesstaat Pennsylvania zurückerobert, in vielen Bezirken aber verbuchten republikanische Politiker Erfolge – auch wegen des Themas Fracking, wie die Befürworter eines moderaten Kurses glauben.
»Die Biden-Regierung wird eine sehr wacklige Koalition zwischen progressiven Umweltschützern und gewerkschaftlich organisierten Arbeitern managen müssen«, gibt der Energieexperte Benjamin Salisbury von Height Capital Markets zu bedenken. Der neue Präsident werde sich deshalb als ein »pragmatischer Umweltschützer « erweisen, sagte Salisbury der Agentur Bloomberg.
Bidens Energieprogramm
In der Prioritätenliste von Biden und seiner Vizepräsidentin in spe Kamala Harris rangiert der Klimaschutz ganz oben – neben den Mammutaufgaben der Pandemiebekämpfung, der Wirtschaftserholung und der Bekämpfung des Rassismus. Doch der künftige Hausherr im Regierungssitz an der Pennsylvania Avenue hat auch signalisiert, dass der Abschied von Kohle und Öl möglichst niemandem wehtun soll.
Anders als die Parteilinke will Biden das Fracking, dem Amerika seinen Aufstieg zum Energieexporteur verdankt, nicht verbieten, sondern nur die Vergabe neuer Förderrechte auf staatlichem Land stoppen. Das würde zwar viele Unternehmen vor allem in New Mexiko treffen , aber das Geschäftsmodell der Branche generell ungeschoren lassen.
Für die Verlierer der Energiewende hält das Programm Milliardenentschädigungen bereit: Zwei Billionen Dollar soll der Staat innerhalb von vier Jahren investieren, um die Umstellung zum Beispiel durch Subventionen für E-Autos zu fördern, um Jobs zu sichern oder neu zu schaffen und betroffenen Kommunen zu helfen.
Der Niedergang der Kohleindustrie dürfte sich in der Ära Biden/Harris beschleunigen. Aber auch Trump hat nicht verhindert, dass die Versorger zunehmend auf Alternativen setzen. Kohle wird in diesem Jahr nur noch einen Anteil von knapp 20 Prozent an der Stromversorgung in den USA haben, verglichen mit rund 50 Prozent im Jahr 2006.
Bidens stärkste Waffe ist die Verschärfung von Klima- und Umweltvorgaben, die sein Amtsvorgänger systematisch aufgeweicht hat. Dazu gehören Abgasstandards für Autos und schärfere Grenzwerte für Methanemissionen. »Aber diese Dinge brauchen Zeit«, warnt der Ölmarkt-Experte Christopher Page von Rystad Energy. Zudem bestehe das Risiko, dass die Erlasse des Präsidenten gerichtlich angefochten werden. Und im Obersten Gericht der USA stellen die konservativen Richter inzwischen eine Mehrheit.
In der Ölbranche wird wohlwollend vermerkt, dass Biden sich für die Technologie der CO₂-Speicherung starkmacht . Von der Möglichkeit der Abspaltung und unterirdischen Lagerung von Treibhausgasen erhoffen sich die Konzerne einen Zeitgewinn.
Biden selbst hat gleich nach dem Fernsehauftritt den Amerikanern beruhigend versichert, dass »wir die fossilen Brennstoffe für lange Zeit nicht loswerden werden« . Es ist genau das, was auch Big Oil hören möchte. Wenn die Politik den Übergang zu Erneuerbaren unterstütze, »ist das gut«, erklärte Total-Chef Patrick Pouyanne. Für den französischen Konzern, der Amerikas größter Flüssiggas-Exporteur ist und in Öl- wie auch Sonnenenergie investiert ist, schaffe das neue Investmentmöglichkeiten in den USA. »Wir heißen diese Politik willkommen«, erklärte Poyanne, mahnte aber zugleich: »Das sind langfristige Trends.«
Die Europäer bereiten sich anders als die US-Riesen Exxon Mobil und Chevron längst entschlossen auf die Energiewende vor. So will BP die Öl- und Gasproduktion innerhalb der nächsten Dekade um 40 Prozent reduzieren und die Investitionen in Erneuerbare auf jährlich fünf Milliarden Dollar verzehnfachen.
Für viele der Multis könnte sich Bidens Amtszeit als »geradezu perfektes Szenario« erweisen, sagt Experte Page voraus. Denn die Konzerne kämen mit einer schärferen Regulierung eher klar als viele kleinere Konkurrenten. Gleichzeitig würde das von den Demokraten angestrebte neue Billionen-Konjunkturprogramm die Wirtschaft und damit die Nachfrage nach Öl und Gas befeuern.
Trotzdem gebe es einen erheblichen Risikofaktor für die Branche, die auf steigende Energiepreise hofft: Biden hat angekündigt, das von Trump aufgekündigte Atomabkommen mit Iran neu zu beleben. Hebt Amerika die Sanktionen auf, dann könnte Iran binnen weniger Monate seine Erdölexporte massiv erhöhen . »Ich will nicht das Wort katastrophal verwenden«, sagt Page: »Aber der Effekt für den Markt wäre gewaltig.«