Venezuela Warum Hugo Chávez auf seinem Öl sitzen bleibt

Venezuela könnte vor einer paradiesischen Zukunft stehen. Das Land verfügt nach eigenen Angaben inzwischen über die größten Ölreserven der Welt. Doch der von Präsident Chávez heruntergewirtschaftete Staat ist technisch nicht gerüstet - und für ausländische Experten alles andere als attraktiv.
Von Tobias Käufer
Ölförderung vor der Küste Venezuelas: Die Industrie schwächt sich selbst

Ölförderung vor der Küste Venezuelas: Die Industrie schwächt sich selbst

Foto: ? STRINGER Venezuela / Reuters/ REUTERS

Der Moment für einige pathetische Worte war gekommen: "Für den Bundesstaat Bolívar ist es ein Grund, stolz zu sein. Denn es ist diesem Land gelungen, die erste komplett venezolanische Plattform zu bauen", sagte Francisco Rangel Gomez vor ein paar Wochen der staatlichen Nachrichtenagentur AVN. "Dies ist eine großartige Leistung der Ingenieurskunst in der Exploration und Produktion", lobte der Gouverneur.

Es ist ein kleiner, aber dennoch bemerkenswerter Erfolg der Ölindustrie des südamerikanischen Landes. Und er ist bitter notwendig, wenn die ungeheuren Ölvorkommen, die im venezolanischen Territorium vermutet werden, tatsächlich irgendwann einmal zu Geld gemacht werden sollen. Venezuela braucht vor allem internationales Know-how. Zuletzt schwächte sich die Ölindustrie des Landes vor allem selbst.

Seit 2003 soll der staatliche Ölkonzern von Petróleos de Venezuela (PDVSA) mehr als 20.000 Arbeiter verloren haben, berichtete kürzlich die BBC. Die meisten wurden zwangsweise verabschiedet, weil sie sich in Demonstrationen gegen den Staatspräsidenten Hugo Chávez gewandt hätten, behaupten oppositionelle Kreise. Neben der Kritik am politischen Konzern waren viele Arbeiter unzufrieden mit den Arbeitsabläufen im Unternehmen. Die Gewerkschaft der Ölarbeiter, normalerweise auf der Seite der sozialistischen Regierung des Präsidenten, stellte sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen auf die Seite der Arbeiter.

Viele der Fachkräfte haben im benachbarten Kolumbien eine neue berufliche Heimat gefunden. "Just in dem Moment, als die Regierung die Türen für ausländische Investoren geöffnet hatte, fehlten nach dem Massenexodus die Fachkräfte", berichtet der ehemalige PDVSA-Direktor Luis Pacheco, der mittlerweile für ein kolumbianisches Unternehmen arbeitet.

Fast 300 Milliarden Barrel Reserven

Nicht nur die konservative Presse in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá bohrt beim stets kritisch betrachteten Nachbarn Venezuela genüsslich in der Wunde: "Der venezolanische Verlust macht Kolumbien reich", kommentiert die einheimische Tageszeitung "La Verdad" aus der ölreichen Provinzhauptstadt Maracaibo die im vergangenen Monat veröffentlichten Zahlen mit Blick auf den Exodus.

Die Schwierigkeit, qualifiziertes Personal zu finden oder zu halten, ist wohl das größte Problem des venezolanischen Konzerns, der die Erwartungen erfüllen muss, die jüngste Zahlen der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) schüren. Venezuela habe Saudi-Arabien an der Spitze der Ölländer abgelöst und sei nun der Staat mit den größten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt, melden deren Statistiker. Die verzeichneten Vorkommen in dem südamerikanischen Land stiegen im Vergleich zum Vorjahr gar um mehr als 40 Prozent.

Insgesamt verfügt Venezuela laut dem Opec-Länderprofil für das Jahr 2010 über 296,5 Milliarden Barrel an Reserven, der bisherige Spitzenreiter Saudi-Arabien kann auf 264,5 Milliarden Barrel zurückgreifen. Noch im Jahr 2009 gab die Opec die Vorräte Venezuelas mit nur 211,17 Milliarden Barrel an.

Brutale Hauptstadt

Neben der Tatsache, dass die Opec die Zahlen veröffentlicht, die ihr die Mitglieder melden, hat die Rechnung noch einen Haken: Die Opec addiert nun auch solche Ölvorkommen hinzu, die nur schwer und mit hohem technischen und finanziellen Aufwand on- und offshore gefördert werden können. Der finanzielle Aufwand dürfte das weitaus kleinere Problem sein, nachdem sich der Ölpreis wieder über der magischen Grenze von 100 Dollar eingependelt hat.

Wesentlich schwieriger ist es, die dringend benötigten ausländischen Experten zu einem Engagement in Venezuela zu überreden. Das Land ist gefährlich, die Hauptstadt Caracas zählt zu den brutalsten Hauptstädten des Kontinents. Sogenannte Express-Entführungen mit dem Ziel, die Kreditkarten von Ausländern zu plündern, sorgen bei gut bezahlten Gastarbeitern für Angst und Schrecken.

Diese Probleme gibt es zwar auch im benachbarten Kolumbien, doch hier scheidet der politische Faktor aus. Der überwiegende Teil der weltweit beschäftigen Fachkräfte ist in streng kapitalistisch organisierten Unternehmen tätig. Mit dem Sozialismus Venezuelas tut sich der klassische Facharbeiter aus der Exploration und Produktion aus der in der Regel konservativen Branche schwer. Und die Szene ist eng vernetzt, die Fachleute in den Ölunternehmen rund um den Globus kennen die Bedingungen bei PDVSA genau.

Gouverneur Francisco Rangel Gomez setzt deswegen auf die Evolution der einheimischen Kräfte: "Wir haben einen großen revolutionären Stolz, weil hier venezolanische Männer und Frauen arbeiten, die bewiesen haben, dass sie die Kapazität für eine großartige Arbeit haben. Jetzt müssen wir nicht länger Plattformen importieren, sondern können sie in unserem Land selbst produzieren." Venezuela wird noch viele dieser Erfolge brauchen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren