Zur Ausgabe
Artikel 30 / 94

HANDEL Viel zu anständig

Die großen Warenhäuser und Lebensmittel-Ketten nisten sich bei Einkaufsgenossenschaften ein. Das Kartellamt will die Praxis verbieten, da sie den Handelsriesen noch mehr Vorteile verschafft.
aus DER SPIEGEL 45/1982

In der Berliner Milljö-Kneipe »Bei Kalle« gab es Buletten, Bratkartoffeln und Bier. Deftig war auch die Ansprache von Gastgeber Wolfgang Kartte. »Wie könnt ihr euch«, wunderte sich der Präsident des Bundeskartellamts, »gegenseitig so auspressen. Ihr macht euch die ganze Branche kaputt.«

Angesprochen war ein Dutzend Gäste vorwiegend aus dem Lebensmittelhandel. Mit Schleuderpreisen, so Kartte, würden sie einen ruinösen Verdrängungswettbewerb inszenieren.

Am Ende, warnte der Kartellamtspräsident, blieben fünf oder sechs bundesweit operierende Konzerne übrig. Zehntausende von kleinen Händlern müßten schon bald aufgeben, weil sie bei den vielen Sonderangeboten unter Einkaufspreis, die von den Großen offeriert würden, nicht mithalten könnten.

Die Chefs von Rewe und Edeka, von Tengelmann und Metro, Aldi und Co op hörten die Mahnung nicht gern. Keiner der versammelten fünf Kaufleute, die zusammen rund 90 Milliarden Mark Umsatz repräsentierten, versprach dem obersten Kartellwächter mehr Zurückhaltung bei seinen Geschäftspraktiken. Die Kleinen, das mußte Kartte erkennen, werden zukünftig eher noch rabiater rausgeboxt. Denn der Verdrängungswettbewerb findet gegenwärtig mit verschärftem Tempo statt.

Die meisten der kleinen Lebensmittelhändler gehören einer Einkaufsgenossenschaft oder einem Einkaufskontor an. Über diese Gesellschaften decken sich Zehntausende von Händlern günstig vor allem mit Lebensmitteln ein - günstiger oft noch als die meisten Verbrauchermärkte oder Warenhäuser.

Diese billigen Einkaufsquellen erschließen sich nun auch die Großen der Branche. Der Zugang ist ganz einfach: Ein Handelsriese nach dem anderen wird Mitglied einer Genossenschaft.

Die schlagkräftigste Gruppe entsteht um die Genossenschaft Rewe. Ihr sind jüngst der drittgrößte Warenhauskonzern Hertie, die saarländische Kaufhaus- und Supermarktgruppe Asko und jetzt auch der Kölner Lebensmittelfilialist Stüssgen beigetreten.

Die große deutsche Verbrauchermarkt-Kette Massa aus dem pfälzischen Alzey (drei Milliarden Mark Umsatz) will bei Co op unterschlüpfen. Der gewerkschaftseigene Handelskonzern bringt es auf einen Umsatz von immerhin elf Milliarden Mark. Massa-Konkurrent Wertkauf aus Karlsruhe trat der Selex/ A&O bei. Auch die Traditionskonzerne des Handels, die Warenhäuser, drängen in die Einkaufsklubs.

Einige sind schon drin. Branchen-Primus Karstadt trat dem Frankfurter Einkaufskontor bei. Der Kölner Kaufhof nimmt die Dienste gleich von zwei Organisationen in Anspruch - dem Tania-Kontor in Hamburg und der Handelsketten-Handels GmbH in Köln. »Der genossenschaftliche S.78 Gedanke«, kritisierte der zuständige Kartellamtsdirektor Werner Schultes, »wird durch solche Bündnisse geradezu pervertiert.«

Nach den Buchstaben des Kartellrechts können die Berliner Beamten wenig gegen die seltsamen Zusammenschlüsse unternehmen. Die Genossenschaften sind vom Kartellverbot ausgenommen, weil sie ursprünglich als Selbsthilfe-Organisationen gerade zum Schutz der kleinen Händler gegen die mächtigen Konzerne gegründet wurden.

Natürlich könnten die Altgenossen selbst mehrheitlich verhindern, daß Handelsgiganten wie Hertie oder Massa Mitglied ihrer Genossenschaften werden. Doch da die Neuen ihre Organisationen noch mächtiger machen, da womöglich dann noch günstigere Einkaufspreise rausspringen, stimmen die bisherigen Genossen dem Beitritt zu.

Besonderer Weitblick ist in solchem Handeln nicht zu erkennen. Der vermeintliche Größen-Vorteil gegenüber konkurrierenden Genossenschaften ist bald dahin; denn dort werden auch Handelsriesen aufgenommen. Am Ende bleibt nur eins: Die Kaufladen-Besitzer haben ihren gewichtigsten Pluspunkt gegenüber den Verkaufsgewaltigen aufgegeben; die können nun genauso billig ordern wie sie selbst.

Die Aufnahme der Großen in die Einkaufsgesellschaften der Kleinen wird nicht nur dazu führen, daß sich die Reihen der Einzelhändler noch schneller als bisher lichten. Die neue Konzentrationswelle dürfte auch den Produzenten schwer zusetzen.

Schon jetzt ordern in der gesamten Lebensmittelbranche nur 200 Einkäufer rund 80 Prozent des Umsatzes. Wenn beim sogenannten Jahresgespräch der Rewe die Lieferanten in Köln vorsprechen, dann diktieren einige Sparten-Einkäufer ganzen Branchen die Preise.

Den rüden Umgang mit den Lieferanten hat der Cash & Carry-Großhändler Metro vorgemacht, der wie kein anderer Konzern für Pressions-Methoden bekannt ist.

Seit Jahren versuchen die Kartellbeamten, gegen die Knebelungstechniken der großen Handelskonzerne anzugehen. Das geschah schon in der Vergangenheit ohne sonderlichen Erfolg und dürfte zukünftig, wenn die Riesen in den Genossenschaften dabei sind, noch aussichtsloser sein.

Die absehbaren Folgen des jüngsten Konzentrationsschubs im Handel vor allem auf die Branche der Lebensmitteleinzelhändler wie der Hersteller veranlaßt denn auch Präsident Kartte, demnächst einzuschreiten.

Obwohl die Kartellbeamten keine unmittelbare gesetzliche Handhabe besitzen, wollen sie die Beitritte der Handelsgrößen in die Einkaufsgesellschaften verbieten. Diese Mitgliedschaften seien, so die Kartellamtsjuristen, nichts weiter als eine Umgehung des Fusionsverbots. Kein Umsatz-Milliardär dürfe Genosse sein, lautet das Berliner Verdikt, das sicherlich noch viele Richter und Rechtsanwälte beschäftigen wird.

Nur der mittelständische Filialist Stüssgen (609 Millionen Mark Umsatz) soll bei Rewe bleiben dürfen. Die schon gezeichneten Anteile an der Rewe-Zentrale in Höhe von 50 000 Mark würden der Kölner Gruppe Einkaufsvorteile von mehreren Millionen Mark bringen. Stüssgen-Vorstand Arnt Klöser: »Gerade soviel, um mit den Großen konkurrieren zu können.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 94
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten