SCHALLPLATTEN Viel zu groß
Hoch waren die Erwartungen der Manager in den Schallplattenkonzernen nicht gesteckt, als sie vor gut einem Jahr mit der Produktion von silberglänzenden Superscheiben für den knack- und knisterfreien Musikgenuß begannen. Die Zeit, hieß es allgemein, sei noch nicht
reif für jene neue Wiedergabe-Technik, die unter dem Kürzel Compact Disc, kurz CD, lief.
»Wir werden da«, stöhnte seinerzeit ein führender deutscher Platten-Manager, »von der Elektronikindustrie in ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang gehetzt.«
Inzwischen ist der Ausgang des Abenteuers so ungewiß nicht mehr. Die Branche, so scheint's, hat sich getäuscht: Die neuen Platten (Werbeslogan: »Die hörbare Überlegenheit"), die von Laserstrahlen abgetastet werden, sind ein Erfolg.
Da entwickle sich, formuliert Teldec-Sprecher Günter Bräunlich noch vorsichtig, »ein recht interessanter Markt«. Die Laserplatte, glaubt Wolfgang Breuer, CD-Manager bei der Bertelsmann-Tochter Ariola in München, »hat das Zeug dazu, in ganz kurzer Zeit zu einem echten Verkaufshit zu werden«.
Mehr als 70 000 Bundesbürger, darunter zahlreiche gutbetuchte Ältere, legten sich seit März 1983 einen Laser-Plattenspieler zu. Die neue Technik, meint Dieter Thomsen, CD-Experte bei der Kölner Sony-Filiale, »ist schon viel zu groß, um noch sterben zu können«. Und seit viele Laserspieler für weniger als tausend Mark erhältlich sind, ist der Abstand zu den herkömmlichen Plattenspielern auch deutlich geschrumpft.
Die meisten Käufer, so haben Umfragen ergeben, sind mit ihrer Neuanschaffung zufrieden. Sie rühmen vor allem den Bedienungskomfort und die unerhörte Klangqualität. Tiefe, satte Bässe, klare, unverzerrte Höhen und die Rauschfreiheit werden gelobt.
Ein Reinfall wie Anfang der Siebziger, als die Musik aus vier Lautsprechern ("Quadrophonie") kaum Käufer fand, scheint diesmal ausgeschlossen. Immerhin verkauften die Plattenhändler im Einführungsjahr in Deutschland rund 1,3 Millionen Compact-Platten. Dieses Jahr könnte der Absatz auf zwei Millionen steigen.
Zwar sind die Auflagen der einzelnen Titel im Vergleich zu Bestsellern auf der schwarzen Scheibe noch mickrig. Doch Erfolgsscheiben wie »Eye in the sky«, gespielt vom britischen Soundtüftler Alan Parsons, »Carambolage« von Peter Maffay oder Michael Jacksons »Thriller« bringen es in Deutschland schon auf Verkaufszahlen zwischen zehn- und zwanzigtausend Stück.
Auch die anfänglich überrepräsentierte Klassik hat ihre Hits. Bachs »Brandenburgische Konzerte« in der Version des Originalklang-Meisters Nikolaus Harnoncourt fanden schon fast zehntausend Käufer. Die auf tausend Exemplare limitierte Erstauflage von Wagners Mammutwerk »Der Ring des Nibelungen«, von Ariola auf insgesamt 18 Silberscheiben zum stolzen Preis von rund 700 Mark herausgebracht, war innerhalb von vier Wochen ausverkauft.
Dabei sind allzu viele Lieblingsstücke der Pop- und Klassikgemeinde noch gar nicht auf Silberscheibe greifbar. Immer noch fehlen im deutschen Katalog Millionen-Seller wie die Beatles oder die Pop-Gruppe Pink Floyd. Die ersten beiden Pink-Floyd-Alben kommen Ende Juni in die Geschäfte; Beatles-Fans müssen noch warten.
Im Klassik-Bereich sind gängige und knallige Stücke völlig überrepräsentiert. So gibt es von Vivaldis »Jahreszeiten«-Zyklus schon mehr als ein Dutzend CD-Einspielungen, Ravels »Bolero« und Gustav Holsts »Planeten« sind je ein halbes dutzendmal in den Katalogen zu finden.
Die Musik-Fans maulen zwar über das unzureichende Angebot. Dennoch kaufen sie weit mehr Scheiben, als sich die Industrie erhofft hatte. Statt acht, wie von den Marktforschern erwartet, legte sich jeder Besitzer eines CD-Spielers bisher - so das Ergebnis einer Umfrage
des Fachblatts »Audio« - rund 24 Scheiben im Wert von fast tausend Mark zu.
Die CD könnte damit der Musikindustrie, die in letzter Zeit mit Hits nicht gerade gesegnet war, über die Flaute helfen. Viele Kunden kaufen nicht nur die echten Neuerscheinungen. Sie wollen ihre Lieblingsmusik, die sie seit Jahren im Plattenregal stehen haben, nun noch einmal als CD-Version haben. Mit diesen Produktionen, die sich längst amortisiert haben, macht die Plattenindustrie das große Geschäft.
Doch trotz des überraschend guten Starts wollen die meisten Plattenfirmen ihre Produktion noch nicht so bald auf den neuen Tonträger umrüsten. Sie scheuen die hohen Investitionen und hoffen auf noch rentablere Produktionsverfahren. Eine neue CD-Fabrik ist nicht unter 20 Millionen Mark zu haben. Produziert werden die Laserplatten ähnlich wie Computer-Chips in absolut staubfreien Räumen. Dennoch muß in fast allen Fabriken noch jede dritte CD als Ausschuß aussortiert werden.
In Europa beschränkte sich die Produktion der Laserscheiben zunächst auf das Polygram-Werk in Hannover-Langenhagen. Doch als immer mehr Plattenfirmen ihre CDs in Hannover pressen lassen wollten, war das 60 Millionen Mark teure Werk bald überlastet. Trotz Dreischicht-Betrieb und schnellem Ausbau der Preßanlagen - die Jahreskapazität liegt jetzt bei fast 15 Millionen Platten - mußten die Polygram-Kunden lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Die Konkurrenz in Japan wußte die Situation zu nutzen. Innerhalb weniger Monate stampften die Japaner sechs CD-Werke aus dem Boden. Auch Unternehmen, die mit dem Plattengeschäft nur wenig zu tun hatten, sahen die Chance für schöne Gewinne. So legte sich der Matsushita-Konzern gleich zwei Preßwerke zu.
Die größte Fabrik in Japan baute der Elektrokonzern Sanyo, der mit einem Jahresumsatz von rund 13 Milliarden Mark im Mittelfeld seiner Branche rangiert. Das Sanyo-Werk, mit einer Jahreskapazität von 8,5 Millionen CDs an zweiter Stelle hinter dem Polygram-Werk, preßt ausschließlich Platten für andere Firmen. An Kunden, darunter Ariola, Teldec und Intercord, mangelt es nicht.
Der massive Vorstoß der Japaner hat inzwischen dazu geführt, daß die CD-Preise deutlich gefallen sind. In Hamburg liegt der Durchschnittspreis für eine Pop-CD mit 29 Mark schon um zehn Mark unter dem von vor einem Jahr. Seit Anfang Juni sind einzelne Titel im Sonderangebot sogar schon für 19,90 Mark zu bekommen.
Bis Ende des Jahres, so vermuten Experten, werden in dieser Preisklasse nicht nur einzelne Sonderangebote zu haben sein. Und dann, ahnt EMI-Manager Wilfried Jung, »geht das Geschäft erst richtig los«. Doch das machen erst mal die Japaner.