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Automobilindustrie Viele Fronten

Im Rechtsstreit Opel/VW steht eine erste Einigung bevor. Doch die eigentliche Auseinandersetzung um den Vorwurf der Industriespionage geht weiter.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Fritz Traub, Richter am 6. Zivilsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts, war außerhalb der Mainmetropole bislang kaum bekannt. Wie sollte er auch. Die Fälle, die Traub verhandelte, waren selten spektakulär.

Das hat sich in der vergangenen Woche geändert. In einem Verfahren von Opel gegen Volkswagen-Chef Ferdinand Piech und den umstrittenen VW-Manager Ignacio Lopez gelang dem Richter, was lange undenkbar schien: Er drängte die beiden Autokonzerne, die sich seit Monaten erbittert bekämpfen, zu einem Vergleich, der in dieser Woche besiegelt werden soll.

Volkswagen ist damit einverstanden, daß vier der insgesamt sieben mit Lopez von General Motors (GM) und Opel zu Volkswagen gewechselten Manager für acht Monate lang nicht mehr ihren bisherigen Jobs nachgehen dürfen. Im Gegenzug soll Opel darauf verzichten, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, weil Volkswagen die ehemaligen GM- und Opel-Mitarbeiter nach Ansicht der Rüsselsheimer wettbewerbswidrig abgeworben hat.

Grundlage des Rechtsstreits der beiden Autofirmen ist das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), das schwerwiegende Verstöße gegen die guten Sitten unter Strafe stellt. Die Abwerbung einer kompletten Truppe hochspezialisierter Manager bei einem Konkurrenten gilt als gezielte Schwächung des Wettbewerbers und ist unter Umständen gesetzeswidrig.

Einen solchen Verstoß gegen das UWG sah Opel gegeben, nachdem Lopez im März dieses Jahres unter mysteriösen Umständen zu Volkswagen gewechselt war und ihm kurz darauf gleich sieben seiner engsten Mitarbeiter folgten. GM-Europa-Chef Louis Hughes forderte deshalb ein Beschäftigungsverbot für die Lopez-Truppe bei Volkswagen.

Das Frankfurter Verfahren über den Managerwechsel ist ein Randereignis in einer Auseinandersetzung zweier Weltkonzerne, die es so bislang noch nicht gab: Der Hauptstreit zwischen den beiden Firmen dreht sich um den Vorwurf, Lopez und seine Mannen hätten beim Wechsel zu Volkswagen geheime Opel- und GM-Unterlagen gleich kistenweise mitgenommen und einen der schwersten Fälle von Industriespionage inszeniert.

Volkswagen-Manager mühen sich eifrig, der Frankfurter Vergleichsverhandlung eine höhere Bedeutung beizumessen. Sie verbreiten die Zuversicht, nun den gesamten Streit mit Opel auf dem Verhandlungsweg beilegen zu können. Mit dieser Einschätzung allerdings liegen die Wolfsburger daneben. Dem verdächtigen VW-Vorstand Ignacio Lopez droht auch künftig gleich von drei Seiten Ungemach.

Die Darmstädter Staatsanwaltschaft hat Ende August bei einer Durchsuchung in der Wolfsburger Konzernzentrale und in einigen Managerwohnungen Computer und stapelweise Disketten beschlagnahmt. Die Auswertung kann noch Monate dauern. Aber schon jetzt sollen EDV-Spezialisten des hessischen Landeskriminalamts erste Hinweise darauf gefunden haben, daß sich Opel-Daten in den VW-Disketten befinden könnten.

Mehr noch als den Ausgang der Darmstädter Ermittlungen fürchten VW-Manager eine Strafverfolgung durch amerikanische Ermittlungsbehörden. Das FBI und das Justizministerium in Washington sind mit ihren Ermittlungen offenbar schon weiter als die Staatsanwälte in Hessen. Inzwischen sollen die US-Fahnder herausgefunden haben, daß vom Sitz der GM-Zentrale in Detroit aus mehrfach Material nach Wolfsburg geschickt wurde.

Bereits die ungenehmigte Ausfuhr von Firmenunterlagen ist nach amerikanischen Gesetzen strafbar. Das Justizministerium in Washington hat eine Grand Jury berufen, die derzeit über eine Anklage gegen Lopez und seine Helfer berät.

Sogar die friedliche Einigung von Frankfurt könnte für Lopez noch böse Folgen haben. Die VW-Anwälte hatten dem Oberlandesgericht eine umfangreiche eidesstattliche Versicherung des Spaniers überreicht. Darin räumt Lopez ein, rund sechs Wochen vor seinem Wechsel zu VW Fotos des geplanten neuen Vectra angefordert und erhalten zu haben: _____« Ich erinnere mich, daß ich in Zürich Anfang Februar » _____« 1993 die Bilder von Herrn » _____« Heuss erhielt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es ein » _____« Bild oder sechs Bilder waren. »

Diese Aussage steht in krassem Widerspruch zu einer eidesstattlichen Erklärung von Lopez gegenüber dem Hamburger Landgericht, mit der er eine Gegendarstellung gegen die SPIEGEL-Titelgeschichte »Der Skrupellose« belegt hatte: _____« Ich habe keine Fotos des neuen Vectra erbeten oder » _____« erhalten. »

Später bemühte sich ein Lopez-Anwalt, die gefährliche Aussage umzudeuten. Lopez habe lediglich bestreiten wollen, die Fotos Anfang März erhalten zu haben.

Da aber auch andere Behauptungen von Lopez in krassem Widerspruch zu den Aussagen von Opel-Mitarbeitern stehen, ermittelt nun die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen »des Verdachts falscher Versicherungen an Eides Statt«.

Bei so vielen Gefahren an so vielen Fronten war dem Volkswagen-Konzern daran gelegen, wenigstens das Verfahren um ein mögliches Beschäftigungsverbot in Frankfurt schnell beizulegen. Besonders Aufsichtsratsvorsitzender Klaus Liesen drängte auf eine friedliche Übereinkunft.

Die Manager Jose Manuel Gutierrez, Hugo van der Auwera, Francisco GarcIa Sanz und Jorge Alvarez-Aguirre sollen nun acht Monate lang bei Volkswagen nicht mehr als Einkäufer arbeiten wie zuvor bei Opel und GM. Sie sollen in andere Abteilungen des Konzerns versetzt werden.

General Motors und Opel bestehen auch darauf, daß VW-Vorstandschef Ferdinand Piech Abbitte leistet. Piech hatte die Auseinandersetzung als Krieg bezeichnet und dem Konkurrenten unterstellt, er könnte Beweise manipuliert haben, um die Lopez-Mitarbeiter der Industriespionage zu verdächtigen.

Die wichtigste Gegenleistung, die Volkswagen dafür bekommen soll: Opel verzichtet auf Schadensersatzansprüche wegen der Abwerbung seiner Einkaufstruppe.

Damit haben die Rüsselsheimer allerdings die wesentlichen Forderungen nicht aufgegeben. Wenn ein Gericht in Deutschland oder in den USA Lopez und seine Mannen wegen Industriespionage verurteilt, dann kann General Motors immer noch Ansprüche wegen dieses Vergehens gegen VW geltend machen.

Und das könnte, vor allem in den USA, höchst schmerzhaft für Volkswagen werden. Dort drohen Schadensersatzklagen über mehr als eine Milliarde Mark. Y

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