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VERSICHERUNGEN Vieles ungewöhnlich

Munter geht es bei der Bonner Versicherungsgruppe Herold zu. Jetzt soll der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende auf 20 Millionen Mark Schadenersatz verklagt werden. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Arglos empfing Gerhard Kausch einen alten Bekannten aus Köln. Der Aufsichtsratschef des Versicherungskonzerns Deutscher Herold erwartete ein Routinegespräch unter Kollegen.

Doch der Gast, Wilhelm Sobota von der Dresdner Bank, war nicht zum Plausch aufgelegt. Er kam in dienstlicher Mission. »Ich soll Sie auffordern«, sprach der Bankdirektor, »sofort Ihr Büro zu räumen.«

Als der verdutzte Kausch seinen Mitkontrolleur im Herold-Aufsichtsrat nach Gründen fragte, bekam er nur eine ausweichende Antwort. Der Großaktionär, so Sobota, bestünde »kategorisch darauf«, daß Kausch aus dem Büro, das ihm als Herold-Aufsichtsratschef zustand, ausziehe.

Nach Sobotas Auftritt Ende Januar gab es für Kausch noch einige Überraschungen mehr. Erst verlor er sein Amt als Chefaufseher, dann büßte der 63jährige seine mit 600 000 Mark dotierte Position als Chefberater der Herold-Gruppe ein. Schließlich wurden ihm auch noch seine gesamten Pensionsansprüche aberkannt.

Es sollte für Kausch noch dicker kommen. Der Vorstand des Herold-Konzerns will gegen ihn nun gerichtlich vorgehen. Weil Kausch seine Aufsichtsverpflichtungen im Konzern vernachlässigt haben soll, droht ihm nun eine Klage auf Schadenersatz - in Höhe von 20,592 Millionen Mark.

Kausch habe, heißt es in der vorbereiteten Klagebegründung, die Konzern-Tochter Herold Rückversicherungs-AG an den Rand des Konkurses gebracht. Dem einstigen Chefberater und Aufsichtsratsvorsitzenden werden »gravierende Fehlentscheidungen und Versäumnisse« vorgeworfen.

Der Fall Kausch, bislang nur Herold-Insidern bekannt, ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmalig. Selbst bei krassen Fehlern ist bislang noch kein Aufsichtsrat in der Bundesrepublik zur Regreßzahlung herangezogen worden.

Der Deutsche Herold ist nicht nur im Umgang mit seinem Aufsichtsratsvorsitzenden eine Ausnahme. Beim achtgrößten deutschen Lebensversicherer ist vieles ungewöhnlich. Wohl nur selten gab es irgendwo in der Versicherungsbranche eine solche Anhäufung von Management-Fehlern wie in dem Bonner Assekuranz-Konzern.

Bis Mitte der 70er Jahre noch war es mit der Firma stetig aufwärtsgegangen. In nur einem Jahrzehnt hatte der einstige Generaldirektor Willy Günther die ehemalige Sterbegeldkasse zu einem der führenden Versicherungskonzerne gemacht. Als Günther, der Schwiegersohn des Gründers Herbert Worch, 1976 starb, häuften sich die Pannen.

Es war der Geschäftszweig Rückversicherung, der den Konzern schwer in die Klemme brachte.

Die Rückversicherung ist zwar ein riskantes Geschäft; mit Glück und Geschick läßt sich dabei aber auch viel Geld verdienen. Bei großvolumigen Prämienabschlüssen scheuen viele Versicherungskonzerne, das Risiko allein zu tragen. Sie beteiligen daran sogenannte Rückversicherer, die dafür einen Teil der Prämien und oftmals hohe Provisionen kassieren.

Beim Herold lief das Rückversicherungsgeschäft bombig an. Ein Jahr nach der Gründung meldete der Vorstand 1976 ein Prämienaufkommen von 12,7 Millionen Mark. Bis 1980 konnte die Herold-Rück ihr Prämienvolumen auf 129,3 Millionen Mark steigern.

Gerade die hohe Abschlußquote der Herold-Tochter ist es, die nun die Kläger als Beweis für das Versagen des langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Kausch heranziehen. Kausch habe, so die Klageschrift, »die Zügel in einer schwer nachvollziehbaren Weise schleifen« lassen.

Mißmanagement allerdings wäre zunächst einmal bei den Vorstandsmitgliedern der Rückversicherung zu orten, die ihr Geschäft reichlich unbekümmert betrieben.

Die meisten Abschlüsse für Herold erzielten Agenturen in Europa und Übersee. In Paris akquirierte im Auftrag Herolds die Agentur Lartisien, in London schafften Mallet und Hazeltine ran, selbst auf den Bermudas hatten die Bonner eine Adresse - die Agentur Re International. In den USA bauten die rheinischen Manager Geschäftsbeziehungen zu den Versicherungskonzernen US Fire, Admiral und Shand Morahan auf.

Doch wohl zu keiner Zeit hatten die Top-Leute bei der Herold-Rückversicherung einen vollständigen Überblick über ihre Auslandsgeschäfte. Weil die Vorstände der Rückversicherungs-AG keine Fremdsprachenkenntnisse besaßen, konnten sie die englisch oder französisch abgefaßten Agenturverträge nicht verstehen. Auf eine Übersetzung legten sie keinen Wert.

Offensichtlich entging den Managern dabei, daß sie sich häufig auf allzu riskante Abschlüsse einließen.

Die Agenturen achteten natürlich nicht auf die Risiken, sie sahen nur darauf, daß Verträge über möglichst hohe Summen abgeschlossen wurden. Denn den Vermittlern kam es allein auf die Provision an.

»Kein ordentlicher Geschäftsleiter eines Rückversicherers«, schreibt in seiner Klageschrift gegen Kausch der Bonner Anwalt Hans Dahs, hätte solche Abschlüsse akzeptiert.

Im siebenten Geschäftsjahr war die Herold-Tochter so gut wie pleite. Verluste über fast 60 Millionen Mark hatten sich 1982 angehäuft. Die Konzern-Mutter mußte einspringen und den Verlust abdecken.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Kausch dürfte für diese Schieflage schwerlich haftbar zu machen sein. Er allein hat den Vorstand immer wieder vor zu riskanten Geschäften gewarnt. Die Herold-Aktionäre seien, stellte er in einer Ratssitzung fest, »an einer Ausweitung des Rück-Geschäftes nicht interessiert«. Sonst würde Herold »Haus und Hof aufs Spiel setzen«. Es gelte, solide Geschäfte zu zeichnen. Große Abschlüsse müßten künftig mit dem Aufsichtsrat abgestimmt werden.

Im Juli 1979, nach einem Gespräch mit Ernst Tanner, Direktor bei der Schweizerischen

Rückversicherungs AG, warnte der Chef-Kontrolleur seine Manager erneut, diesmal schriftlich. Um das internationale Rückversicherungsgeschäft, berichtete Kausch nach seiner Rückkehr aus Zürich, sei es schlecht bestellt. Die Beurteilung von Tanner, so Kausch, »halte ich für unser Engagement für sehr, sehr wichtig«.

Die Herold-Manager taten das offenbar nicht. Sie machten so weiter wie bisher.

Die Kläger werfen Kausch nun vor, er hätte dann eben das Management auswechseln müssen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, heißt es in der Klageschrift, habe »für einen personell und fachlich qualifizierten Vorstand zu sorgen, die Geschäftsführung laufend zu überwachen, auf die Geschäftsführung Einfluß zu nehmen und notfalls Vorstandsmitglieder abzuberufen«.

Ihre Ansprüche leiten die Kläger aus dem Aktiengesetz ab. Nach Paragraph 93 sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, »der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet«. Nach Paragraph 116 gilt die Bestimmung auch für Aufsichtsräte.

»Grundsätzlich haften«, so die Klageschrift, »zwar alle Mitglieder des Aufsichtsrates für die Pflichtverletzungen dieses Gremiums.« Kausch aber habe von allen Herold-Räten die meiste Berufserfahrung gehabt und »laufende Kontakte mit führenden Rückversicherern« unterhalten.

Der beschuldigte Herold-Kontrolleur hat in der Branche einen Namen. Vor seinem Eintritt in den Bonner Konzern gehörte er acht Aufsichtsräten und zwei Beiräten in der Assekuranz an. Gleichzeitig war Kausch Finanzchef der Düsseldorfer Versicherungsgruppe Arag.

Als Kausch Anfang 1977 bei Herold den Aufsichtsratssitz übernahm, lag bei der Bonner Firma schon etliches im argen. Sprecher des völlig zerstrittenen Vorstands war damals Herold-Minderheitsaktionär Hans Sanner. Der damals fast 70jährige konnte sich nicht durchsetzen und rückte im Herbst 1978 in den Aufsichtsrat.

Doch mit Sanners Nachfolger Walter Reichel wurden die Probleme bei Herold eher noch größer. Der Neue zog Kollegen nach, die meist mit Flops von sich reden machten.

Finanzchef Klaus-Joachim Steffen beispielsweise, ein ehemaliger »Handelsblatt«-Redakteur, hatte im Konzern gleich mit einem großen Coup Furore machen wollen. Weil Steffen selbst an fallende Zinsen glaubte, kaufte er für Herold stapelweise Wertpapiere. Aber die Zinsen kletterten nach oben, und die Kurse der niedrig verzinslichen Papiere verfielen. In kurzer Zeit verlor Herold rung 15 Millionen Mark.

Vorstandschef Reichel selbst gab im Hause die Parole aus, es müßte gespart werden. Vorher hatte er sich allerdings für eine Million Mark seine Dienstvilla umbauen und neben seinem Chefbüro einen Salon einrichten lassen.

1981 mußte Reichel dann seinen Posten aufgeben. Nachfolger Bernd Michaels hielt es gerade ein Jahr aus.

Wie erfolglos die Herold-Garde auch war, ihr Abgang wurde reich belohnt. Michaels kassierte eine Abfindung von 2,2 Millionen Mark. Sein Vorgänger Reichel, der bei Herold nur knapp drei Jahre überdauerte, bekommt bis an sein Lebensende eine jährliche Pension von rund 300 000 Mark.

Auch der Herold-Manager Günther Damm, den Kollegen für die hohen Verluste der Rück-Tochter im Ausland verantwortlich machen, hat ausgesorgt. Seit seiner Entlassung im Herbst 1983 überweist Herold dem 55jährigen Ex-Manager lebenslang monatlich rund 9000 Mark. Damit sich Damm keine Sorgen um die Geldentwertung machen muß, ist die Pension dynamisiert.

Daß nur für Kausch kein stiller Abgang möglich ist, dafür sorgte der neue starke Mann an der Herold-Spitze. Finanzchef Hans Dieter Ritterbex war es, der den einstigen Chefberater zu Fall brachte und der dann auch noch mit der Klage nachsetzte.

Der 43jährige ehemalige Steuersachbearbeiter ließ keine Gelegenheit aus, die Mehrheitsaktionärin Ilse Günther und deren Tochter Renate gegen Kausch zu mobilisieren.

Gemessen allerdings an den strengen Maßstäben, mit denen die Kläger Kausch in die Pflicht nehmen wollen, wäre sicherlich auch die 73jährige Ilse Günther dran. Die Witwe des früheren Generaldirektors Willy Günther, Tochter des Gründers Worch, kennt Herold von klein an. Sie ist seit Jahrzehnten stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende und hat auch einen Beratervertrag - wie einst Kausch.

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