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Artikel 31 / 86

»Vielleicht habe ich härter gearbeitet«

aus DER SPIEGEL 20/1978

SPIEGEL: Herr Grundig, Sie sind wohl der einzige Unternehmer von Rang, der nach dem Krieg einen Industriekonzern aufgebaut hat und der noch immer den entscheidenden Einfluß auf seine Firma ausübt. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?

GRUNDJG: Wenn Sie die Branche von Anfang an kennen -- bei mir sind es immerhin 50 Jahre, damals fing ich als Einzelhändler an -, dann hat man ein ziemlich sicheres Gefühl dafür, was der Markt verlangt. Dann hat man die Erfahrung, um die Wünsche der Käufer ziemlich vorhersagen zu können.

SPIEGEL: Bei anderen Firmen haben ein hochbezahltes Management und Abteilungen von Marketing-Spezialisten die Aufgabe, für marktgängige Produkte zu sorgen. Die japanischen Konzerne zum Beispiel, die sehr viel größer sind als Sie ...

GRUNDIG: Soviel größer sind die gar nicht. Natürlich haben auch wir Marketingabteilungen und Spezialisten, die sich mit denen anderer Firmen messen können, aber wir haben zugleich auch eine andere Form der Geschäftsführung.

SPIEGEL: Sie meinen, der Firmengründer Grundig bestimmt weitgehend die Richtlinien der Politik allein?

GRUNDIG: Das ist sicher übertrieben. Ich sorge dafür, daß wir Produkte anbieten, von denen der Fachmann weiß, daß sie aus unserem Haus kommen, auch wenn er den Namen Grundig nicht lesen würde.

SPIEGEL: Und wie machen Sie das?

GRUNDIG: Ich kümmere mich eben gewissenhaft um die Weiterentwicklung unserer Produkte und sorge dafür, daß wir immer auf dem neuesten technischen Stand bleiben. Allein in diesem Jahr investieren wir zum Beispiel 160 Millionen Mark in Forschung und Entwicklung.

SPIEGEL: Welche Rolle spielen Sie Jabei, wie beeinflussen Sie zum Beispiel die Technik oder das Design der Grundig-Apparate?

GRUNDIG: Natürlich entwickle ich zeine Lautsprecher oder Videorecorder. Aber ich sage unseren Leuten, worauf sie besonders achten müssen, wie das Design auszusehen hat ...

SPIEGEL: ... auch, wo die Bedienungsknöpfe sitzen sollten?

GRUNDIG: Auch das, wenn es sein muß.

SPIEGEL: Alle Ihre Konkurrenten aus der Nachkriegszeit haben inzwichen aufgeben müssen oder ihren Berieb rechtzeitig verkauft. Auch manche Unternehmer anderer Wirtschaftszweige haben sich verabschieden müssen, zuletzt der Versandhändler Neckermann. Noch einmal gefragt: Warum waren gerade Sie erfolgreich?

GRUNDIG: Das liegt an dem Management der Firma und an der Kapitalkraft dieser Firma. Ich habe vor zehn Jahren die Unternehmensgruppe Triumph Adler verkauft und den Erlös vollständig in die Firma reinvestiert. Nur deshalb war es möglich, unser europäisches Investitionsprogramm mit Fabriken in Frankreich, Italien, Portugal und Irland zu finanzieren. Wichtig ist wohl die Tatsache, daß diese Firma keine Aktionäre hat, die Dividenden haben wollen.

SPIEGEL: Weil Sie über eine Stiftung verfügen?

GRUNDIG: Ein wesentlicher Grund unseres Erfolges ist, daß seit 40 Jahren jeder Pfennig, den diese Firma erwirtschaftet, wieder in die Firma investiert wird. Wir konnten uns teure Entwicklungsarbeiten leisten, weil wir keine Dividende und keine Kapitalzinsen an die Banken zu zahlen haben. Und außerdem: Vielleicht habe ich mit meinem Vermögen besser gehaushaltet und härter gearbeitet.

SPIEGEL: Sie haben es sich in den letzten Jahren doch auch nicht schlechtgehenlassen und sich die üblichen Wohlstandsattribute wie Jet, Villa an der Côte d"Azur und ein Landgut in Bayern gegönnt.

GRUNDIG: Das Flugzeug braucht die Firma. Aber sonst: Das wird ja wohl noch möglich sein. Entscheidend sind der Zeitpunkt und die Reihenfolge. Ich habe noch in einer 4-Zimmer-Mietwohnung gelebt, als sich andere prächtige Villen hauten. Und das war entscheidend, denn nur so konnte die Firma auf ein gesundes finanzielles Fundament gestellt werden.

SPIEGEL: So ganz ist uns Ihr Erfolg noch immer nicht plausibel. Konkurrenzunternehmen wie Körting oder Elac haben Vergleich angemeldet, Firmen wie Saba, Nordmende oder Wega sind von ausländischen Konzernen aufgekauft worden. Grundig dagegen setzte im vergangenen Jahr 2,75 Milliarden Mark um ...

GRUNDIG: ... in diesem Jahr, nächstes Jahr vielleicht dreieinhalb. Aber dieses Wachstum fällt uns nicht in den Schoß.

SPIEGEL: Diesen Eindruck haben wir nicht. Welche Probleme hat der Unternehmer Grundig?

GRUNDIG: Zum Beispiel bei den Kosten.

SPIEGEL: Die sind nach Ihrer Ansicht zu hoch?

GRUNDIG: Ganz sicher. Gegenüber unseren japanischen Konkurrenten haben wir einen deutlichen Kostennachteil: einschließlich der Lohnnebenkosten müssen wir für die Arbeitsstunde das Zweieinhalbfache der Japaner bezahlen. Dazu bekommen die Japaner erhebliche, zum Teil gut versteckte staatliche Subventionen.

SPIEGEL: Sie haben sich aber durchaus behaupten können ...

GRUNDIG: Ich bin mit dem Aufzählen der Konkurrenzvorteile noch nicht zu Ende. Während die Europäer, insbesondere aber die Bundesrepublik, ihren Markt den Konkurrenten aus aller Welt öffnen, schließen sich die Japaner weitgehend ab. Dabei geht es immerhin um einen Markt von fast 120 Millionen Menschen, der für uns blockiert ist.

SPIEGEL: Warum, Sie könnten doch nach Japan exportieren?

GRUNDIG: Probieren Sie das mal. Es sind so viele Handelshemmnisse eingebaut, so viele Import-Erschwernisse, daß sich das Geschäft kaum lohnt.

SPIEGEL: Sie könnten zum Beispiel eine Fabrik in Japan kaufen und Ihre Geräte für den japanischen Markt dort fertigen.

GRUNDIG: Auch das ist nicht zu schaffen: Wir würden nicht einmal die notwendige Devisengenehmigung bekommen. Deutschland ist allmählich das einzige Land, das in seiner Einfuhrpolitik wirklich liberal ist. Selbst die europäischen Länder wie Frankreich, Italien oder England sperren sich.

SPIEGEL: Halten Sie die liberale Haltung der Bundesregierung für falsch?

GRUNDIG: Jedenfalls für gefährlich. Wir müssen uns einfach darüber im klaren sein, daß sich die Wettbewerbsverhältnisse immer deutlicher zu unseren Lasten verschlechtern.

SPIEGEL: Sie plädieren also für Import-Restriktionen?

GRUNDIG: Diese Formulierung geht mir zu weit. Ich frage mich nur, ob wir mit unserem liberalen Bekenntnis gut fahren, wenn unsere wichtigsten Konkurrenten ihre Märkte allmählich abschotten. Ich meine, die Europäische Gemeinschaft müßte ihre Position gelegentlich überprüfen und in manchen Punkten revidieren. Wenn wir so weitermachen wie bisher, kann ich nicht ausschließen, daß eines Tages die Zahl der Arbeitslosen weiter steigt.

SPIEGEL: Glauben Sie, daß auch Ihre Branche in Gefahr gerät wie vor ihnen die Photoindustrie?

GRUNDIG: Ich fürchte, das kann man nicht ausschließen. Schon heute werden, abgesehen von Farbfernsehgeräten, fast alle Kassettenrecorder oder Kofferradios in Fernost hergestellt und unter deutschem Markenzeichen verkauft. Nur Philips und wir bauen noch zum. größten Teil in Europa.

SPIEGEL: Auch die bekannten Hersteller wie Blaupunkt und Telefunken oder Nordmende bauen ihre Marken-Radios in Fernost?

GRUNDIG: Ich will mich nicht über meine Konkurrenten verbreiten. Tatsache ist, daß in Deutschland von der Mehrzahl der Mitbewerber fast nur noch Farbfernseher produziert werden. Wir kommen nun allmählich an der Tatsache nicht vorbei, daß viele europäische Firmen aus Kostengründen nicht mehr in der jage sind, im eigenen Land zu produzieren.

SPIEGEL: Ihre Klagen klingen ziemlich wehleidig: Einerseits kündigen Sie für Ihr eigenes Unternehmen stolze Wachstumsraten an. andererseits sorgen Sie sich um ausländische, vor allem die japanische Konkurrenz.

GRUNDIG: Das ist nicht wehleidig, das sehen Sie falsch. Wenn wir nicht die Macht der japanischen Konkurrenz gegen uns hätten, stünden wir nicht unter dem Kostendruck, unter dem wir schon seit Jahren sehen. Wir könnten mehr Geld ausgeben für Forschung und Entwicklung und für eine Reihe anderer Vorhaben. Meinen Sie nicht auch, daß ein Fernsehhändler eine bessere Rendite brauchen könnte? SPIEGEL: Das wird er wohl wollen. GRUNDIG: Genau das aber ist wegen der Konkurrenz nicht drin, jedenfalls für uns nicht. Wir bauen im Jahr 1,5 Millionen Farbfernsehgeräte, die über Tausende von Händlern vertrieben werden. Mehr als magere Renditen sind da nicht zu schaffen.

SPIEGEL: Weil die Nachfrage an Farbfernsehgeräten allmählich gesättigt ist?

GRUNDIG: Mit der Marktsättigung ist das so eine Sache. Kurz nach Kriegsende habe ich mal einen Bekannten getroffen und gefragt, was er mache. Während des Krieges hatte er Rüstungsgeräte produziert. Er sagte mir, er habe nach Kriegsende Kochtöpfe, immerhin 5000 pro Tag, hergestellt. Ich habe mir allerdings gesagt: Das hört doch mal auf. Einmal hat doch jeder seinen Topf. Aber das Geschäft dieses Bekannten geht noch immer.

SPIEGEL: Farbfernseher sind teurer als Töpfe.

GRUNDIG: Richtig. Aber schauen Sie sich doch einmal die Geräte an, die vor sechs, sieben Jahren gebaut wurden. Die sind doch gegenüber den heutigen Modellen hoffnungslos unterlegen. Deshalb wird schon der Ersatzbedarf für ordentliche Produktionszahlen sorgen.

SPIEGEL: Haben Sie nicht Angst, daß Konkurrenten, zum Beispiel die Japaner, Sie technisch abhängen?

GRUNDIG: Nein. Das haben wir gar nicht. Bei mir hat neulich ein großer japanischer Konzern angefragt, ob ich zu einer Zusammenarbeit bereit sei.

SPIEGEL: Welches· Unternehmen war das?

GRUNDIG: Den Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Nur eines ist sicher. Der Hersteller war nicht der Meinung, daß seine Technik uns nutzen könnte. Er vermutete wohl eher das Gegenteil.

SPIEGEL: Was wollen Sie denn machen mit den Löhnen, wollen Sie sie einfrieren?

GRUNDIG: Nein, das wäre absolut falsch. Wir brauchen Lohnsteigerung, weil wir eine Gesellschaft sind, die vom Konsum lebt. Wie wollen wir unsere Waren verkaufen, wenn die Arbeitnehmer nicht regelmäßig Lohnsteigerungen bekommen? Mir ist jede maßvolle Lohnsteigerung recht, weil sie die Konsumnachfrage erhöht, aber -- das ist eben leider nur eine Seite der Medaille. Unsere Löhne und insbesondere die Lohnnebenkosten dürfen eben nicht so stark steigen, daß wir im internationalen Wettbewerb ausscheiden.

SPIEGEL: Wann ist nach Ihrer Ansicht dieser Punkt erreicht?

GRUNDIG: Allzuweit ist er nicht mehr entfernt. Ich kann Ihnen eine ganz einfache Rechnung aufmachen. In unserer Firma kostet eine Lohnminute hier in Fürth 40 Pfennig, in unserer Wiener Fabrik 33 Pfennig, in England 28 Pfennig, in Portugal 18 Pfennig und in Taiwan 6 Pfennig. Das sind die Realitäten, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Manchmal habe ich den Eindruck, daß wir mit unseren sozialen Maßnahmen etwas weit gegangen sind.

SPIEGEL: Was meinen Sie damit? Wo wird nach Ihrer Ansicht Mißbrauch mit Sozialleistungen getrieben?

GRUNDIG: Ich will Ihnen mit einem Fall aus diesem Unternehmen antworten. Wir hatten einen italienischen Arbeiter, der seit sechs Jahren bei uns arbeitete. Er feierte immer wieder krank und war dabei anderthalb Jahre abwesend, was uns direkte Lohnfortzahlungskosten von insgesamt 17 000 Mark verursachte. Wir versuchten, diesen Mann zu kündigen, unterlagen aber vor dem Arbeitsgericht: Wir wurden verurteilt, ihn wieder einzustellen.

Dagegen haben wir Rechtsmittel eingelegt. Schließlich haben wir die Sache vergleichsweise erledigt.

Ich meine, dieser Fall zeigt, daß in unserer Sozialgesetzgebung manches leicht zu mißbrauchen ist, auch zu Lasten der Allgemeinheit. Wenn wir diese Fragen nicht in den Griff bekommen, kann es sein, daß wir in den achtziger Jahren einmal auf Arbeitslosenzahlen kommen, die leider viel größer sein werden als heute. Im Augenblick haben wir ja keine Arbeitslosen, wenigstens nicht in unserem Raum.

SPIEGEL: Wieso nicht? Laut Statistik sind es ungefähr eine Million.

GRUNDIG: Wenn wir Leute einstellen wollen, haben wir jedenfalls erstaunliche Probleme. Vor wenigen Wochen zum Beispiel haben wir versucht. 100 ungelernte Arbeitskräfte einzustellen. Vermittelt wurden zehn, und von diesen zehn waren nach vier Wochen nur noch zwei da.

SPIEGEL: Wo sind die anderen geblieben? Zahlen Sie so schlecht?

GRUNDIG: Das glaube ich kaum. Wir zahlen eher mehr als andere Unternehmen am Ort. Nein, daran kann es nicht liegen, es muß wohl doch schon etwas mit der Arbeitsmoral zu tun haben. Nehmen Sie doch zum Beispiel den Krankenstand. Wenn morgen in der Zeitung steht, eine Grippewelle sei im Anrollen, dann steigt der Krankenstand auf 12 bis 14 Prozent, auch wenn es gar keine Grippe gibt. SPIEGEL: Das war früher anders? GRUNDIG: Ich glaube schon.

SPIEGEL: Herr Grundig, Sie sind jetzt 70 Jahre alt und noch immer die zentrale Figur in Ihrem Konzern. Wie lange wollen Sie noch arbeiten?

GRUNDIG: Am liebsten würde ich morgen aufhören.

SPIEGEL: Das meinen Sie nicht ernst. GRUNDIG: Nicht ganz. Wann ich aufhöre, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich möchte nicht, daß es meine Konkurrenz vorzeitig erfährt.

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