KONZERNE »Völlig ausgedünnt«
SPIEGEL: Ende 2010 läuft der Beschäftigungspakt zwischen Gewerkschaften und Bahn aus. Erwarten Sie Entlassungen?
Kirchner: Dazu kommt es hoffentlich nicht. Ich glaube nicht, dass die Bahn bei ihrer Altersstruktur und der demografischen Entwicklung in den nächsten Jahren auf Mitarbeiter verzichten kann.
SPIEGEL: Zuletzt hieß es, dass die Bahn womöglich 14 000 Stellen abbauen will.
Kirchner: Ich kann solche Ankündigungen nicht verstehen. Die DB ist die einzige Bahn in Europa, die noch schwarze Zahlen schreibt. Wer da mit Stellenabbau droht, spielt mit den Ängsten der Mitarbeiter.
SPIEGEL: Der Güterverkehr schreibt doch tiefrote Zahlen und hatte dieses Jahr bis zu 25 Prozent weniger Aufträge.
Kirchner: Wir glauben, dass sich die Konjunktur 2010 erholen wird und dann wieder mehr Güter auf die Schiene kommen. Wir haben doch heute schon das Problem, dass der Konzern in manchen Bereichen personell völlig ausgedünnt ist.
SPIEGEL: Vielleicht will Bahn-Chef Rüdiger Grube den Konzern für einen möglichen Börsengang nach der Krise fit machen.
Kirchner: Da sage ich Ihnen als Mitglied des Aufsichtsrats der Bahn: Der Börsengang ist zurzeit kein Thema. Aber in einer Sache gebe ich ihm recht: Die Bahn hat 15 Milliarden Euro Schulden. Gleichzeitig muss sie in den nächsten Jahren 6 Milliarden für neue Fahrzeuge ausgeben. Das Geld muss entweder verdient werden, oder der Steuerzahler muss ran. Statt Jobs zu streichen, sollte Herr Grube lieber mit Hilfe der Politik dafür sorgen, dass mehr Verkehr auf die Schiene kommt. Wenn Verkehrsminister Peter Ramsauer jetzt ein Milliardenprogramm für die Schiene ankündigt, ist das gut. Er muss nur sagen, wie er das finanzieren will. Das ginge zum Beispiel über die Lkw-Maut. Bisher hieß es von der neuen Regierung jedoch, dass diese Einnahmen verstärkt in den Straßenverkehr fließen sollten. Wenn jetzt ein Kurswechsel einsetzt, ist das der richtige Weg.
SPIEGEL: Wo sehen Sie weitere Probleme?
Kirchner: Wir müssen uns auf einen immer härteren Wettbewerb auf der Schiene in Europa einstellen. Viele Konkurrenten der DB fahren zu Dumpingpreisen, weil ihre Mitarbeiter unter Tarif bezahlt werden. Wenn sich das nicht ändert, wird die Deutsche Bahn weitere Aufträge verlieren.
SPIEGEL: In diesem Jahr hat die Datenaffäre die Bahn schwer belastet. Ist das Kapitel für Sie abgeschlossen?
Kirchner: Auf keinen Fall. Da sind zum einen die persönlich betroffenen Kollegen, wo der eine oder andere Fall aber noch offen ist. Das andere ist die Einführung von Regeln und Strukturen, dass so etwas nicht wieder passiert. Daran arbeiten wir noch. Drittens fordern wir von der Regierung weiter ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Die FDP hatte das, noch in der Opposition, während der Datenaffäre zu ihrem Thema gemacht. Passiert ist seither nichts.
SPIEGEL: Bahn-Chef Grube ist jetzt seit acht Monaten im Amt. Ihr Fazit?
Kirchner: Herr Grube ist ein ganz anderer Typ als sein Vorgänger Hartmut Mehdorn. Er geht sehr offen auf Menschen zu, ist nach außen stark um ein besseres Image der Bahn bemüht. Er hat mit uns zusammen versucht, den Schaden zu begrenzen, der durch die Datenaffäre entstanden ist. Was die wirtschaftliche Ausrichtung des Unternehmens betrifft, führt er bislang den Mehdorn-Kurs weitgehend weiter. Die eigentliche Bewährungsprobe zwischen ihm und uns steht 2010 erst bevor.