Immobilien Völlig leergeräumt
Der Chrysler Cherokee ist durch das enge Tor in den Schloßhof eingebogen. Der Fahrer, Prinz JirI Lobkowicz, blickt prüfend auf die Maurer, Maler und Monteure, die sich in dem großen Innenhof zu schaffen machen.
Noch ist Schloß MelnIk eine Baustelle. Doch schon bald sollen die Renovierungs- und Umbauarbeiten abgeschlossen sein.
Dann werden, so hofft der Schloßherr, Scharen von Besuchern über den Hof schlendern. Vor allem kaufkräftige Auslandstouristen will Prinz Lobkowicz, 37, für ein paar Stunden aus dem nahen Prag nach MelnIk locken.
»Ich brauche mindestens 20 Reisebusse am Tag, damit der Cash-flow stimmt«, kalkuliert der Prinz. Den Sproß aus böhmischem Hoch- und Uralt-Adel drückt die Last des wertvollen, derzeit aber finanziell noch unergiebigen Familienbesitzes.
Noch vor gut dreieinhalb Jahren war Georges Lobkowicz, wie er damals hieß, ein gut verdienender, aber nur mäßig vermögender Direktor der Chase-Manhattan-Bankfilialen in Paris und Monte Carlo. Vom alten Glanz des Fürstenhauses Lobkowicz, das einst zu den reichsten und mächtigsten Adelssippen in Böhmen zählte, war dem jungen Banker nur der Prinzentitel geblieben. Die Heimat seiner Vorfahren, die seit über 700 Jahren im Land an Moldau und Elbe ansässig gewesen waren, hatte der in der Schweiz geborene Aristokrat nie betreten.
Heute dagegen schaut JirI Lobkowicz auf ein beachtliches Immobilien-Imperium herab, wenn er von der Terrasse seines hoch über der Elbe gelegenen Schlosses in die Tiefe blickt. Auf den Steillagen des Schloßbergs, die unmittelbar an die Terrasse grenzen, wächst der Wein des Prinzen. Darunter, direkt am Fluß, steht der langgestreckte Bau des Kellereibetriebs.
Jenseits der Elbe liegen die Wälder, Felder und Weiden der Lobkowicz-Latifundien. In einem großen Park mit herrlichem altem Baumbestand wird das rote Ziegeldach von Schloß Horin sichtbar, einem weiteren Lobkowicz-Besitz. Weiter flußabwärts liegt ein drittes Familienschloß.
Seine neue Rolle als Schloßherr und Großgrundbesitzer verdankt der Prinz dem ehemaligen tschechoslowakischen Parlament. Das beschloß im Oktober 1990, daß alle von den Kommunisten nach dem 25. Februar 1948 enteignete Habe zurückzugeben sei, sofern die früheren Eigentümer oder deren Erben die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besitzen oder annehmen*.
Die Regierung war dagegen. Sie fürchtete, daß der Umbau der Wirtschaft durch langwierige Streitereien um Eigentumsansprüche behindert wird. Wie die Ungarn, die Alteigentümer nur entschädigen, lehnten sie die sogenannte Restitution, die Wiedereinsetzung der früheren Eigentümer in ihre alten Rechte, als nicht praktikabel ab. _(* Die Sudetendeutschen waren bereits ) _(unmittelbar nach Kriegsende enteignet ) _(worden. )
»Wäre es nach der Regierung gegangen, hätten wir nicht einen Hektar zurückbekommen«, sagt Lobkowicz.
Bislang sind von den etwa 2000 Schlössern, Burgen und Herrensitzen in der früheren Tschechoslowakei etwa 300 bis 400 wieder in den Händen der Alteigentümer. Allein 16 Schlösser und insgesamt etwa 15 000 Hektar Land fielen an den Lobkowicz-Clan zurück.
»Wir sind der größte Restitutionsfall in der Tschechischen Republik«, sagt JirI Lobkowicz stolz.
Der Prinz selbst erhielt vier Schlösser und ein Prager Stadthaus. Darüber hinaus bekam der Sproß des 1948 aus MelnIk vertriebenen Fürsten Otakar ("Kari") Lobkowicz etwa 400 bis 500 Hektar Acker- und Weideland, einen Weinbau-Betrieb mit 135 Hektar Rebflächen am böhmischen Elbeufer und weitere 2500 Hektar Boden aus dem ehemaligen Besitz seines Vaters zugesprochen.
Die Rückgabe verlief erstaunlich glatt. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, hatte Lobkowicz auf die Rückgabe jener Mietshäuser verzichtet, die während des kommunistischen Regimes in den Besitz ihrer Bewohner übergegangen waren.
Schwieriger als der Rücktransfer der Immobilien war für Lobkowicz das Aufspüren der wertvollen Möbel, Gemälde und anderen Kunstgegenstände, mit denen die Familie einst ihre Schlösser und Stadtpalais ausgeschmückt hatte. Die kommunistischen Kulturbehörden und Schloßverwalter hatten die meisten Gebäude völlig leergeräumt.
Etwa 30 Prozent des Lobkowicz-Inventars wurden durch unsachgemäße Lagerung - zum Teil in früheren Kuh- oder Schweineställen - schwer beschädigt, weitere 40 Prozent gestohlen oder mutwillig zerstört. In Schloß Horin, dem letzten Wohnsitz der Lobkowicz vor der Vertreibung, warfen Plünderer das ihrer Meinung nach wertlose chinesische Porzellan aus dem Fenster. Diebe rissen kostbare Ölgemälde aus den Rahmen, weil sie nur an den Bildumrandungen interessiert waren.
Nur 30 Prozent der beweglichen Habe von einst erhielt Lobkowicz in recht gutem Zustand zurück - darunter 19 Gemälde aus der Nationalgalerie in Prag, die dort jetzt nur noch als Leihgabe des Prinzen hängen.
Die kostbarsten Familienstücke kommen in ein neues Museum auf Schloß MelnIk. Darüber hinaus werden in der Burg zwei Restaurants und ein Weinausschank eingerichtet.
Die Einnahmen aus Museums- und Gastronomie-Betrieb sollen die hohen Ausgaben für den Unterhalt decken. Die Rechnung geht auf, wenn das nahe dem Zusammenfluß von Elbe und Moldau gelegene Schloß tatsächlich zur Touristenattraktion wird.
Schwerer als beim Schloßprojekt wird der studierte Ökonom in seinem landwirtschaftlichen Betrieb Verluste vermeiden können. Gemeinsam mit 60 kleinen Landeignern aus der Umgebung MelnIks hat er im vergangenen Jahr eine Agraraktiengesellschaft gegründet.
Den Betrieb leitet ein erfahrener Manager. Aber die Bedingungen, unter denen der Schotte Stuart Kerr-Lindell das aus einem heruntergewirtschafteten Staatsgut hervorgegangene Privatunternehmen in einen florierenden Betrieb verwandeln soll, sind äußerst ungünstig.
Der Maschinenpark des Unternehmens ist uralt, die Arbeitsproduktivität niedrig, und die übermächtige westliche Agrarwirtschaft drängt mit Kampfpreisen in den tschechischen Markt hinein.
Mit dem Anbau von Gemüse will der Schotte nun das Geschick des Agrarbetriebes wenden. Aber er zweifelt selbst daran, ob er das mit den drei Dutzend Arbeitern schaffen kann, die er vom früheren Staatsgut übernommen hat. »Das Problem ist«, klagt der diplomierte Agrarökonom über die mangelnde Arbeitsmoral im Betrieb, »daß es nur einen wie mich hier gibt.«
»Wir brauchen Leute, die noch hungrig sind und unserem Arbeitsrhythmus folgen können«, sagt auch Bettina Lobkowicz, 34, die Frau des Prinzen. Die Schweizerin, die ihren »Gigi« beim Studium an der Handelshochschule Sankt Gallen kennengelernt hat, leitet den Kellereibetrieb ihres Mannes.
Mit modernem Management und hohem Qualitätsstandard will die frühere Investmentbankerin den jahrhundertealten Weinbau-Betrieb sanieren. »Wir müssen es schaffen«, sagt sie, »daß unsere Weine und unser Sekt Chateau MelnIk auf den Getränkekarten aller guten Hotels in Prag, Karlsbad und Marienbad stehen.«
Manchmal aber habe sie, gesteht die Jung-Winzerin, noch »etwas Angst vor dem eigenen Mut«. Und ihr Mann, den sie vor dreieinhalb Jahren ermuntert hatte, von Monaco in die Heimat seiner Ahnen zu gehen, meint selbstironisch: »Man muß schon verrückt oder Aristokrat oder beides sein, um so eine Herausforderung anzunehmen.«
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__92_ Schloß Melnik bei Prag
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* Die Sudetendeutschen waren bereits unmittelbar nach Kriegsendeenteignet worden.