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Vom Blitz getroffen

aus DER SPIEGEL 19/1993

Ein volles Jahrzehnt hat der Wissenschaftler Rolf Berth in seine Studie gesteckt, er hat große und kleine Unternehmen untersucht, Bilanzen studiert und immer wieder Manager und Entwickler interviewt. Nun glaubt er sie gefunden zu haben, die Antwort auf die Frage: »Warum haben wir uns zu einer Nation von Versagern entwickelt?«

Berth ist kein Wissenschaftler aus dem Elfenbeinturm. Er war, bevor er ans renommierte Internationale Management Institut in Genf ging, ein erfolgreicher Manager. Heute arbeitet er bei der Unternehmensberatung Kienbaum - und verkauft seinen Kunden unangenehme Wahrheiten.

Die Ausgangsthese seiner umfassenden Studie mag provozierend formuliert sein, belegt ist sie nach Berths Ansicht allemal. »Nichts als verlorene Schlachten« konstatiert er in der Auseinandersetzung mit der Wirtschaftsmacht Japan. Nur mit echten Innovationen sei gegen die Ostasiaten anzukommen; statt dessen, so ein Ergebnis seiner Studie, sinke der Anteil an neuen Produkten seit 20 Jahren.

Im Januar 1992 schloß er seine Studie ab. Letzter Befund: Zu diesem Zeitpunkt waren zehn Prozent der befragten Unternehmen auf die heutige Krise nicht vorbereitet. »Dabei gehört es doch zu den Pflichten des Managements«, so Berth, »nicht so zu tun, als ob der Blitz eingeschlagen hätte.«

»Beschämend« findet das der Berater, und nicht viel anders fällt seine Beschreibung der bundesdeutschen Wirklichkeit aus. Denn die Unternehmen spiegeln für ihn nur den Zustand der gesamten Republik wider: das Bildungssystem erscheint ihm »sehr mittelmäßig«, das politische System »erstarrt«.

Aber woran liegt das, wie konnte es so weit kommen? »Wir haben einen Mentalitätsrückstand«, sagt Berth. »Wir versuchen, mit den Methoden und der Mentalität der sechziger Jahre das 21. Jahrhundert anzugehen.«

Die Mentalität der Manager zeigt sich jetzt in der Krise: Es wird gestrichen und gekürzt, doch eine Vision von der Zukunft hat kaum einer.

Erfolgreiche Unternehmen sind anders, sie werden anders geführt. Berth hat nach den Erfolgsfaktoren gesucht und sogenannte weiche Faktoren gefunden. Sie haben viel mit Motivation, mit Kreativität und mit der Psyche des Menschen zu tun - alles Dinge, von denen die Männer an der Spitze selten Ahnung haben.

Nur ein kleiner Teil der Menschen, nach Berths Studie 16 Prozent, ist wirklich kreativ. Und die Teams, die Erfolgsprodukte schaffen, sind sehr viel bunter und vielseitiger zusammengesetzt als diejenigen, die Flops hervorbringen.

Kreative Menschen sind meist nicht die einfachsten, sie kommen selten nach oben. Oft als Spinner verschrien, haben sie in den meisten Unternehmen wenig Chancen.

Genau da müßte nach Berths Meinung eine kluge Personalpolitik einsetzen: Sie muß Freiräume schaffen, »der Kreativität eine Gasse bahnen«.

Ein wirklicher Visionär müßte in jedem Vorstand vertreten sein, fordert der Wissenschaftler. Doch er weiß, daß diese Spezies tatsächlich erst auf der dritten Ebene zu finden ist, wo sie nicht viel bewirken kann.

Und wie soll sich das ändern, wo doch die anderen bestimmen, wer aufsteigt und wer nicht? »Da beißt sich die Katze in den Schwanz«, sagt Berth und schwärmt von Unternehmen, die mit Visionen Marktanteile erkämpft und mit echten Innovationen neue Märkte geschaffen haben.

Nachahmer haben diese Pioniere allerdings kaum gefunden. Statt dessen, so ein Ergebnis der Studie, nimmt die Risikobereitschaft immer mehr ab. »Damit«, sagt Berth, »sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.«

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