MILCH Vor der Schwemme
Die Milch wird billiger. - Ländervertreter Niedersachsens, Schleswig Holsteins und Hamburgs feilschen noch an der genauen Preisliste herum.
Schon im Januar schepperte es verdächtig voll in den Milchkannen. Im Gegensatz zum Vorjahr stieg die saisonmäßig gefallene Milcherzeugung bereits wieder auf 905600 Tonnen (Januar 1949: 664800 Tonnen). Im Februar erhöhte sich der liberalisierte Butterimport auf 3073 Tonnen, und Ende März schwappte der Milchüberschuß zum ersten Male auf die Preistafeln über.
Während der Großhandel noch vor vier Wochen seine Vertreter aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg und Schleswig zum Butteraufkaufen schickte, wurde in den letzten Tagen australische Butter im Westen für 2,50 DM das Pfund verkauft, gegen 2,86 Festpreis für deutsche Molkereibutter. Niedersächsische Molkereien gaben Butter um 100 DM je Doppelzentner unter Preis ab.
Die Milchmarktordnung zeigte die ersten Risse.
Seitdem kümmern sich fast überall im Bundesgebiet die Molkereien nicht mehr um die traditionelle Marktordnung. Die sieht vor, daß stadtnahe Molkereien nur Trinkmilch und stadtferne nur Werkmilch*) liefern, damit die Trinkmilchqualität nicht durch den Transport leidet.
Um die Preise für Käse und Butter nicht unerschwinglich hoch klettern zu lassen, hatten die westdeutschen Preisbehörden den Werkmilchpreis um 3,5 bis 4 Pfennig je Liter unter den Trinkmilchpreis gedrückt. Solange die Käse- und Butternachfrage der ausgehungerten Reichsmark-Deutschen ständig stieg, ging alles gut.
*) Werkmilch = Bezeichnung für Milch, die zu Butter oder Käse weiterverarbeitet wird. Seit aber im Allgäu 25000 Tonnen Käse verderben, die Käsefabriken wegen Ueberfüllung der Läger kurz arbeiten und seit Exportfirmen täglich Molkereiofferten für die Ausfuhr deutscher Butter nach England erhalten, bangen die Werkmilchmelker um ihren Absatz. Der günstigere Trinkpreiserlös reizte sie unwiderstehlich.
Zuerst unternahmen Werkmilchmänner aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein einen Vorstoß nach Hamburg. Die hanseatischen Einzelhändler empfingen sie mit offenen Armen. »Weil uns die Fernmilchmänner billiger als die Hamburger Milcheinfuhrgenossenschaft (HAMEG) beliefern«. Daß sie von den Verbrauchern trotzdem den alten Preis von 36 Pf. je Liter nahmen, verschwiegen sie diskret.
Die HAMEG-Milchmänner wehrten sich. Ihr Präsident Claus Ferck schrieb einen Beschwerdebrief an die Ernährungsbehörde. Auf Grund der bundesamtlichen »Anordnung über die Bewirtschaftung von Milch und Milcherzeugnissen vom 17. August 1948« hatte der Hamburger Staat den 70 unter Fercks Führung in der HAMEG organisierten Molkereien das Alleinrecht zur Milchlieferung nach Hamburg zugestanden.
Daher forderte Ferck eine kategorische Abwürgung aller sich neu ins Hamburg-Geschäft drängenden Lieferanten. Die Ernährungsbehörden gaben ihre Hände dazu nicht her.
»Es wird nichts getan gegen die Fernmilchmänner«, wies Dr. Walther Völz, Chef der Hamburger Ernährungsbehörde, seinen Milchreferenten Schlatermund (Zimmer Nr. 120, Poststraße 11) an. »Und wenn hier täglich zehn Anzeigen gegen sie eingehen.«
Mit dem Schlagwort: »Die Behörden dulden Mißachtung der gesetzlich verankerten Marktordnung«, legten die HAMEG-Mitglieder danach bei Völz Dauerbeschwerde ein. Der gab ihnen gute Ratschläge: »Geht runter mit euren Preisen, dann verschwindet die Fernmilch wegen Absatzmangel von selbst.«
Die Milchhandelsspanne im Bundesgebiet betrug bisher 6 Pfennig je Liter. Für Freihauslieferung und Austragen der Vollmilch sind dabei 0,5 Pfennig je Liter einkalkuliert. In disziplinierter Einigkeit haben sich die Bundesmilchhändler bisher um das Austragen herumgedrückt und die wenigen Hausträger als »Verräter« gebrandmarkt. Den amtlich gebilligten Halbpfennig für das Austragen je Liter fordern die meisten trotzdem vom Kunden.
Auch die HAMEG-Mitglieder wollten nicht von ihren Preisen herunter. »Freiwillig werden wir nicht billiger. Nur, wenn Ihr uns zwingt«, trumpfte Claus Ferck gegenüber Völz auf. Der zuckte nur die Achseln.
Acht Tage später ließ sich Ferck wieder bei Völz melden. Die Werkmilch-Konkurrenz hatte ihn weich gemacht. »Wir verkaufen billiger«, gab er klein bei.
Als erste in der Bundesrepublik liefern die Hamburger Einzelhändler seit Sonnabend die Vollmilch zu 32 Pfennig pro Liter. Dr. Völz will jede Preissenkung, die sich für den Handel ergibt, sofort über die Preisbildungsbehörde den Verbrauchern zugute kommen lassen.« In Hamburg wird der Milchpreis ständig weiter fallen«, glaubt er. Optimisten rechnen mit 26 bis 28 Pfennig pro Liter. Die anderen westdeutschen Länder werden folgen müssen.
Milchexperten erwarten für 1950 eine gewaltige Schwemme. Sie zählen vier Hauptgründe dafür auf:
* Infolge besserer Futtermöglichkeiten geben die deutschen Kühe seit der Kapitulation ständig mehr Milch (Besonders seit dem 20. Währungs-Juni 1948).
* Die Kaufkraft sinkt.
* Die deutschen Verbraucher haben sich das Milchtrinken abgewöhnt. Nach der Kriegsverordnung von 1940 wurden 72 Prozent der gesamtdeutschen Milcherzeugung verbuttert. Nur noch Kinder, Kranke und Großmütter durften Milch trinken.
* Käse- und Butterabsatz stocken. Der Butterpreis wurde von 5,12 auf 5,84 DM je Kilo erhöht. In diesem Jahr stehen rund 300000 Tonnen Butter zum Verkauf mit einem Verkaufswert von 1,8 Milliarden D-Mark. Das sind 600000 Millionen DM mehr, als die Bundesdeutschen 1948 für Butter ausgegeben haben. Jetzt stehen täglich etwa 650 bis 690 Tonnen Butter im Bundesgebiet zur Verfügung. Im Juni/Juli werden es über 1000 Tonnen sein.
Die westdeutsche Milchmädchenrechnung wird noch versauert durch das erhöhte Fettangebot an Schmalzimporten und durch die Ueberproduktion von Margarine. Wegen Absatzstockungen produziert die Margarineindustrie bereits ein Drittel weniger als im letzten Quartal 1949. Sie bemüht sich um eine Preissenkung, sonst bleibt sie genau so auf ihren Beständen sitzen, wie die westdeutsche Konservenindustrie auf ihren 56 Millionen überzähligen Büchsen Obst und Gemüse.
Die Margarineindustrie hat das Bundesministerium aufgefordert, die Preise für Margarine-Rohstoffe den Weltmarktpreisen anzupassen. Bonn hat diese Vorschläge genehmigt. In wenigen Wochen sollen die bisherigen Sonderabgaben, die auf den Margarine-Rohstoffen lasteten, aufgehoben werden. Sie betragen je Pfund 20 bis 25 Pfennig.
Die Spitzenmarken, die heute noch 1,22 kosten, könnten dann schon für 1 DM abgegeben werden. Das würde auch die Kuhstallpreise noch weicher machen.
Letzte Rettung sucht die durch Soforthilfeabgaben stark belastete Landwirtschaft in einer Steigerung des Konsums. Das soll erstens durch Qualitätsverbesserung erreicht werden. In Nord- und Westdeutschland wird wieder Milch mit 2,8 Prozent Fettgehalt geliefert. Verschiedene Außenseiter sind schon auf 3 Prozent übergegangen.
Als zweites Mittel zur Steigerung des Verbrauchs formieren sich die Verbände auf Westdeutschlands Milchstraße zu geschlossenen Propagandamärschen.
Mit dem Gewicht von 1 Million DM jährlich ausschließlich für Werbezwecke will ein »Verein zur Förderung des Milchverbrauchs« in Frankfurt die Dauermilchwerbung im Bundesgebiet starten, um den allgemeinen Milchdurst noch vor der Schwemme auszulösen. Ambulant sollen Fabriken und Büros beliefert werden.
Eine Anpassung der Milcherzeugung an den Absatz lehnen die Milchwirtschaftler als Eisenbartkur ab. Sie weisen auf den 1952 abebbenden Marshallplan hin. »Bis dahin wird unser gewerblicher Export es doch nicht schaffen, daß wir in Notfällen ohne Schwierigkeit die erforderlichen Dollarpakete für lebensnotwendige Importe auf den Tisch legen können«, sagen sie.
»Und wenn wir dann die Milcherzeugung gedrosselt haben, und der Weltmarkt für Fett verknappt sich plötzlich, dann kommt es wieder so weit, daß die Städter mit ihren Radios aufs Land ziehen, um Butter einzutauschen.«
[Grafiktext]
MILCHERTRÄGE IM BUNDESGEBIET
BUTTERERZEUGUNG IM BUNDESGEBIET IN TONNEN
1948/49 | 1949/50 | |
---|---|---|
NOVEMBER | 16190 | 16811 |
DEZEMBER | 13556 | 19404 |
JANUAR | 13495 | 18740 |
FEBRUAR | 12169 | 19500 |
MILCHERZEUGUNG JE KOPF d. BEVÖLKERUNG IN LITERN
FRISCHMILCHVERBRAUCH
GESAMTERZEUGUNG
DÄNEMARK 1399
AUSTRAL. 772
SCHWED. 730
SCHWEIZ 669
KANADA 642
HOLLAND 566
USA 370
DEUTSCHL. 370
FRANKR. 340
ENGL. 170
[GrafiktextEnde]